#8 - Wie kommen unsere Klient*innen sicher durch den Alltag?

In der heutigen Studie beschäftigen wir uns mit der Klientenperspektive auf Sturzprävention. Sara erklärt welche Ressourcen und Barrieren es für Klient*innen gibt, Sturzprävention langfristig in ihren Alltag zu
integrieren. Es geht um Alter, Stigmatisierung und ob wir eher stürzen, ausrutschen, stolpern oder fallen.

Geschichten aus dem Alltag: Sarah zittert, möchte aber nicht mit Sara Händchen halten. Dafür trifft Sara einen netten Menschen bei der Post. Außerdem dröseln wir qualitative und quantitative Forschung auseinander.

Lust auf mehr Evidenz für dein Team?

 

Und die Studie dieser Folge ist: Finnegan, S., Bruce, J., & Seers, K. (2021). Life after falls prevention exercise – experiences of older people taking part in a clinical trial: A phenomenological study. BMC Geriatrics, 21(1), 91.

Weitere Quellen in dieser Folge: 
Pighills, A., Torgerson, D. J., Sheldon, T. A., Drummond, A. E., & Bland, J. M. (2011). Environmental assessment and modification to prevent falls in older people. Journal of the American Geriatrics Society, 59(1), 26–33.
 
 
Gillespie, L. D., Robertson, M. C., Gillespie, W. J., Sherrington, C., Gates, S., Clemson, L., & Lamb, S. E. (2012). Interventions for preventing falls in older people living in the community. Cochrane Database of Systematic Reviews, 9.
 
Collins, C. E., Chandra, A., Nguyen, B., Schultz, K., Mathew, P., Chen, T., Renshaw, S., Rose, K. M., & Santry, H. P. (2020). The rose-colored glasses of geriatric fall patients: Inconsistencies between knowledge of risk factors for and actual causes of falls. Gerontology & Geriatric Medicine, 6, 2333721420967884.
 
Stevens, J. A., Sleet, D. A., & Rubenstein, L. Z. (2018). The influence of older adults’ beliefs and attitudes on adopting fall prevention behaviors. American Journal of Lifestyle Medicine, 12(4), 324–330.

Intro: Hintergrundmusik, die sich langsam steigert. Eine Stimme sagt: Evidenz auf die Ohren, der Podcast für evidenzbasierte Ergotherapie. 

00:00:25 Sara Mohr: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge Evidenz auf die Ohren, heute zusammen mit

00:00:29 Sarah Bühler: Sarah Bühler.

00:00:37 Sara Mohr: und mein Name ist Sara Mohr. Guten Morgen und guten Abend. Ja, wir sind heute nur zu zweit, deshalb haben wir super viel Zeit für spannende Geschichten aus dem Alltag. Sarah, magst du anfangen? 

00:00:49 Sarah Bühler: Ja, mein Highlight die Woche war, dass wir eine Bestätigung vom DVE Kongress bekommen haben, das wir da einen Vortrag halten und ich bin mega aufgeregt. 

00:01:02 Sara Mohr: Bist du jetzt schon aufgeregt? 

00:01:05 Sarah Bühler : Das ist ja sogar nicht meine Welt zu Vorträge halten vor Publikum.

00:01:13 Sara Mohr: Wenn man die auch noch kennt, so keine Ahnung in der in der Uni oder  Ausbildung, wenn man irgendwie ne Arbeit gemacht hat und dann hat man das vor seiner Klasse oder seinem Kurs vorgestellt so dann kennst du alle Leute und dann ist es so ok, ne aber Kongress ist doch nochmal grösser? 

00:01:26 Sarah Bühler: Ja, aber auch da. Macht mein Körper einfach komische Sachen. Meine Sprache verhaspelt sich und, ja, ich zittere einfach immer so arg, dass mir gar nicht bewusst, aber ich krieg dann immer Rückmeldungen, dass das so schlimm ist und jetzt, da ich weiß, dass ich so zittere, achte ich noch mehr drauf und ach, ich bin total aufgeregt, aber ich freu mich. 

00:01:50 Sara Mohr: Hast du denn deine Strategien? Dass es dir besser geht damit?

00:01:55 Sarah Bühler: Ich hatte einmal einen Rock an. Da habe ich selbst gemerkt, wie sehr das wackelt und ich zittere.

00:02:02 Sara Mohr: Das wäre dann keine gute Strategie… 

00:02:03 Sarah Bühler: Also die Strategie ist, kein Rock mehr anzuziehen. (lacht)

00:02:11 Sara Mohr: Ja okay, ich kann dich auch an der Hand halten, wenn das hilft. 

00:02:14 Sarah Bühler: Ich krieg das ohnehin, ich übe. 

00:02:16 Sara Mohr: Ich bin voll dafür, dass wir händchenhaltend auf dem DVE Kongress stehen und einen Vortrag halten, das finde ich eigentlich ganz putzig. 

00:02:22 Sarah Bühler: Mhm nein. 

00:02:26 Sara Mohr: Alles nicht so hilfreich ne ok sorry. Ja, aber ein bisschen Vorfreude ist auch?

00:02:31 Sarah Bühler: Auf jeden Fall, ja. Zug ist gebucht, Hotel ist gebucht, die Veranstaltung steht. 

00:02:38 Sara Mohr: Der DVE Kongress ist ja der Anfang unserer Liebesgeschichte. 

00:02:43 Sarah Bühler: Ja, und wir haben auch in Bielefeld angefangen. 

00:02:48 Sara Mohr: Das stimmt, das stimmt, da sind wir Freunde geworden, magst du das erzählen? (lacht) 

00:02:56 Sarah Bühler: Was davon wollen wir denn erzählen? (kichert)

00:02:59 Sara Mohr: Also es war schon mal gar nicht geplant, dass nur wir 2 zum Kongress fahren, weil ich erinnere mich, dass damals aus der Praxis – wir haben ja zusammen in einer Praxis gearbeitet und wir kannten uns so halt, wie man halt so Kolleg*innen kennt…

00:03:08 Sarah Bühler: Ja, wir haben einen unterschiedlichen Standorten gearbeitet…

00:03:10 Sara Mohr: Genau man hat sich einmal die Woche zum Team gesehen und irgendwie nicht so viel miteinander zu tun; und dann hatten damals 3 oder 4 Leute gesagt, lass alle zusammen zum Kongress fahren und dann haben nacheinander alle abgesagt und am Ende waren nur wir 2 übrig.

00:03:31 Sarah Bühler: Ja und wir sind mit deinem Auto ohne Klimaanlage gefahren und weil wir uns ja nicht kannten, war das so mega unangenehm, weil wir beide so krass geschwitzt waren einfach. 

00:03:34 Sara Mohr: Ja, erstmal schwitzen zusammen 3 Stunden im Auto. 

00:03:41 Sarah Bühler: Ja, und wir 2 Sparfüchse haben wir uns natürlich ein Hotelzimmer geteilt. 

00:03:48 Sara Mohr: Und zum Glück haben wir auf der Fahrt dahin dann schon darüber gesprochen, dass wir beide in Familien aufgewachsen sind, wo es relativ selbstverständlich war, dass man sich gegenseitig auch mal nackt sieht. Und dann war es gar nicht schlimm (lacht), dass in unserem Hotelzimmer die Wand zwischen dem Schlafbereich und dem Bad eine Glaswand war. 

00:04:12 Sarah Bühler: Ich weiß noch, als wir da reingekommen sind und uns beiden so das Gesicht kurz abgestürzt ist. (lacht)

00:04:21 Sara Mohr: Man muss ja auch bedenken, wir hätten ja beinahe auch zusammen mit unserer Chefin diesen Kongress gehabt. Ja, das wäre dann schon – also liebe Grüße an dieser Stelle, ich hab sie sehr gerne – aber ich hätte nicht so ne durchsichtige Badezimmerwand mit ihr teilen wollen. 

00:04:37 Sarah Bühler:Ja ja, genau dieses Mal sind wir in einem anderen Hotel. 

00:04:42 Sara Mohr: Oh, haben wir da keine durchsichtige Wand? 

00:04:46 Sarah Bühler: Dieses Mal tatsächlich nicht. Ich hab das gecheckt. 

00:04:51 Sara Mohr: Jetzt wärs auch egal.  Ja, aber so fing alles an. Sehr schön, guck mal, kaum ist Daniel nicht da, reden wir über pornografische Inhalte (lacht).

00:05:02 Sarah Bühler: Ja, genau also, das ist meine Geschichte aus dem Alltag. Was gibt es bei dir Neues außer Spinnen und Papageien? 

00:05:11 Sara Mohr: Ja, wer uns auf Instagram folgt, merkt, dass meine Professionalität in Social Media Beiträgen in den letzten 2 Wochen abgenommen hat. Ich habe gemerkt, dass Tiere besser ziehen als Ergo Inhalt. Es tut mir leid, Leute, ich erzähle jetzt nur noch von Krabbeltieren (lacht), ne Quatsch. Ich hatte gestern ein sehr schönes Erlebnis in meinem Alltag. Das war einfach so, Menschen waren nett zu mir. Und, das passiert in Australien so oft aber, ich hatte die letzten Wochen ein bisschen, ach, ich musste zum Amt, weil mein Pass abläuft. Und das heißt, man muss jetzt zum Konsulat, weil eigentlich möchte man das natürlich nicht, deutsche Staatsangehörige sollen am besten ihren Reisepass in Deutschland beantragen. Man kann hier aber auch zum Konsulat gehen, dann ist das Ganze ein bisschen eine größere Aktion, aber das geht aber es ist halt, auch wenn es in Australien ist, ist es trotzdem deutsche Bürokratie und das war kein schöner Prozess, diesen Pass zu beantragen. Und auf der Homepage stand schon überall das dauert mindestens 10 Wochen, weil die natürlichen erhöhte Anfragen momentan haben, weil durch die Pandemie natürlich viele Leute hier in Australien sind, obwohl sie eigentlich gerne in Deutschland wären und dann auch hier in Pass beantragen müssen. Naja, also 10 Wochen gut, dann war jetzt diese Woche die 11. Woche da ist halt okay, das ist jetzt langsam auch nicht mehr lustig. Ich brauch ja ein Ausweisdokument zum Beispiel auch um jetzt mal einen Flug zu buchen, um im Mai dann zum Kongress zu kommen. Und ich habe eine E-Mail geschrieben, an das Konsulat und habe gesagt hier, ich wollte nur mal nachfragen ist da alles in Ordnung mit dem Pass? Und dann schrieben die mir gestern eine E-Mail zurück, eine sehr unfreundliche deutsche E-Mail, in der drinstand: Wir haben Ihnen ihren Pass schon vor 4 Wochen zugestellt. Was? Wie? Wie kann…? Ich hab nichts bekommen und das wurde ja mit so einem versicherten Versand natürlich verschickt, ne also das muss von mir persönlich in Empfang genommen werden. Und dann schicken Sie mir so einen Screenshot von der Versandnachverfolgung wo drin steht, dass es vor 4 Wochen bei der Post hier bei mir um die Ecke ankam. Ich dachte so Mist, so eine Poststelle, das ist ja hier genauso wie in Deutschland die heben das maximal 10 Tage auf, dann geht das zurück an den Absender und der Absender ist Sydney und ja so oh ne, jetzt kannst du dich durch das ganze Palaver durchwursteln. Sie sollen es wieder zu stellen, da muss man wahrscheinlich was bezahlen. Dann musst du gucken, wen du da anrufen musst, dann musst du jetzt mit dem Postmann verhandeln. Naja, also habe ich mich gestern Morgen direkt als erstes, als die Post aufgemacht hat, auf den Weg dahin gemacht.  Und das ist hier an der an der Uni so ein kleines Postlädchen und ich komme in dieses Postlädchen und der Mann kommt mir entgegen mit einem Brief in der Hand und sagt gut, dass sie endlich da sind. Ich hab mir gedacht, das hier ist bestimmt wichtig, ich heb das für Sie auf. 

00:08:10 Sarah Bühler: Oh, der wusste, dass du Deutsche bist und in Australien lebst, oder was? 

00:08:15 Sara Mohr: Der kannte mich, weil ich brauche immer mal persönliche Assistenz bei der Post, weil ich nie weiß… Es gibt halt so viele unterschiedliche Umschläge, je nachdem ob du versichert verschickst oder ob Express Versand ist oder… und ich krieg das nie hin, ich fülle das immer falsch aus, weil du musst ja manchmal auch so ein Zollding ausfüllen, ne? Und da brauche ich immer persönliche Assistenz von ihm. Das heißt, er wusste, das ist die komische Deutsche, die mit der Post Probleme hat. Und das war halt so ein dickerer Brief und er hat gesehen das kam vom Konsulat und er meinte: Ich dachte, das sind bestimmt wichtige Unterlagen für sie, ich heb die mal ein bisschen länger auf. So lieb ich ich habe mich so gefreut, ich muss irgendwas Nettes für diesen Mann machen, weil der so gut mitgedacht hat. 

00:08:59 Sarah Bühler: Backst ihm einen Kuchen.

00:09:01 Sara Mohr: Ich backe einen Kuchen…Ja, vielleicht. Ist auch ein bisschen weird fremden Leuten Kuchen mitzubringen (lacht), aber ich hab mich ganz lieb bedankt. Ja, so kann es auch funktionieren, das hat mich sehr gefreut gestern. Jetzt habe ich einen neuen Pass mit einem Bild drin, das aussieht, als würde ich kleine Kinder frühstücken, oder als hätten kleine Kinder versucht mich zu frühstücken. (lacht) Ja, aber Hauptsache neuer Pass. Genau das war mein Alltag gestern. 

00:09:35 Sarah Bühler: Okay. Wollen wir mit der Wissenschaft starten? 

00:09:47 Sara Mohr: Ich bin heute dran eine Studie mitzubringen, bevor wir mit der Studie anfangen wollte ich dich fragen Sarah, wann bist du zuletzt gestürzt? 

00:09:56 Sarah Bühler: Ich weiß es nicht. Aber ich stolpere viel. 

00:10:01 Sara Mohr: OK. 

00:10:02 Sarah Bühler: Aber dass ich tatsächlich gestürzt bin? Und irgendwo lag und wieder aufstehen musste, weiß ich nicht. 

00:10:11 Sara Mohr: Kannst du dich an irgendeinem von deinen Stürzen erinnern, was da passiert ist? 

00:10:18 Sarah Bühler: Einmal beim aus dem Bus steigen die Stufe nicht richtig eingeschätzt und dann bin ich so umgeknickt und lag zwischen Bürgersteig und Straße. Ich war so geschockt, dass ich direkt wieder aufgesprungen bin und weiter ging. Ja… Doch! Ich bin doch gestürzt, letztes Jahr. In der Praxis, auch Stufe. 

00:11:05 Sara Mohr: Auch runtergefallen oder hochgefallen? 

00:11:08 Sarah Bühler: Runtergefallen und ich bin nicht mehr alleine hochgekommen. 

00:11:12 Sara Mohr: Oh Gott ja

00:11:17 Sarah Bühler: genau. Der Papa von dem Therapiekind musste mich auf den Stuhl setzen.

00:11:20 Sara Mohr: Oh je. Das hast du erzählt, weil du da hattest du Socken an ne und das war irgendwie rutschig, oder? 

00:11:27 Sarah Bühler: Genau, in der Praxis sollte man immer Socken anhaben. 

00:11:32 Sara Mohr: Rutschsocken, Sarah, Rutschsocken. Jetzt muss ich das der Ergotherapeutin erklären. 

00:11:42 Sarah Bühler: Auf jeden Fall tat das richtig weh.

00:11:46 Sara Mohr: Mhm ja, glaube ich. 

00:11:47 Sarah Bühler: Und seitdem habe ich immer noch also Bedenken, Stufen sind sowas, das kann ich nicht gut einschätzen. 

00:11:54 Sara Mohr: Ja spannend ja, ich hab auch überlegt, weil also das Thema kann ich jetzt spoilern? Es geht um Sturzprävention in der Ergotherapie und ich habe auch überlegt, wann ich zuletzt gestürzt bin. Und das letzte, was mir einfällt, ist tatsächlich schon ein paar Jahre her,  und da bin ich zum Bus gerannt. Und ich hatte 2 große Taschen in der Hand und ich lief über die Straße an der Stelle, wo – liebe Kinder nicht nachmachen – wo kein Zebrastreifen oder Ampel war und ich hab eine Lücke zwischen den Autos abgepasst und bin da drüber gerannt und dann sind mir, während ich mitten auf dieser 25-spurigen Straße war, sind mir die die Taschen irgendwie zwischen die Beine gekommen und habe mich wirklich wie im Comic der Länge nach hingelegt auf die Straße und war auch, wie du, ich war so im Adrenalinrausch.  Scheiße, weiterlaufen, muss diesen Bus kriegen, dass ich sofort wieder aufgestanden bin. Und den Bus tatsächlich bekommen hab, hyperventilierend und vollkommen fertig und im Bus erst gesehen habe, dass ich mir beide Hände aufgeschlagen hatte, das Knie aufgeschlagen hatte, die Hüfte war nachher blau, weil ich so ein bisschen seitlich auf drauf gefallen bin. Aber das war erst mal richtig viel Adrenalin im ersten Moment. Und das ist schon ein paar Jahre her und dann ist mir eingefallen, es stimmt gar nicht. Ich bin vor ein paar Monaten auch gestürzt. Hier, da war ich krank und es ging mir nicht gut und mein Kreislauf ist mir weggesackt und ich bin hier im Flur zusammengeklappt. Und das assoziiere ich aber nicht mit einem Sturz. Weil ich bin ja nicht gestürzt, ich bin ja ohnmächtig geworden. 

00:13:39 Sarah Bühler: Hhm okay, ja. 

00:13:41 Sara Mohr: Genauso wie du eben auch gesagt hast, ich stolpere oft, aber ich falle ja gar nicht oft und das ist ein Punkt, über den wir heute reden werden. 

00:13:45 Sarah Bühler: Mhm ja, das stimmt. 

00:13:52 Sara Mohr: Wie unterschiedlich Stürze definiert werden. Tatsächlich gibt es eine offizielle Definition von der WHO, was ein Sturz ist, und er sagt das ist ein Ereignis, bei dem eine Person unbeabsichtigt auf dem Boden oder einer anderen tieferen Ebene zu liegen kommt. Also es geht gar nicht um diesen freien Fall, den wir mit einem Sturz assoziieren, sondern immer, wenn du dich auf den Boden befindest, obwohl du da gar nicht hin wolltest bist du gestürzt. 

00:14:22 Sarah Bühler: Okay. 

00:14:27 Sarah Bühler: Dann stürz ich beim Yoga ganz schön oft. 

00:14:34 Sara Mohr: (lacht) Das ist guter Punkt. Aber auch zum Beispiel, wenn jemand langsam, aber ungewollt aus dem Rollstuhl auf den Boden runterrutscht, weil er total blöd drinsaß oder wenn du dich vielleicht noch an der Küchenarbeitsfläche festhältst, aber dir sacken die Beine weg. Und dann sitzt du auf dem Boden. Auch das ist ein Sturz. 

00:14:51 Sarah Bühler: Mhm okay, ja ich hatte jetzt erst noch kurz die Überlegung gehabt, ob es was ist, wenn man nicht mehr alleine hochkommt. Das ist für mich das, was ich dann so erlebt habe. Das hat man sich so hilflos gefühlt. 

00:15:07 Sara Mohr:  Macht es natürlich schlimmer, Ja, das stimmt, das kommt noch erschwerend dazu. Genau, also sobald man sich unbeabsichtigt auf dem Boden wiederfindet. Ist man gestürzt.

00:15:21 Sarah Bühler: Ach mir fällt gerade sogar noch ein Sturz sein. 

00:15:24 Sara Mohr: Ja, dann fallen einem auf einmal mehr ein. Möchtest du denn auch berichten? 

00:15:28 Sarah Bühler: Weiß nicht, ob ich von meinem unerzogenen Hund berichten möchte? 

00:15:32 Sara Mohr: Oh ja, Haustiere sind auf jeden Fall einen Sturzrisikofaktor, kann ich dir sagen. 

00:15:37 Sarah Bühler: Ja ja, ich erinnere mich, dass ich auf dem Bauch über den Hundeplatz gezogen wurde. 

00:15:40 Sara Mohr: Ojeeh.

00:15:43 Sarah Bühler: Ja, das war echt, das war peinlich. 

00:15:48 Sara Mohr: Und schmerzhaft vermutlich. 

00:15:51 Sarah Bühler: Ging, es war so peinlich…

00:15:57 Sara Mohr: Es hat mehr innerlich weh getan, nicht äußerlich. 

00:16:02 Sarah Bühler: (lacht)

00:16:04 Sara Mohr: Aber das ist ein guter Punkt weil also wenn man sich die Definition klar macht, dann fallen einem wie du wie du sagst  mehr Situationen ein, wo man eigentlich gestürzt oder wo man kurz davor war zu stürzen und wir definieren es aber alle nur vom Wort her ein bisschen unterschiedlich. Das trifft ja noch viel mehr auf unsere Klient*innen zu, wenn die über Stürze sprechen, denn wie wir gerade schon gesagt haben was bedeutet es für eine Person, wenn sie stürzt? 

00:16:31 Sarah Bühler:Ja, man muss oft genauer nachfragen. So beim ersten Nachfragen kommt och nee und wenn man dann mal genauer fragt? Wie ist denn das so mit der  Badewanne, oder? 

00:16:46 Sara Mohr: Genau, weil gerade für eine Person, die älter ist oder die vielleicht in der Mobilität schon eingeschränkt ist. Wenn man zugibt ja, ich falle. Dann geht damit ganz viel einher, okay, ich gebe jetzt zu, dass ich das Zuhause nicht mehr alleine geregelt bekomme. Ich gebe jetzt zu, dass ich alt bin. Die Leute haben Angst davor, Autonomie zu verlieren oder vielleicht sogar jetzt zusätzlich Pflege zu bedürfen, da geht eine ganz große Stigmatisierung auch einher mit Stürzen. Deshalb gibt es ein paar Studien, die zeigen, dass gerade ältere Menschen dazu neigen, Stürze zu bagatellisieren, also so, ja, ich bin mal gefallen, aber das war auch gar nicht schlimm und das passiert ja jedem mal.

00:17:36 Sarah Bühler: Und die blauen Flecken gehen ja wieder weg, da ist nichts kaputt gegangen. 

00:17:40 Sara Mohr: Genau und gerade auch Stürze ohne größere Verletzungen werden vielleicht gar nicht erwähnt. Ich hab mir nicht wehgetan, das zählt ja nicht. 

00:17:46 Sarah Bühler: Und das habe ich hier gerade auch gemacht. 

00:17:50 Sara Mohr: Stimmt du hast auch ein bisschen bagatellisiert, ja. Genau und dabei wäre es aber so wichtig, gerade dieser Personengruppe, ältere Menschen, Menschen, die vielleicht schon ein bisschen in der Mobilität eingeschränkt sind, Sturzprävention zu ermöglichen, weil wir wissen, dass 40% der über 65 Jährigen mindestens einmal im Jahr stürzt. Und wir wissen, dass, wenn du einmal gestürzt bist, ist die Gefahr, dass du wieder und wieder stürzt, immens erhöht. 

00:18:22 Sarah Bühler: Und damit ja auch Verletzungsrisiko, umso öfter man stürzt. 

00:18:26 Sara Mohr: Genau klar.

00:18:26 Sarah Bühler: Umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass man auch einer Behandlung bedarf. 

00:18:32 Sara Mohr: Genau, liebe Freunde der Evidenz, alle Zahlen, die ich hier heute nenne, sind natürlich nachher mit Quellenangaben in den Shownotes. Fällt mir nur gerade ein im Sinne der Transparenz ein. 
Auch im Sinne der Transparenz müssen wir offenlegen, dass Sarah und ich uns in den letzten Wochen und Monaten viel mit dem Thema Sturz und Sturzprävention beschäftigt haben, weil wir es so wichtig finden und wie immer, wenn uns ein Thema wichtig ist, haben wir euch ein Modul dazu erstellt, deshalb kurzer Werbeblock. Müsst ihr uns erlauben. Diesen Podcast gibt es kostenlos. Aber wenn ihr noch viel, viel mehr Wissen zu Stürzen und Sturzprävention wollt, dann könnt ihr auf Ergo-unterwegs.de ab sofort unser neues Minimodul buchen, in dem ihr alles über Sturzprävention in der Ergotherapie lernt. 

00:19:21 Sarah Bühler: Alles ist ein großes Wort. 

00:19:24 Sara Mohr: Viel, sehr viel, dass ihr direkt in eurer Praxis anwenden könnt. Mehr Werbung will ich auch gar nicht machen, ihr kriegt das schon hin. Ihr klickt auf den Link in den Shownotes. Ich dachte, ich nutze den Podcast, um nochmal intensiv auf die Klient*innenperspektive einzugehen weil wir wissen ja, dass evidenzbasierte Praxis auf den 3 Säulen ruht:

00:19:47 Sarah Bühler: Klient*innperspektive. 

00:19:50 Sara Mohr: Interne Evidenz, also meine eigene Berufserfahrung. 

00:19:56 Sarah Bühler:  Externe Evidenz, wissenschaftliche Artikel oder Untersuchungen.

00:20:04 Sara Mohr: Und ich habe überlegt, Sarah, das musst du mir jetzt sagen. Ob wir das machen sollen? Ich habe eine qualitative Studie mitgebracht, weil es ja um die Erfahrung der Klient*innen geht und wollte fragen, ob wir nochmal kurz über den Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Forschung sprechen sollen, weil ich glaube, das haben wir noch nicht so richtig klar gestellt im Podcast. 

00:20:26 Sarah Bühler: Ich glaube, das macht Sinn wer das nicht hören mag, kann einfach vorspulen.

00:20:35 Sara Mohr: Aber ich fasse es wirklich kurz, aber ich finde den Unterschied wichtig, einmal zu erkennen und das begegnet uns ja hier auch öfter im Podcast. Wir haben ja immer wieder unterschiedliche Arten von Studien, die gehen ja sehr unterschiedlich vor. Daniel hatte mal ein RCT vorgestellt. Wir haben uns schon mehrere qualitative Studien angeguckt, und bevor wir hier mit Worten um uns schmeißen, die niemand versteht dache ich wir gehen nochmal kurz drauf ein.  Quantitative Forschung, der Großteil der Forschung, der uns so im Alltag begegnet oder dieses Klischee Bild von Forschung, das wir so in unserem Kopf haben, ist quantitative Forschung, also es geht um Zahlen. Es geht um Statistik, es geht um Wahrscheinlichkeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist das ganz klassische RCT, also die randomisiert kontrollierte Studie. Die hatten wir ja auch hier schon teilweise, also Forschende stellen die Hypothese auf zum Beispiel es gibt hier eine neue Intervention oder ein neues Medikament und ich sage das wirkt besser als ein Vergleichsmedikament oder besser als das Placebo. Dann brauche ich eine kontrollierte Studienumgebung, in der ich das testen kann, diese Hypothese. Die meisten machen das mit mehreren Gruppen, damit ich diese Gruppen nachher vergleichen kann. Eine Gruppe bekommt das Medikament, eine Gruppe bekommt das Placebo.  Und am Ende vergleiche ich die beiden Gruppen und kann statistisch berechnen ist der Unterschied zwischen den Gruppen Zufall oder ist da ein signifikanter Unterschied, der dann hoffentlich auf das Medikament zurückzuführen ist. Ein Beispiel für eine quantitative Studie wäre: ich frage mich, reduziert es die Sturzhäufigkeit von älteren Menschen, wenn Ergotherapeut*innen eine Wohnraumberatung durchführen mehr, als wenn Laien eine Wohnraumberatung durchführen. 

00:22:29 Sarah Bühler: Mhm okay.

00:22:30 Sara Mohr: Wir haben 2 Gruppen verglichen, Ergos machen Wohnraumberatungen mit ein paar Leuten, Laien machen, eine Wohnraumberatung mit ein paar Leuten, dann guck ich macht das einen Unterschied? Diese Studie wurde tatsächlich gemacht. Pighills und Kolleg*innen, 2011 und es kam raus: Ja, es macht einen Unterschied. Es reduziert die Stürze mehr, wenn er Ergos eine Wohnraumberatung machen. 

00:22:50 Sarah Bühler: Jaay.

00:22:53 Sara Mohr: Was jetzt aber wichtig ist bei der Interpretation von quantitativen Studien: das Ergebnis gibt erstmal nur eine Korrelation an, keine Kausalität. 

00:23:05 Sarah Bühler: Das ist wichtig. Kannst du uns den Begriff Korrelat, ich kann ihn gar nicht aussprechen, Korrelation und Kausalität erklären?

00:23:15 Sara Mohr: Genau wir sehen das ganz gut an dem Beispiel: in unserer Studie kam raus es gibt einen Zusammenhang zwischen ergotherapeutischen Wohnraumanalysen und reduzierter Sturzhäufigkeit, da ist ein Zusammenhang. Wir können aber noch nicht nur basierend auf dieser Studie sagen, dass das ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ist. 

00:23:37 Sarah Bühler: Ursache-Wirkung ist Kausalität. 

00:23:40 Sara Mohr: Kausalität genau okay, ich mach noch ein anderes Beispiel ich glaube, dann wird es deutlicher. Das ist ein schönes Beispiel, dass ich selber mal in einem Podcast vor drölf Jahren gehört habe. Da wurde eine Umfrage gemacht und unter anderem wurden die Leute nach ihrer Schuhgröße und nach ihrem Gehalt gefragt und dann hat man die Angaben nachher statistisch ausgewertet und es kam raus: Guck mal je größer die Schuhgröße, desto höher das Gehalt. 

00:24:07 Sarah Bühler: Aha, das ist ja eine merkwürdige Korrelation. 

00:24:10 Sara Mohr: Genau weil, wenn es eine Kausalität wäre, würde das heißen ich kauf mir morgen größere Schuhe und dann verdiene ich ab Morgen mehr Geld.

00:24:18 Sarah Bühler: Oh, das wäre ja toll. 

00:24:20 Sara Mohr: Das wäre toll, leider leben wir nicht in dieser Welt. In der dieser Zusammenhang ein kausaler is. Es ist nur eine Korrelation, das heißt, die beiden Dinge tauchen gemeinsam auf. Wir sehen große Schuhe und hohes Gehalt, tauchen gemeinsam auf. Aber der Zusammenhang ist noch nicht klar. In diesem Beispiel ist der kausale Zusammenhang zwischen Schuhgröße und Gehalt, Alter und Geschlecht. Weil wir wissen ja, dass je älter du bist, desto tendenziell höher ist dein Gehalt also jemand erwachsenes verdient mehr Geld als ein Schulkind und hat auch größere Schuhe als ein Schulkind. Und Männer haben im Durchschnitt größere Füße. Und verdienen im Durchschnitt mehr als Menschen anderer Geschlechter. Wir müssen vorsichtig sein mit kausalen Aussagen, basierend auf nur einer Studie das müssen wir immer ein bisschen Bedenken. Also zusammengefasst: quantitative Forschung, Hypothese, Statistik, Korrelation. Mit quantitativer Forschung kann ich Ja-Nein-Fragen beantworten, also wirkt dieses Medikament besser als ein anderes Medikament? Hilft die Intervention besser als eine andere Intervention? Aber was ist mit Fragen wie: Warum profitieren manche Menschen von einer Intervention mehr als andere? Oder warum wählen Klient*innen lieber das Medikament statt dem Medikament? Oder wie verhalten sich Menschen eigentlich in einem Therapieprozess? 

00:25:55 Sarah Bühler: Das geht nicht mit ja oder Nein. 

00:25:56 Sara Mohr:  Diese W- Fragen, Das geht nicht mit ja oder Nein. Genau dafür braucht es qualitative Forschung und qualitative Forschung ist ein bisschen eine andere Herangehensweise an Wissen. Also sie sagt: Wir suchen nicht die eine Wahrheit, die für alle gilt, sondern wir schauen ganz konkret bei dieser einen Person, in dieser einen Situation warum handelt sie so, wie sie tut? 

00:26:20 Sarah Bühler: Oder auch Gruppen, warum handeln bestimmte Gruppen so um es schon ein bisschen grösser zufassen.

00:26:26 Sara Mohr: Genau aber generell haben wir in der qualitativen Forschung wesentlich kleinere Stichproben, also bei quantitativer Forschung, wir hatten ja hier schon RCT mit 350 Teilnehmenden da gilt generell je mehr Leute ich hab, desto besser für meine Ergebnisse, grob gesagt. Gilt auch nicht immer, aber tendenziell ist mehr immer besser. In der qualitativen Forschung hat man häufig Stichprobengrößen von 5 bis vielleicht 20 Personen, also viel viel kleiner und die Forschungsmethoden sind viel kreativer was ich ja persönlich so spannend finde an qualitativer Forschung. Also wir hatten ja hier schon zum Beispiel über Fokusgruppen gesprochen, also man führt eine Gruppendiskussion und wertet die nachher aus, weil man dann schön die verschiedenen Perspektiven sieht. Es werden ganz häufig Einzelinterviews mit Leuten geführt, wo man dann richtig schön in die Tiefe gehen kann im Gespräch. Es gibt was das nennt sich Photo Voice. Das finde ich persönlich super spannend, da gibt man Leuten eine Kamera mit in ihren Alltag und sie sollen eben bestimmte Situationen oder bestimmte Dinge, die für sie von Bedeutung sind, fotografieren und danach spricht man mit den Leuten über die Fotografien oder es gibt auch Projekte, die haben dann eine Ausstellung zu diesen Fotografien gemacht. Du kannst Beobachtungen machen, als Forschende also einfach Gruppen von Menschen beobachten, wie verhalten die sich in bestimmten Situationen. Es gibt participatory action research, da sind die Studienteilnehmenden selbst auch an der Gestaltung der Studie beteiligt. Also sie sind Forschende und Teilnehmende. Also ganz viele kreative Methoden. Und die qualitative Forschung möchte einfach eher in die Tiefe gehen, als einen Überblick zu bekommen.  Auch hier muss man vorsichtig sein, wenn man eine Studie interpretiert, weil die eben so in die Tiefe geht. Deshalb gilt sie häufig nur für einen ganz speziellen Personenkreis. 

00:28:18 Sarah Bühler: Oder einen speziellen Fall. 

00:28:21 Sara Mohr : Oder einen speziellen Fall. Ich kann die Ergebnisse nicht notwendigerweise übertragen auf alle Menschen.  Ich mach hier auch ein Beispiel.  Wurde in einer qualitativen Studie untersucht, wie ältere Menschen die Teilnahme an einem Sturzpräventionsprogramm empfinden und warum sie die Übungen zu Hause fortsetzen oder warum sie die Übungen nicht zu Hause fortsetzen. Also lauter W- Fragen da drinnen.

00:28:48 Sarah Bühler: Und das sind ja aber wichtige Fragen finde ich. Für den Transfer. 

00:28:56 Sara Mohr: Genau ging ganz viel darum wie klappt eigentlich der Transfer von dem Programm in den Alltag der Leute, eine sehr ergotherapeutische Frage wie ich finde. Genau und die haben mit 23 Personen gesprochen, und sie sagen selber in der Studie ganz klar unsere Ergebnisse gelten für diese 23 Personen, das waren alles ältere Leute aus England aus einer ländlichen Gegend, bei denen wissen wir jetzt für die hat das gegolten, wir wissen nicht, ob das für ältere Leute in Deutschland gilt. Wir wissen nicht, ob das für bisschen jüngere Leute gilt. Also man kann es nicht einfach so verallgemeinern. 

00:29:37 Sarah Bühler: Aber es gibt eine Tendenz. 

00:29:39 Sara Mohr : Aber es gibt eine Tendenz und es kann eben auch basierend auf qualitativer Forschung, die kann man eigentlich sehr gut als Basis nehmen, um daraus dann Ja-Nein-Fragen abzuleiten für eine gute quantitative Forschung. Die beiden Forschungsfelder spielen eigentlich sehr gut zusammen, weil sie sich ergänzen ist ja auch so, dass keine einzige Studie die ganze Wahrheit erhält enthält. Deshalb beschreiben Forschende in ihren Studien ja auch immer den Abschnitt Limitations. Da erklären Forschende in jedem Artikel relativ offen und ehrlich okay, das hat bei unserem Projekt gut geklappt. Das war bei unserem Projekt schwierig, da muss man bei unseren Ergebnissen aufpassen. So könnten die interpretiert werden, so eher nicht. 

00:30:25 Sarah Bühler: Und ganz viele sagen auch man soll weiter forschen. 

00:30:29 Sara Mohr: Der letzte Satz ist immer More research is needed. Einmal die Eier haben am Ende der Studie den Satz zu schreiben „ Wir haben dieses Feld zu Ende erforscht. Hier ist die Antwort wir brauchen keine weitere Forschung mehr dazu.“

00:30:45 Sarah Bühler: Also das hat nichts mit Eier haben zu tun, sondern das Wissen erweitern oder weiter zu untersuchen macht doch immer Sinn, man kann doch immer mehr finden.

00:30:55 Sara Mohr: Hast du schön gesagt.Geht immer noch mehr, auf jeden Fall, das nehmen wir als Abschlusswort. Und starten mit unserer Studie, oder? 

00:31:07 Sarah Bühler: Ja, Ach, das war noch gar nicht die Studien, ja, dann hau raus. 

00:31:10 Sara Mohr: Ich habe tatsächlich das letzte Beispiel, das ich gebracht habe, ist die Studie, über die wir heute sprechen, die ist von Finnegan und Kolleginnen. Das sind Forschende aus den UK, aus England. Die Studie heißt „Life after falls Prevention ends –  Experiences of older people taking part in a clinical trial: a phenomenological study“. Also das Leben nach der Sturzprävention ist der Titel. Wurde veröffentlicht in BMC Geriatrics letztes Jahr, 2021.Was ein bisschen wichtig ist, bevor wir mit der Studie starten, zum ersten Mal in diesem Podcast sind die Forschenden keine Ergotherapeut*innen, aber ich fand die Studie so cool und ich fand, wie wir gerade schon gesagt haben die Fragestellung ist eigentlich eine sehr ergotherapeutische. Aber es waren keine Ergos. Es ist auch nicht in einer Ergo-Zeitschrift veröffentlicht. Deshalb müssen wir unsere ergotherapeutische Brille heute besonders scharf stellen, um das ergotherapeutisch zu interpretieren. 

00:32:18 Sarah Bühler: Alles klar.

00:32:22 Sara Mohr: Genau die starten den Artikel damit, dass Sie sagen, um Stürzen effektiv vorzubeugen, gibt es in den UK Studien, die sagen, dass sturzgefährdete Personen an einem Sturzpräventionsprogramm teilnehmen sollten, das über 6 Monate hinweg stattfindet und mindestens 50 Stunden Training ermöglicht. Das kommt, ich hab es ausgerechnet, ungefähr auf 2 Stunden Training pro Woche, ein bisschen mehr.

00:32:50 Sarah Bühler: 2 Stunden gemeinsam oder alleine? 

00:32:53 Sara Mohr: In einem Programm gemeinsam. Und dieses Pensum ungefähr 2 Stunden pro Woche. 

00:32:58 Sarah Bühler: Wer finanziert das? 

00:33:03 Sara Mohr: Nö, das haben die nicht spezifiziert. Das ist einfach nur das Ergebnis von der Evidenz bisher. Das sollte stattfinden, damit die Sturzprävention effektiv ist, 6 Monate, 50 Stunden und dieses Pensum sollte auch dann nach langfristig selbstständig weiter durchgeführt werden von den Leuten, das heißt, sie sollten langfristig selbstständig 2 Stunden pro Woche Übungen machen. 

00:33:27 Sarah Bühler: Das ist spannend.

00:33:31 Sara Mohr: Ja, was sagt deine ergotherapeutische Erfahrung dazu? Wie gut setzen Menschen selbstständig langfristig 2 Stunden Übungen in ihrem Alltag um? 

00:33:42 Sarah Bühler: Wie gut schaffst du das denn? 

00:33:46 Sara Mohr: (lacht) Das ist die richtige Frage sehr gut. Keine Ahnung, das ist gemein, ja nicht so gut. 

00:33:56 Sarah Bühler: Ich würde sagen, das ist phasenabhängig und wie oft mich jemand daran erinnert und wie wichtig es mir ist. 

00:34:02 Sara Mohr: Ja, und das muss in meinen Alltag reinpassen, also wenn es irgendwas Abstruses ist… und ich muss Spaß daran haben. 

00:34:10 Sarah Bühler: Und für mich ist es immer noch ein bisschen wettkampfmäßig sein. 

00:34:14 Sara Mohr: Mhm, das heißt, du würdest es eher in der Gruppe, dann auch machen? 

00:34:24 Sarah Bühler: Ja, ich habe auch diese Uhr ja, wo dann so Wettkämpfe stattfinden also da kann ich ja abends dann nochmal losgehen. 

00:34:31 Sarah Mohr: Schaffst du das?

00:34:33 Sarah Bühler: Klar und wenn ich auf der Stelle laufe. Letzter, werde ich nicht. (lacht)

00:34:39 Sara Mohr: Siehste diesen Ehrgeiz habe ich gar nicht, das wäre ja krass, das ist ja schon mal gut, aber wir sehen die Faktoren sind sehr individuell, warum Leute sowas zu Hause umsetzen. Genau in der Studie wollten sie halt nicht nur wissen, ob die Leute zu Hause weiter üben, sondern warum sie Zuhause weiter üben oder warum sie nicht zu Hause weiterüben, also was die Gründe sind, was Ressourcen oder Barrieren sind, warum Leute sowas weiter umsetzen. Um so eine Studie gut zu machen, bräuchte man jetzt halt mal ein paar ältere Leute, von denen man weiß, die haben am besten dasselbe Programm gemacht, das auch wirklich über diese 6 Monate ging, das diese 50 Stunden hatte, wo die Inhalte am besten auch noch gleich waren, damit ich die Leute befragen kann. Das macht es dann schon ein bisschen schwieriger, so eine Stichprobe zu kriegen. Praktischerweise haben die Autorinnen gerade selber an einer anderen Studie mitgearbeitet. Das war ein ganz großes RCT wo ein Sturzräventionsprogramm, das heißt Prevention of Falls Injury Trials PreFIT, da wurde untersucht, ob wie dieses Strzpreventionsprogramm wirkt, das heißt, da hatten die mehrere hundert Teilnehmende, die in 2 Gruppen aufgeteilt wurden. Die einen haben das Programm bekommen, die anderen haben eine andere Intervention bekommen. Da waren schon Probanden, die an einem Programm teilgenommen hatten, das unter wissenschaftlicher Aufsicht sogar stattgefunden hat, wo sie schon Daten quasi gesammelt haben und also da fragen wir doch gerade mal. 

00:36:10 Sarah Bühler: Na das nutzen wir doch, klar.

00:36:14 Sara Mohr: Das nennt man dann Gelegenheitsstichprobe. 

00:36:16 Sarah Bühler: Mhm ja, was bestimmt auch in den Limitations aufgeführt ist? 

00:36:22 Sara Mohr: Muss ich nochmal nachgucken, habe ich jetzt nicht im Kopf aber also sie legen es offen in ihren Methoden. Wir hatten die Leute von da. Genau das heißt, sie haben alle Leute, die in der Interventionsgruppe bei diesem großen Trial dabei waren, angeschrieben und gesagt Hey, wollt ihr nicht noch mitmachen bei einer qualitativen Studie? Wichtig ist die Leute haben das Programm gemacht. Dann war 3 Jahre Pause. 

00:36:46 Sarah Bühler: 3 Jahre? 

00:36:47 Sara Mohr: 3 Jahre. Und dann haben Sie an der qualitativen Studie teilgenommen weil wir wollen ja wissen, wie ist die langfristige Umsetzung

00:37:01 Sarah Bühler: Uff, ich überlege gerade, ob ich irgendwas von vor 3 Jahren dauerhaft übernommen habe. 

00:37:15 Sara Mohr: 23 Personen haben teilgenommen, also für eine qualitative Studie eine recht große Stichprobe und sie haben darauf geachtet, dass sie möglichst unterschiedliche Leute als Teilnehmende haben. Also das Alter war zum Beispiel zwischen 74 und 93 Jahren.  Nicht alle von den Teilnehmenden waren schon mal gestürzt, aber alle waren sturzgefährdet. Natürlich sonst würden die nicht an dem Präventionsprogramm teilnehmen. Die Erstautorin ist dann zu allen Leuten nach Hause gefahren und hat die Interviews mit ihnen durchgeführt. Und die Analyse dieser Interviews ergab 5 Themen, die den Teilnehmenden wichtig waren und über diese 5 Themen sprechen wir jetzt kurz. Das erste Thema machen wir nur ganz kurz. Das erste Thema hies „happy to help“ da ging es einfach nur darum was war die Motivation, warum die Leute überhaupt an dem Programm mitgemacht haben? Das ist für uns jetzt weniger interessant. Für die meisten war das, ich wollte den Wissenschaftler*innn helfen bei ihrer Forschung. Dass ist jetzt nicht so relevant. Thema 2 wird dann schon viel spannender „exercise behaviour“, also das Übungsverhalten, das heißt, die Leute wurden gefragt wie war das denn für sie mit den Übungen? Was haben Sie für Benefits darin gesehen? 

00:38:33 Sarah Bühler: Weißt du ob biografisch gefragt wurde? Also waren sie ein Typ, der schon immer viele Übungen oder immer Sport gemacht hatte? 

00:38:42 Sara Mohr: Das habe ich jetzt nicht gesehen, das war eine spannende Frage. 

00:38:45 Sarah Bühler: Weil ich merke, dass, wenn ich Klient*innen habe, die früher Leistungssportler*innen waren oder immer viel Sport gemacht haben, die kommen mit funktionellen Übungen oder auch mit diesen Übungen zu Hause selbstständig in der Regel, ist mein Gefühl, besser zurecht. 

00:39:06 Sara Mohr: Ja, das ist eine andere Einstellung schon zu Sport generell oder auch zur Bewegung? Ja, das ist spannend. Also zumindest wurde es nicht angegeben in den Ergebnissen. Die Teilnehmenden haben aber alle angegeben, dass das Sturzpräventionsprogramm ihnen gut getan hat, sie fanden das alle gut. Viele haben auch angegeben, dass sich Dinge verbessert haben, zum Beispiel haben viele gesagt, sie hätten jetzt mehr Kraft in den Beinen oder ihre Gelenke waren beweglicher. Lustigerweise war es ein Sturzpräventionsprogramm aber niemand hat gesagt: Ah ja, das hilft mir jetzt aber sicherer zu gehen und ich stürze jetzt auch weniger. Niemand hat das auch nur erwähnt, also der Hauptpunkt der ganzen Untersuchung wurde von den Teilnehmenden überhaupt nicht wahrgenommen (lacht). 

00:39:57 Sarah Bühler: Haben sie den Teilnehmenden gesagt was das Thema des Programms war? 

00:39:58 Sara Mohr: Ein bisschen frustrierend für diese Mission. 

00:39:59 Sarah Bühler: Ok gut die Frage ist auch wie relevant sind Stürze? Wir haben jetzt auch ein bisschen gebraucht, um uns zu erinnern. Also für mich sind sie nur präsent, wenn sie gerade passiert sind.

00:40:25 Sara Mohr: Also während die Studie stattgefunden hat, mussten die Teilnehmenden Sturztagebuch führen. Das heißt, sie mussten jeden Tag angeben, bin ich gefallen, bin ich nicht gefallen. Das führt ja schon auch dazu, dass du dich intensiver mit dem Thema auseinander setzt.  Naja, auf jeden Fall haben die das nicht als Benefit erwähnt. Im Programm wurde den Leuten vermittelt, dass sie die Übungen nach Ende des Programms dreimal pro Woche fortsetzen sollen. Wollen wir mal zusammen raten, wie viele der Teilnehmenden nach 3 Jahren noch dreimal die Woche ihre Übungen gemacht haben?

00:40:57 Sarah Bühler: Null? 

00:40:57 Sara Mohr: Genau (lacht). Barrieren, die sie dafür angegeben haben, warum sie die Übungen nicht mehr machen war bei einigen, dass sie gesagt haben ja, ich war motiviert, in das Programm zu gehen, das war irgendwie eine Gruppe, das war so ein fester Termin, aber allein zu Hause wozu denn? Warum soll ich? Das bringt mir ja nichts, macht keinen Spaß. 

00:41:12 Sarah Bühler: Kann ich voll nachvollziehen. 

00:41:15 Sara Mohr: Ja, kann man kann auf jeden Fall nachvollziehen. Manche Teilnehmende sagen auch, sie empfanden die Übungen alleine zu anstrengend oder zu gefährlich. Sie haben sich nicht getraut, das alleine umzusetzen und einigen wurde sogar von ihren Hausärzt*innen abgeraten, alleine solche Übungen durchzuführen. 

00:41:35 Sarah Bühler: Okay. Aufklärungsbedarf. 

00:41:42 Sara Mohr: Aufklärungsbedarf. Interessanterweise gaben viele Teilnehmende an, dass sie zwar das vorgeschriebene Programm nicht umsetzen, aber „ich mache ja sonst in meinem Alltag ganz viel“, also manche haben gesagt „Ich geh ja ganz viel mit meinen Enkeln spazieren und ich geh ja zum Yoga und ich geh ja in die Gymnastikgruppe in der Gemeinde einmal die Woche.“ Und für ganz viele, und das ist ein ganz wichtiger Punkt, über den wir nachher nochmal kurz sprechen, war laufen – also ich bewege mich ja viel in meinem Alltag – war die häufigste und wichtigste körperliche Aktivität. Und wir wissen, ich nehme das kurz mal vorweg, wir wissen aus der Forschung, dass Laufen – Also zum Supermarkt laufen oder in der Wohnung laufen… 

00:42:27 Sarah Bühler: Das Sturzrisiko nicht reduziert…

00:42:27 Sara Mohr: Das Sturzrisiko nicht reduziert. Es ist gut fürs Herz-Kreislauf-System. Wir wissen, es kann ein präventiver Faktor sein bei Demenz. Aber es hilft nicht, es ist keine Sturzpraevention.

00:42:45 Sarah Bühler: Ein Trugschluss. 

00:42:45 Sara Mohr: Ein wichtiger Punkt hier, ein Trugschluss, ja. Aber die Forschenden vermuten, dass das am ehesten von den Leuten umgesetzt wird, weil das schon integrierte Teile von Routinen sind. Das machen die schon immer, „ich geh schon immer jeden Mittwoch morgens zum Supermarkt zum Einkaufen, das ist schon in meinem Alltag da.“  Da muss ich nicht mehr diese Energie aufbringen, jetzt irgendwas Neues zu integrieren. Kann man nachvollziehen. Manche Teilnehmende – und jetzt kommt mein Lieblingszitat aus der ganzen Studie – in qualitativen Studien sind ganz häufig auch Zitate von den Teilnehmenden drin, was die Original gesagt haben und eine Teilnehmende hat gesagt „ Die Ärzte sagen immer, das Schlimmste, was man machen kann, ist einfach nur einem Stuhl zu sitzen. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als einfach nur in meinem Stuhl zu sitzen.“ 

00:43:40 Sarah Bühler: Das sind doch die Klient*innen, auf die man Lust hat. 

00:43:45 Sara Mohr: Ich finds so schön, ehrlich völlig ernsthaft, ja mein Gott, wenn du halt 93 bist und du hast jetzt Bock da in deinem Sessel zu sitzen, dann sitz zur Hölle doch da drin. 

00:43:46 Sarah Bühler: Ja, ich finde auch manchmal ist einfach vorbei, ne? 

00:44:02 Sara Mohr: Das ist doch in Ordnung. 

00:44:03 Sarah Bühler: Manchmal muss man auch überlegen, was man mit der einem verbleibenden Zeit noch anfängt. 

00:44:08 Sara Mohr: Ja, wenn ich es super schön finde, auf meinem Stuhl zu sitzen, darf ich auf meinem Stuhl sitzen. 

00:44:14 Sarah Bühler: Kein Therapiebedarf.

00:44:17 Sara Mohr: Nee, also ja, genau da war in dem Moment einfach da war kein Bedarf da, keine eigen Motivation, wenn ich doch hier zufrieden bin, warum soll ich denn da was ändern?

Damit gehen wir zum nächsten Thema „I keeps me going”. Also es hält mich am laufen, da wurden die Leute befragt, was denn ihre Motivatoren waren für die Umsetzung der Übungen im Alltag, weil am Anfang haben es manche ja schon noch umgesetzt. Und das Ziel war für viele natürlich in dem Alter so lange wie möglich fit und selbstständig bleiben. Und dann eben diese Grundannahme, wenn ich Sport mache, wenn ich mich viel bewege, dann bleibe ich auch lange fit und gesund. Dabei verglichen sich ganz viele Teilnehmende mit anderen Gleichaltrigen und nahmen das entweder als Ansporn. Also hier meine Nachbarin, die ist im selben Alter und die bewegt sich auch so viel und die ist so toll und dieses Jahr ist die nach Mexiko in Urlaub gefahren und die bewundere ich. Die nahmen das als Ansporn und als Vorbild. Sie nahmen manchmal Gleichaltrige auch um sich selbst besser zu fühlen. Also der Nachbar, der ist im gleichen Alter und er kann ja gar nichts mehr, aber ich bin ja noch gut dabei. Noch ein Zitat, weil ich das so schön fand. Die älteste Teilnehmerin 93 Jahre, wurde zitiert und hat gesagt „Ich glaube, sobald die Leute mein Alter kennen, neigen sie dazu, mir Dinge abzunehmen und das ärgert mich, ich mag das nicht.“ Also da ging es ganz viel um Außenwahrnehmung auch und nach außen Selbstständigkeit und Autonomie demonstrieren und „Ich krieg das alles noch hin, ich krieg sogar noch meine Übungen jeden Tag hin.“ Und ich habe überlegt einerseits ist es toll, weil ich glaube, das ist ein großer Motivator zu sagen, die Nachbarn machen das so cool, ich will das auch machen. Aber dann habe ich mich auch gefragt, ob das nicht auch das Mindset ist, dass es für manche Leute schwierig macht, Hilfsmittel anzunehmen? Weißt du, wie ich meine? 

00:46:40 Sarah Bühler: Weil andere keine Hilfsmittel haben. 

00:46:43 Sara Mohr: Weil andere keine Hilfsmittel haben oder weil ich ja so fit wie möglich erscheinen möchte. Das ist ja auch ein Druck, der von außen aufgebaut wird, also was ist das überhaupt für eine Grundannahme, dass du mit 93 Jahren noch super fit sein musst? Also muss ich das denn? Ist es nicht ok, wenn ich in meinem Sessel sitzen will, oder wenn ich einen Rollator benutze oder wenn ich ne Greif hilfe benutze oder wenn ich einen Duschstuhl benutze, ist es nicht ok? Muss ich das alles noch machen wie mit 23? 

00:47:11 Sarah Bühler: Ja, ja, wir hatten die Diskussion ja schon öfter, was ich glaube, es gibt 2 verschiedene Typen von Menschen. 

00:47:18 Sara Mohr: Nur 2 ist gut. Dann behalte ich die Übersicht.

00:47:20 Sarah Bühler: Einen Typ, der etwas macht, wo es um die Sache geht, um die eigentliche Sache oder um das Ergebnis. Also ich gehe essen und zwar genau in das Restaurant, weil ich genau dieses Schnitzel haben möchte. Da gibt es auch wenig, das abweichen kann. Und das wird nur ein guter Abend, wenn wir genau in dieses Restaurant gehen und dieses Schnitzel essen. 

00:47:57 Sara Mohr: Okay. 

00:47:58 Sarah Bühler: Und dann gibt es Menschen. Die gehen ins Restaurant, nicht aber mit dem Ziel was zu essen, sondern wegen dem Erlebnis. 

00:48:11 Sara Mohr: Die einen sind ergebnisorientiert, die anderen sind prozessorientiert?

00:48:14 Sarah Bühler: Ja, danke genau so meine ich das. 

00:48:21 Sara Mohr: Du hast Recht in der Praxis sehe ich oft, dass es Leute gibt, die wollen sich weiterhin genauso duschen, wie sie sich immer geduscht haben und wenn es nicht genauso funktioniert…

00:48:33 Sarah Bühler: Genau und dann gibt es Leute, denen geht es darum, sauber zu sein, wie das passiert…

00:48:39 Sara Mohr: Und die sind okay, damit ein Hilfsmittel zu benutzen, Hilfe anzunehmen. Egal Hauptsache, ich bin nachher geduscht. Ja, also, das habe ich überlegt, das sprechen die in der Studie nicht an, aber ich glaube, das ist das auch ein schwieriges Thema. Also die zitieren zum Beispiel eine Teilnehmende, die davon berichtet: „Mein Sohn hat versucht mir zu sagen ich soll mir einen von diesen Schubser besorgen“ ich habe das als Schubser übersetzt. Im englischen Original „one of these pushers“. Damit meint sie einen Rollator. „Aber ich bin zu stolz, das zu tun, ich will das nicht tun. Das ist für alte Leute und ich bin keine alte Frau.“ Das ist ja auch einfach, weil das Nutzen von Hilfsmitteln in unserer Gesellschaft stigmatisiert wird. Und dieser Stempel draufgedrückt wird, so nur weil du einen Rollator benutzt, bist du irgendwie weniger fit oder weniger gesund oder weniger… 

00:49:51 Sarah Bühler: Ich glaube, es kommt alles sehr darauf an mit was für Leuten man sich umgibt. Also ich glaube, in dieser prozesshaften Gruppe hey cool, du kommst mit. Und da geht es gar nicht um den Rollator. 

00:50:11 Sara Mohr: Da muss man die Leute vielleicht auch unterschiedlich abholen, glaub ich auch hm. Ich überlege gerade, es passiert häufiger im Praxisalltag, dass man Leute hat, wo man denkt, hier waeren Hilfsmittel gut und sobald man das Hilfsmittel vorschlägt kommt: Nee, nee, so ein Quatsch, brauchen wir nicht und das kriegen wir schon irgendwie hin. Gerade bei Rollatoren habe ich das häufig erlebt. Weil das so häufig das erste Hilfsmittel ist, das Leute bekommen im Bereich Mobilität.

00:50:52 Sarah Bühler: Wobei ich finde Mobilität ist immer so ein ganz sensibles Thema. Ich habe die Erfahrung gemacht, die Leute auch abholen zu können, erst mal mit einem anderen Hilfsmittel, das ist nicht auf die Mobilität abzielt. Dass sie vielleicht auch noch gar nicht ganz so dringend brauchen. Aber da ist dann die Selbstständigkeit nicht so sehr betroffen und dann sind sie bereit, mal Hilfsmittel auszuprobieren und das macht oft die Tür auf. 

00:51:15 Sara Mohr: Das ist ein guter Punkt, ja. Ich hatte auch mehrere Klient*innen, wo es einen Prozess war, bis wir bei diesem Rollator ankamen, und ich mag immer nicht…Ist ein bisschen klischeehaft, aber es waren häufig ältere Männer und häufig war die wegen was anderem in Behandlung und an irgendeinem Punkt kam die Ehefrau zu mir, nahm mich beiseite und meinte „Können sie nicht mal mit ihm reden? Der läuft so unsicher können sie nicht? Ich hätt so gern, dass der einen Stock oder einen Rollator benutzt oder so, weil der läuft so unsicher ich habe Angst, dass der fällt.“ Und wenn ich das beim Ehemann auch nur entfernt angesprochen habe, „Ah, sie haben mit meiner Frau gesprochen, jetzt fangen sie auch noch an. Alles gut, aber brauchen wir nicht.“

00:52:01 Sarah Bühler: Ich habe einen klappbaren Stock in der Praxis, der geht manchmal. 

00:52:04 Sara Mohr: Oh, die sind toll. 

00:52:05 Sarah Bühler: Weil den kann man in der Jackentasche haben und dann nimmt man den einfach mal mit und testet ihn und wenn man ihn braucht, packt man ihn aus und wenn man ihn nicht braucht, bringt man ihn mir nächste Woche einfach wieder mit. 

00:52:17 Sara Mohr: Und dann finden es alle cool oder diese klappbaren Stöcke?

00:52:19 Sarah Bühler: Nicht alle alle. 

00:52:23 Sara Mohr: Was ich halt nicht mag an dieser Situation, die dann entsteht ist,  ich mag nicht die sein, die Leute überredet, ein Hilfsmittel zu benutzen, also das ist überhaupt gar nicht die Rolle, die ich haben möchte. Ist ja nicht meine Entscheidung, ob jemand Hilfsmittel benutzt oder nicht, aber häufig, werden diese Entscheidungen getroffen basierend auf fehlenden Informationen oder eben basierend auf Vorurteilen oder weil man Angst hat vor Stigmatisierung und das heißt, ich kann jetzt nicht einfach Leuten einen Rollator hinknallen und sagen so hier, dann fallen sie nicht. Weil der wird nicht benutzt werden. Und da fand ich verschiedene Strategien hilfreich. Manchmal hilft es, den Leuten klarzumachen, wie du sagst, sie müssen das ja nicht immer benutzen, aber wenn sie es mal brauchen, dann haben sie es. Und dann mit den Leuten zugucken wann sind die Momente, wo man es brauchen könnte und wo es okay ist, es zu benutzen und diesen Moment, wo ich das nicht benutzen möchte, weil ich nicht will, dass meine Freunde sehen oder keine Ahnung…

00:53:22 Sarah Bühler: Oft stößt das so einen Prozess an wo Leute sich dann langsam dran gewöhnen und die kommen häufig die Woche drauf und sagen „Mir ist aufgefallen der Herr Soundso, der hat ja, auch einen Stock. 

00:53:32 Sara Mohr: Ja, genau und dann hatten wir einen anderen Blick drauf. Die Strategie, die am erfolgreichsten bei mir war.Klischee Klischee, sorry, aber meistens bei den Männern erfolgreich war, war es den Leuten die Expertise davon zu geben. Also ich bin durch einen Hilfsmittelversorgungprozeß mit einem älteren Herrn durchgegangen, der hat diesen Rollator gekauft, wie andere Leute ein Auto kaufen. Ich sag dir, der hat sich eingelesen, der hat sich informiert. Was gibt es für Modelle, was möchte ich für eine Bereifung haben, wie kann man da die Höhe einstellen? Wie funktionieren die Bremsen?

00:54:04 Sarah Bühler: Was für Marken gibt es? Der Mercedes unter den Rollatoren.

00:54:18 Sara Mohr: Ich kann dir sagen, der wusste nachher besser über Rollatoren Bescheid als der Sanitätshausmitarbeiter. Aber, und das war so cool, weil das war einer von denen, die am Anfang gesagt haben „nee, nee, nee, nee, da brauchen sie gar nicht mit kommen. Da belagert mich meine Frau schon seit Jahren mit. Ich will das nicht. Ich brauch das nicht.“ und der war nachher der Rollator Experte. Der hatte nachher tatsächlich 2 Rollatoren. Einen hat er sich privat gekauft. Die Krankenkasse zahlt ja nur ein, aber der hatte einen Rollator für schweres Gelände und einen Rollator für wenn er wusste, er geht nur über Asphalt oder er geht nur in die Arztpraxis oder so. Und das war so toll, zu sehen, wie er so begeistert war von diesem Hilfsmittel irgendwann und…

00:55:00 Sarah Bühler: Der muesste Fortbildungen geben. 

00:55:06 Sara Mohr: Der kam später immer noch, obwohl er keine Behandlung mehr hatte, kam dann später immer mal wieder in die Praxis und hat mir Zeitungsausschnitte mitgebracht, wo es um Rollatoren ging, oder diese Broschüren vom Sanitätshaus, „Geben sie die doch den anderen Leuten, und wenn die Fragen haben können Sie mich immer anrufen.“ So toll, so toll, naja, jetzt sind wir ein bißchen vom Thema weggekommen, aber ich fand das spannend, dass es hier eben auch aufkam dieses Mindset gegenüber Hilfsmitteln oder generell gegenüber wie wird mein Alter wahrgenommen von außen? 

Thema 4: „It wasn’t a real fall“, es war ja gar kein echter Sturz. Hatten wir ja eigentlich ganz Anfang ja, schon darüber gesprochen. Viele Teilnehmende gaben an, dass ihre Stürze gar keine echten Stürze waren, zum Beispiel weil es einen ganz klaren Auslöser gab also „das wäre jedem passiert; in der Situation wäre jeder gefallen“. Für viele zählte ein Sturz erst dann als Sturz, wenn sie sich wirklich dabei verletzt haben. OK und das natürlich ein Problem, weil wir wollen, dass genau das hier eigentlich vermeiden. Wenn Leute uns berichten würden oh ja, ich hatte da eine Situation da wäre ich beinahe gefallen oder da hab ich gemerkt da bin ich unsicher, da ist ja schon der Punkt wo man intervenieren müsste. Bevor die Verletzung stattfindet, jetzt setzen wir an und gucken wie können wir da was anpassen? Aber wenn die Leute halt erst berichten, wenn das Kind wortwörtlich den Brunnen gefallen ist, ja dann… Die Leute benutzten auch andere Begriffe, also sie benutzten nicht das Wort Sturz, also sie haben nicht gesagt ich bin ja gefallen, sondern ich bin gestolpert und ich bin ausgerutscht. Fast als hätten sie dich interviewt (lacht). 

00:57:11 Sarah Bühler: Ich hab die Studie vorher nicht gelesen. Ich habe keine Ahnung. 

00:57:17 Sara Mohr: Genau das haben wir am Anfang gesagt, das ist trotzdem ein Sturz, also sobald du auf dem Boden bist und wolltest da eigentlich nicht hin, ist es ist ein Sturz. Und das ist dann eigentlich schon die Klientel, die von einer ergotherapeutischen Wohnraumberatung oder einem Sturzpräventionsprogramm profitieren würde. Ja, für die Teilnehmenden war auch ganz klar, dass externe Faktoren, also rutschiger Boden oder schlechte Beleuchtung schuld waren an den Stürzen. Und viele haben auch gesagt, dass zu Stürzen halt zum Alltag gehört, da kann man nix machen, Leute stürzen halt. Ja, und ganz spannend finde ich, die berichten sehr gut in dieser Studie darüber, wie die Teilnehmenden ihre Stürze gegenüber den Forscherinnen dargestellt haben, weil die wussten ja aus dieser vorherigen Studie, wo dieses Sturztagebuch geführt wurde, sind das Leute, die oft fallen oder die weniger oft fallen und konnten daher so ein bisschen vergleichen. Wie haben sie ihre Aussagen formuliert und wie oft sind sie tatsächlich gestürzt? Es waren ja auch im Sturztagebuch Selbstangaben, aber du hast ja ungefähr so eine Tendenz. Manche Teilnehmenden spielten selbst Stürze, die zu Verletzungen geführt haben, herunter. „Also ja, da habe ich mir die Hüfte gebrochen, aber kann ja jedem mal passieren.

00:58:58 Sarah Bühler: Oberschenkelhalsbruch ist nicht so tragisch.

00:59:01 Sara Mohr: Andere Teilnehmende gaben an, dass ihnen ihre Sturzgefährdung eben erst bewusst wurde, nachdem sie sich schwer verletzt hatten. Da haben die Forschenden sagen, da hat man gemerkt, da hat so ein Prozess eingesetzt.

00:59:20 Sarah Bühler: Klar, dann ist ein Leidensdruck da und eine Veränderung, die den Alltag einschränkt, ja. 

00:59:20 Sara Mohr: Genau, da war eine Alltagseinschränkung da und danach sagen die Leute und jetzt jetzt bin ich vorsichtiger. Wie du eigentlich eben gesagt hast, dass du jetzt bei Treppen besser aufpasst.  

00:59:34 Sarah Bühler: Nicht immer ich als Vergleich…

00:59:41 Sara Mohr: Sorry. Aber ich finde es ja gut, da wird deutlich, dass ist nicht alterspezifisches. Die Leute fangen nicht erst mit 73 an so zu denken, sondern wir würden jetzt auch schon genau sehen. Alle Teilnehmenden, und das haben wir beide auch am Anfang gemerkt gaben an, dass Stürze zu starken Emotionen führen. Also sie waren wütend, sie hatten Angst, sie haben sich verletzlich gefühlt. Viele gaben an ich kann meinen Körper jetzt nicht mehr vertrauen, ich kann mich da nicht mehr drauf verlassen auf meine Beine, wenn ich die Treppe steige. Einige entwickelten eine Sturzangst und gaben auch an ja, ich mach jetzt viele Sachen nicht mehr. Da zuckt die Ergotherapeutin so innerlich zusammen ja, weil das kann ja auch nicht die Lösung sein, dass man dann die Aktivitäten so stark einschränkt. 

Genau letztes Thema. Nur ganz kurz, weil da sagen die Forschenden selber da ging es so ein bisschen vom Sturzthema weg, aber ich glaube, es ist ein Faktor, der wichtig ist auch im Zusammenhang mit Sturzprävention gerade im Alter. Das Thema war „Loss“, also Verlust. Hat sich am letzten Thema schon angedeutet, viele Teilnehmende beschrieben, dass sie nach und nach auf immer mehr Dinge verzichten, also sie hören auf bestimmte Aktivitäten durchzuführen. Sie hören auf, bestimmte Orte zu besuchen, Sie hören auf, bestimmte Freunde zu sehen. Und das ist…

01:01:13 Sarah Bühler: Das ist traurig. 

01:01:15 Sara Mohr: Ja genau und das Problem hat sich von 2 Seiten gezeigt, einmal haben die Leute gesagt ich geh nicht mehr mit meiner Freundin in die Stadt Kaffee trinken, weil in dem Café da ist vorne dran das Kopfsteinpflaster und da fühle ich mich unsicher beim Laufen, also hat quasi die Sturzangst dazu geführt, dass die Leute Aktivitäten verloren haben. Umgekehrt war es aber auch oft so, dass zuerst ein Verlust war, also zum Beispiel Leute, bei denen der Ehepartner gestorben ist oder enge Freunde gestorben sind oder Verwandte, dazu geführt haben, dass die Leute sich mehr in Einsamkeit und Isolation zurückgezogen haben. Und das gar nicht unbedingt die Sturzangst war aber wir wissen, wenn Leute sich zurückziehen, wenn Leute weniger rausgehen, kann das auch die Sturzgefahr erhöhen. Genau, und das ist ein Thema, was gerade, wenn wir mit älteren Menschen arbeiten im Hinterkopf bleiben sollte deshalb haben sie es auch in diese Studie mit reingenommen, obwohl sie sagen es hat jetzt nicht direkt mit Sturzprävention zu tun, aber es ist ein Faktor der wichtig ist. Genau kurz, nochmal zusammengefasst. Die Teilnehmenden gaben alle an, dass sie das Sturzpräventionsprogramm toll und hilfreich fanden. In ihrem Alltag bevorzugten aber alle Aktivitäten durchzuführen, die ihnen bekannt waren und die ihn Freude brachten und das waren nicht die Übungen aus dem Sturzpräventionsprogramm. Wir haben auch gesehen, dass die Verbindung zwischen Ich mache Kraft- und Gleichgewichtsübungen und ich stürze weniger, dieser Zusammenhang war den Teilnehmenden nicht bewusst. 

01:02:58 Sarah Bühler: Gab es ein Psychoedukations Modul?

01:03:03 Sara Mohr: Müsste ich nochmal bei der größeren Studie nachschauen, ich weiß nicht genau, was bei diesen größeren RCT genau ablief, aber das war auf jeden Fall gelabelt als das hier ist ein Sturzpräventionsprogramm. Die Leute mussten ja auch ein Sturztagebuch führen, also denen war an sich schon bewusst, es geht um Stürze hier. Aber die Forschenden führen das zurück auf den Faktor, dass eben Stürze und Sturzrisikofaktoren von Betroffenen anders definiert werden als zum Beispiel von Gesundheitsfachpersonal. Und ich sehe diese Diskrepanz nicht nur zwischen Betroffenen und Gesundheitsfachpersonal, ja schon wir definieren es ja auch unterschiedlich, ne? Genau das war die Studie was sagt die Ergo Brille dazu? Das war ja keine ergotherapeutische Studie. 

01:03:54 Sarah Bühler: Da war aber viel ergotherapeutisches drin. 

01:03:57 Sara Mohr: Ne fand ich auch. 

01:03:58 Sarah Bühler: Weiß gar nicht, ob wir die Brille noch mal so genau aufsetzen müssen. 

01:04:02 Sara Mohr:Was ich mich gefragt habe, bei den Klient*innen, von denen ich eben auch so ein bisschen berichtet habe, wo es um Mobilitätseinschränkungen ging dann und nutzen von Hilfsmitteln, da habe ich schon relativ häufig Sturztagebücher führen lassen. Zumindest mal ein paar Wochen einfach um mit denen gemeinsam auch so ein bisschen zu analysieren. Was sind denn die Situationen, wo Sie fallen? Was sind denn vielleicht Auslöser? Gerade weil es häufig Leute waren, die in die Praxis kamen. Das heißt, ich war nicht dabei, wenn die gefallen sind – zu meiner Verteidigung –  ich war nicht dabei (lacht).Und ich habe mich gefragt, wenn wir uns jetzt diese Studie angucken, wo es ja viel auch darum gehen, die Leute möchten nicht stigmatisiert werden, die Leute haben Angst, dass Ihnen ihre Selbstständigkeit abgesprochen wird. Das ist mit viel Emotionen verbunden, mit Verletzlichkeit. Wie sinnvoll ist es dann, so ein defizitorientiertes Sturztagebuch zu führen? Jetzt schreibst du mal jeden Tag auf, ob du gefallen bist und dann siehst du nachher schön übersichtlich in einer Tabelle, wie oft du eigentlich fällst. 

01:05:18 Sarah Bühler: Kommt drauf an, wie oft man fällt. Ob das negativ oder positiv ist? 

01:05:24 Sara Mohr: Ja, aber was mache ich mit den Leuten, die wirklich jeden Tag oder jeden zweiten Tag Stürze oder beinahe Stürze haben? 

01:05:33 Sarah Bühler: Eine Wohnraumanalyse. 

01:05:36 Sara Mohr: Ja, genau, da muss ich dann intervenieren, aber ich habe mich tatsächlich gefragt ob bei manchen Klient*innen so ein Sturztagebuch, das einfach nur dazu da ist, die Defizite vor Augen zu führen und dann vielleicht sogar eher zu einer Sturzangst führt, wenn den Leuten bewusst wird wie oft ist es eigentlich knapp in meinem Alltag…

01:06:04 Sarah Bühler: Die Frage ist auch wie ehrlich wird es dann ausgefüllt? Also ich habe noch nie ein Sturztagebuch gesehen, wo jemand so oft eingetragen hat, dass er gefallen ist. 

01:06:07 Sara Mohr: Das stimmt, das stimmt tatsächlich, ich hatte wenig Leute, die das wirklich stringent gemacht haben. Das ist ein guter Punkt, was dann nachher was gebracht hat, war gar nicht unbedingt, dass wir eine Übersicht hatten, wie oft in der Woche sind wir gefallen? Das ist ja eine Information, die mir nichts bringt, sondern…

01:06:20 Sarah Bühler: Genau also es kommt auch darauf an wie stellt man das raus, was macht man mit der Information? 

01:06:23 Sara Mohr: Genau, also was mehr gebracht hat, war eigentlich dein einzelnen Sturz mal zu analysieren. Was haben Sie denn da gemacht? Was hatten Sie für Schuhe an? In welchem Raum war das? Wo haben Sie sich festgehalten? Und dann rauszubekommen was war jetzt eigentlich der Grund dafür, dass sie da gefallen sind? Und wie können wir nächstes Mal dafür sorgen, dass dieser Grund nicht wieder eintritt? Hm, das ist ein guter Punkt, ich brauch gar kein Sturztagebuch, vielleicht brauche ich einfach nur eine Beschreibung von einem Sturz. Oder von mehreren Stürzen. Idealerweise basiert man das nicht auf einen Sturz. 

01:06:56 Sarah Bühler: Ja, also ich bin auch noch nie jeden Sturz, dann durchgegangen. Nee, häufig kommt man ja dann ins Gespräch. Häufig sind diese Dokumente ja da um Prozesse anzuregen, nicht um die dann zu bewerten. 

01:07:20 Sara Mohr: Ja, das ist was man glaube ich dann vielleicht auch stärker herausstellen muss. Wenn man sagt, ich gebe ihnen jetzt mal so ein Sturztagebuch mit, zu sagen, und das ist nicht da, um zu gucken, wie oft sie fallen, sondern das ist, damit wir nachher mal über einen Sturz gezielt sprechen könnte. Wichtiger Punkt wenn wir über Studien sprechen: Gibt es eine Leitlinie zur Sturzprävention? 

01:07:51 Sarah Bühler: Soweit ich weiß, keine deutsche. 

01:07:55 Sara Mohr: Es gibt eine Leitlinie des amerikanischen Ergoverbands von der AOTA gibt es eine Ergotherapieleitlinie. 

01:08:08 Sarah Bühler: Ok, frei verfügbar?

01:08:09 Sara Mohr: Nee, die ist als Buch erschienen, auch auf Deutsch. 

01:08:14 Sarah Bühler: Ok, also gibt es eine deutsche Übersetzung? 

01:08:18 Sara Mohr: Genau, die wurde auf Deutsch übersetzt. Ich finde die sehr hilfreich, Link packe ich in die Shownotes. In Deutschland haben wir ja keine spezifischen Ergotherapie-Leitlinien, sondern wir haben halt allgemeine Leitlinien, in denen die Ergotherapie im Idealfall erwähnt wird. Was davon mehr oder weniger Sinn macht kaum an anderer Stelle diskutieren aber in Amerika gibt sich der Verband selbst Leitlinien, die nur für die Ergotherapie gelten. Wollen wir unsere 3 Do‘s sammeln, wenn morgen ein*e Klient*in in die Praxis kommt und sagt ja, mein Arzt hat gesagt, ich soll kommen, weil ich bin sturzgefährdet. Was mach ich? 

01:09:06 Sarah Bühler: Ich mach ja immer ein COPM, weil ich damit so schön die Alltagsschwierigkeiten sehe, beziehungsweise ich würde einen Tagesplan machen. Vor allem zu dem Thema Mobilität. Wieviel laufen sie, was laufen sie, wo stolpern sie, was klappt gut, Treppenlaufen, Dusche einsteigen, aber auch wie ist das Umfeld, also wie ist die Wohnsituation? Ist es notwendig, Treppenlaufen zu können, ist das nicht notwendig? Es gibt ja auch Leute, die barrierefrei wohnen. Und die eine*n Ärzt*in haben oder eine*n Therapeut*in, die eine barrierefreie Praxis haben. 

01:09:56 Sara Mohr: Soll’s geben habe ich auch gehört. Barrierefreie Praxen solls geben. Ich würde auf jeden Fall auf meine Sprache achten, nach dem, was wir jetzt gehört haben und auch auf die Sprache der Klient*innen, weil, das haben wir gelernt, vielleicht reden wir über unterschiedliche Dinge, wenn wir über Stürze reden. Also vielleicht hilft es auch, wenn man selbst so Ausdrücke benutzt. Sind sie gestürzt oder gestolpert oder ausgerutscht? Dass man das schon mal gleich grösser fast, dass die Leute wissen, wir reden hier jetzt wirklich nicht über den freien Fall, wir reden über alle Situationen, wo ich mich in meiner Mobilität unsicher gefühlt habe. 

01:10:54 Sarah Bühler: Ja, ich glaube, ein Thema ist auch Psychoedukation, einfach auch zu zeigen hey, es ist normal in dem Alter ein erhöhtes Risiko zu haben, das ist erstmal nichts Schlimmes, sondern das geht vielen so und man kann was dagegen tun. 

01:11:09 Sara Mohr: Ja, ich glaube, das ist ein guter dritter Punkt, den Leuten auch das Gefühl zu geben hier ist ein sicherer Rahmen, wir können wir darüber sprechen, dass sie gestern gefallen sind und das niemandem erzählt haben. Ich sage es auch nicht weiter, aber wir können, was tun, dass Sie sich da sicherer fühlen. Das sind doch 3 gute Punkte. Wer noch mehr Punkte möchte darf in unser Modul kommen. Wer Fragen hat oder Feedback oder uns ein Thema vorschlagen möchte, mit denen wir uns beschäftigen sollen, der darf uns eine Email schreiben. Das Kontaktformular findet ihr auf unserer Homepage ergo-unterwegs.de oder ihr schreibt uns über Instagram oder über Facebook oder über Twitter. Wir freuen uns von euch zu hören und wir hören uns nächstes Mal wieder. Tschüss.

01:11:58 Sarah Bühler: Ja, bis dann.

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