#27 - Von Emmy Werner zu bedeutungsvollen Betätigungen
In der Kauai-Studie erforschte Emmy Werner mit ihrem Team über 40 Jahren, wie Menschen Resilienz entwickeln. Wir schauen uns das genauer an und diskutieren eine Studie, die die Verbindung zwischen Resilienz und bedeutungsvollen Betätigungen bauen möchte.
Geschichten aus dem Alltag: Sarah erzählt über Absetzungen in der Praxis und Sara hat eine Kaffeestudie mitgebracht, die unseren Konsum nachhaltig verändert (oder doch nicht?)!
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Alle Studien und Artikel aus dieser Folge:
Floegel, A., Pischon, T., Bergmann, M. M., Teucher, B., Kaaks, R., & Boeing, H. (2012). Coffee consumption and risk of chronic disease in the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)–Germany study123. The American Journal of Clinical Nutrition, 95(4), 901–908.
Wang, X., Ma, H., Sun, Q., Li, J., Heianza, Y., Van Dam, R. M., Hu, F. B., Rimm, E., Manson, J. E., & Qi, L. (2025). Coffee drinking timing and mortality in US adults. European Heart Journal, ehae871.
00:00:24 Alltagsgeschichten und Einstieg
Sara Mohr und Sarah Bühler begrüßen die Zuhörerinnen zur neuen Folge von „Evidenz auf die Ohren“. Nach einem kurzen, humorvollen Einstieg berichten beide von aktuellen Herausforderungen im Praxisalltag: Sarah schildert ihre Erfahrungen mit Absetzungen und bürokratischen Hürden in der Abrechnung mit Krankenkassen. Sie beschreibt, wie fehlerhafte oder unleserliche Daten auf Verordnungen zu erheblichem Aufwand führen, etwa wenn Klientinnen erneut in die Praxis kommen müssen. Beide reflektieren, wie wichtig Sorgfalt bei der Dokumentation ist, und hoffen auf entspanntere Zeiten.
00:04:20 Geschichten aus dem Alltag: Retreat, Leitlinienarbeit und Kaffee
Sara erzählt von drei Erlebnissen: Zunächst berichtet sie begeistert vom anstehenden „Ergo Retreat“, das sie gemeinsam mit Amy Orellana organisiert. Das Retreat bietet Ergotherapeut*innen die Möglichkeit, sich im Grünen zu entspannen, Yoga zu machen und gemeinsam über den Berufsalltag nachzudenken. Im zweiten Teil gibt Sara Einblicke in ihre Mitarbeit an der S3-Leitlinie zur Therapie der Mobilität nach Schlaganfall. Sie beschreibt, wie multidisziplinäre Teams evidenzbasierte Empfehlungen diskutieren und wie anspruchsvoll es ist, komplexe Studienergebnisse laienverständlich zu formulieren. Abschließend berichtet sie von einer groß angelegten Studie zum Thema Kaffeekonsum: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass moderater Kaffeekonsum – insbesondere am Vormittag – mit einem geringeren Risiko für chronische Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes assoziiert ist. Sara betont jedoch, dass es sich um Korrelationen handelt und keine Kausalität bewiesen ist.
00:16:30 Einführung ins Thema Resilienz und Emmi Werner
Sara leitet zum Hauptthema über: Resilienz. Sie stellt die Entwicklungspsychologin Emmi Werner vor, die als Pionierin der Resilienzforschung gilt. Werner wurde 1929 in Deutschland geboren, emigrierte in die USA und war maßgeblich an der berühmten Kawaii-Studie beteiligt. In dieser 40-jährigen Längsschnittstudie wurden fast 700 Kinder aus schwierigen Verhältnissen auf Hawaii begleitet, um zu untersuchen, welche Faktoren dazu beitragen, dass manche trotz widriger Umstände ein gesundes und selbstbestimmtes Leben führen.
00:20:04 Die Kawaii-Studie: Schutzfaktoren und Entwicklung von Resilienz
Sara erläutert die zentralen Ergebnisse der Kawaii-Studie: Ein Drittel der Hochrisikokinder entwickelte sich zu kompetenten jungen Erwachsenen ohne gravierende Auffälligkeiten. Entscheidend waren individuelle und soziale Schutzfaktoren wie mindestens eine stabile Bezugsperson außerhalb der Familie, das frühe Übernehmen von Verantwortung und eine positive, offene Grundhaltung. Emmi Werner betonte, dass Resilienz ein dynamischer Prozess ist, der sich über das Leben hinweg entwickelt und nicht als angeborene Eigenschaft verstanden werden darf. Besonders wichtig ist, dass Grundbedürfnisse wie Sicherheit und Gesundheit gedeckt sind, um Resilienz zu fördern.
00:28:17 Resilienz im Erwachsenenalter und Bedeutung für die Ergotherapie
Die Studie zeigte, dass Veränderungen und positive Entwicklungen auch noch im Erwachsenenalter möglich sind – etwa durch die Nutzung von Ressourcen in der Community, wie Freundeskreise, Vereine oder Bildungseinrichtungen. Sara zieht Parallelen zur gemeinwesenorientierten Ergotherapie und betont, wie wichtig Zugehörigkeit („Sense of Belonging“) als Resilienzfaktor ist.
00:30:11 Aktuelle Studie: Bedeutungsvoller Betätigung als Schutzfaktor
Sara stellt eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2024 vor, die den Zusammenhang zwischen bedeutungsvoller Betätigung, stressigen Lebensereignissen und Resilienz untersucht. Die Befragung von knapp 500 Erwachsenen in den USA zeigte: Wer auch in schwierigen Zeiten an bedeutungsvollen Aktivitäten teilnimmt, kann mit Belastungen besser umgehen und benötigt weniger „Resilienz im klassischen Sinne“. Der Engagement in Meaningful Activity Survey, ein kurzer Fragebogen, wurde als hilfreiches Werkzeug vorgestellt, um im ergotherapeutischen Setting die Bedeutung und Qualität von Alltagsaktivitäten zu erfassen.
00:36:14 Ergebnisse und praktische Implikationen
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass bedeutungsvolle Betätigungen als Schutzfaktor in Krisenzeiten wirken. Aktivitäten, die zuvor alltäglich erschienen, können nach belastenden Ereignissen eine neue, emotionale Bedeutung gewinnen. Die Hosts regen an, in der Ergotherapie gezielt nach solchen Betätigungen zu fragen und den Fragebogen als Assessment zu nutzen – auch wenn die Studie methodische Einschränkungen (z.B. nicht repräsentative Stichprobe) hat.
00:39:35 Bezugspersonen, soziale Netzwerke und Rolle der Therapeut*innen
Sara berichtet, dass in der Kawaii-Studie Bezugspersonen aus dem familiären Umfeld, Freundinnen und Lehrkräfte als wichtigste Unterstützer benannt wurden – Therapeutinnen und andere Gesundheitsberufe rangieren deutlich weiter hinten, etwa gleichauf mit Haustieren. Sarah und Sara reflektieren, dass Ergotherapeutinnen oft nur einen kleinen Ausschnitt im Leben ihrer Klientinnen begleiten, und betonen die Bedeutung von Netzwerken und lokalen Ressourcen.
00:43:16 Drei Take-Home-Messages für die ergotherapeutische Praxis
Zum Abschluss formulieren Sara und Sarah drei zentrale Empfehlungen für die Praxis:
Bei Kindern gezielt nach stabilen Bezugspersonen und sozialen Netzwerken fragen.
Mit Klient*innen herausarbeiten, welche Aktivitäten ihnen Sinn und Kontrolle geben – ggf. mit dem vorgestellten Fragebogen.
Kinder und Erwachsene lokal anbinden (z.B. Jugendzentrum, Verein) und bei Bedarf auf Beratungsstellen oder das Jugendamt hinweisen, um Schutz und Unterstützung sicherzustellen.
Beide Hosts betonen, dass Resilienz nicht eingefordert werden kann, sondern durch gezielte Förderung von Ressourcen und bedeutungsvoller Betätigung im Alltag entsteht. Sie ermutigen Ergotherapeut*innen, Netzwerke zu nutzen und die eigenen Grenzen zu kennen.
00:45:57 Abschluss und Ausblick
Sara und Sarah verabschieden sich, weisen auf weiterführende Links und Studien in den Shownotes hin und laden die Community ein, Themenvorschläge einzureichen oder sich für das Retreat anzumelden.
(Diese Zusammenfassung wurde mit Hilfe von KI generiert.)
Intro: Hintergrundmusik, die sich langsam steigert. Eine Stimme sagt: Evidenz auf die Ohren, der Podcast für evidenzbasierte Ergotherapie.
00:00:24 Sara Mohr:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Evidenz auf die Ohren, eurem Podcast für evidenzbasierte Praxis in der Ergotherapie. Mein Name ist Sara Mohr und hier bei mir im digitalen Podcast-Raum ist Sarah Bühler.
00:00:35 Sarah Bühler:
Hallo.
00:00:41 Sara Mohr:
Zwischendrin vergessen, wie Worte funktionieren (lacht). Sarah, guter Start in den Podcast auf jeden Fall. Was gibt es bei dir für Geschichten aus dem Alltag?
00:00:52 Sarah Bühler:
Es gibt gar nicht so viel Neues, aber ich hab mich die letzten Wochen ein bisschen mit Absetzungen beschäftigt.
00:00:59 Sara Mohr:
Oh wie schön, das ist ja ein tolles Thema.
00:01:01 Sarah Bühler:
Ja, ich finde es auch schön, dass ich mich erst im dritten Jahr der Selbständigkeit damit beschäftigen muss. Das ist tatsächlich positiv. Ich bin erstaunt, dass es für viele Sachen Lösungen gibt, aber auch, wie zeitaufwendig die sind.
00:01:20 Sara Mohr:
Lösung heißt, man spricht mit der Krankenkasse und guckt, ob man es klären kann?
00:01:24 Sarah Bühler:
Die Lösung dann ja, genau. Man lässt sich Sachen noch mal unterschreiben und bestellt die Klientinnen noch mal ein. Dinge, mit denen wir die letzten Jahre keine Probleme hatten, sind jetzt auf einmal Probleme.
00:01:39 Sara Mohr:
Ach, echt? Also auch so, dass du sagst, vorher konnten wir Verordnungen damit abbrechen und jetzt rechnen die das nicht mehr ab?
00:01:48 Sarah Bühler:
Die haben momentan das Problem, dass sie manche Daten nicht lesen können auf den Verordnungen.
00:01:55 Sara Mohr:
Oh je.
00:01:57 Sarah Bühler:
Genau, aber man kann das Datum dann, wenn das zurückkommt, noch mal durchstreichen, neu hinschreiben und der Klient oder die Klientin kann das noch mal unterschreiben.
00:02:13 Sara Mohr:
Das war echt pipifax.
00:02:17 Sarah Bühler:
Ein Megaaufwand, weil manche, die schon gar nicht mehr in Therapie sind, wiederkommen müssen. Ist wie es ist.
00:02:20 Sara Mohr:
Ja.
00:02:24 Sarah Bühler:
Wir werden mehr darauf achten, Fünfen und Neunen und andere Dinge ganz genau zu schreiben.
00:02:34 Sara Mohr:
Darf man Datumsstempel nehmen?
00:02:38 Sarah Bühler:
Weiß ich nicht.
00:02:39 Sara Mohr:
Würde mich wahrscheinlich gar nicht trauen. Natürlich auch immer mit der Hand geschrieben.
00:02:41 Sarah Bühler:
Wir schreiben es mit der Hand.
00:02:46 Sara Mohr:
Ärgerlich. Ich hatte einmal, das ist schon lange her, in der Praxis vor über zehn Jahren, da wurde die Verordnung ab einem gewissen Termin abgesetzt, weil ich an dem Tag den Klienten behandelt habe und der ist am selben Tag stationär ins Krankenhaus gegangen. Vormittags war der tatsächlich noch da, und das geht ja – Menschen können am selben Tag an zwei Orten sein.
00:03:11 Sarah Bühler:
Wir schreiben das unten bei Begründung mittlerweile hin.
00:03:19 Sara Mohr:
Das war ein Riesendrama, weil der Klient gesagt hat, er sieht das nicht ein, das noch mal zu unterschreiben, weil es ja gestimmt hat beim ersten Mal. Dem zu erklären, dass das nicht unser böser Wille ist, sondern dass wir das brauchen, weil ich sonst das Geld nicht bekomme – das war ein Riesendrama. Ich dachte, gesunder Menschenverstand reicht.
00:03:38 Sarah Bühler:
Ja, genau.
00:03:41 Sara Mohr:
Hoffen wir, dass das nur eine Phase ist und dann wieder drei Jahre keine Absetzungen kommen.
00:03:46 Sarah Bühler:
Hoff ich auch. Und tatsächlich setzen die nur das Datum ab, das sie nicht lesen können, nicht die folgenden. Das wär auch eine Option.
00:03:55 Sara Mohr:
Immerhin.
00:03:57 Sarah Bühler:
Genau.
00:03:59 Sara Mohr:
Kann immer noch schlimmer sein.
00:04:02 Sarah Bühler:
Das Positive sehen. Und bei dir?
00:04:05 Sara Mohr:
Ich hatte dir eben schon kurz berichtet, weil mir sonst spontan wenig Geschichten aus dem Alltag einfallen, habe ich mir jetzt angewöhnt, mir aufzuschreiben, wenn ich denke: Oh, das ist eine gute Geschichte für den Podcast. Das hat jetzt zur Konsequenz, dass ich drei Geschichten aus dem Alltag habe und mich nicht entscheiden kann. Deshalb erzähle ich dir jetzt einfach alle drei: Wir machen eine schöne, dann eine leitlinienbezogene und dann reden wir noch kurz über Kaffee.
00:04:31 Sarah Bühler:
Ich freue mich auf den Kaffee.
00:04:34 Sara Mohr:
Da habe ich dann Schluss gesetzt. Wir fangen mit einem kurzen Werbeblock an, aber einem, der mir am Herzen liegt. Letztes Jahr haben Amy Orellana und ich zum ersten Mal den Ergo Retreat angeboten. Es war so schön und hat so viel Spaß gemacht, dass wir ihn dieses Jahr noch mal anbieten. Alle, die Lust haben, mit uns einfach mal drei Tage im Grünen abzuhängen, durchatmen, Yoga machen, richtig gut bekocht werden – Vollverpflegung, den ganzen Tag Kaffee, Tee, Obst und Kuchen – gemeinsam mit uns von außen ein bisschen auf die Ergotherapie gucken, wie wir uns den Arbeitsalltag auch mal leicht machen dürfen: Der oder die ist herzlich eingeladen vom 21. bis 23. November auf den Ergo Retreat zu kommen. Der ist diesmal in der Nähe von Augsburg, in Oberschöneberg. Das ist ein sehr kleines Dorf, aber wir können Leute am nächstgrößeren Bahnhof abholen, falls ihr mitreisen wollt. Die Buchung ist jetzt offen auf ergo-unterwegs.de. Ich freue mich, wenn ihr mitkommt.
00:05:51 Sarah Bühler:
Ich hab auch gesehen, dass schon gebucht wurde.
00:05:54 Sara Mohr:
Es wurde schon gebucht, genau. Es gibt nicht so viele Plätze, wir wollen das nicht mit 30 Leuten machen, das soll klein und beschaulich bleiben. Ihr könnt wählen zwischen Einzel- und Doppelzimmer, könnt also eure Lieblingskollegin oder euren Lieblingskollegen mitnehmen und ein Doppelzimmer buchen. Dann zusammen retreaten. Das ist die Geschichte aus dem Alltag, Teil 1.
Geschichte aus dem Alltag, Teil 2, leitlinienbezogen: Ich mach ja mit bei der Entwicklung der S3-Leitlinie Therapie zur Mobilität nach Schlaganfall und wollte da ja zwischendrin immer mal so ein bisschen Updates geben, wie das so läuft. Wir hatten jetzt so über die Feiertage und über den Winter keine Termine gehabt. Das sind ja auch immer Termine, wo man dann gucken muss, wie man zwölf Leute, von denen zehn Ärztinnen und Ärzte sind, die tatsächlich auch noch praktisch arbeiten, mal in einen Raum bekommt, einen digitalen. Da hatten wir jetzt vor zwei Wochen mal wieder ein Treffen und wir sind jetzt in der Phase angekommen, wo wir die Evidenz, die recherchiert wurde zu den verschiedenen Fragestellungen – also zum Beispiel verbessert Krafttraining die Gehgeschwindigkeit – diskutieren. Dazu wurden Evidenzrecherchen gemacht, diese Studien zusammengefasst, und jetzt sind wir in der Phase, wo wir in der Gruppe basierend auf diesen Zusammenfassungen diskutieren, welcher Empfehlungsgrad dann nachher in der Leitlinie sein sollte. Es gibt natürlich auch genaue Vorgaben, wie diese Sätze gebaut sein sollen, damit es in den Leitlinien einheitlich und verständlich ist. Das ist ganz spannend in so einer Runde mit zehn Leuten aus verschiedenen Disziplinen und Patient:innenvertretungen, die auch noch dabei sind. Das so durchzudiskutieren, weil wir alle auch von unserem wissenschaftlichen Verständnis auf unterschiedlichen Niveaus sind. Zum Beispiel, wenn da eine Patientenvertretung dabei ist: Die hat natürlich Expertise für die Erkrankung selber und für das eigene Leben, aber sich vielleicht noch nicht viel mit Studien beschäftigt. Dann war das ganz spannend, weil eine Person mit viel Expertise in Leitlinien und Studien immer mal wieder Sätze rausgehauen hat, wo ich auch kurz nachdenken musste, was damit jetzt gemeint ist. Und dann die Patientenvertretung, die hatte sich jedes Mal zu melden und zu sagen, können Sie mir den Satz noch mal erklären? Und dann zu beobachten, wie die andere Person anfängt zu struggeln, weil Sachen laienverständlich einfach nachvollziehbar zu erklären, das ist ein richtiger Skill. Und wenn du das kannst, dann zeigst du eigentlich auch, dass du das Thema wirklich verstanden hast. Wir sind auch ein bisschen in der Arbeit vorangekommen, aber diese Dynamiken zu beobachten, ist manchmal ganz spannend.
00:09:22 Sara Mohr:
Genau das wollte ich aus der Leitlinie erzählen und dann ist Folgendes passiert: Vor zwei Wochen war ich in der Schule, es ist Mittagspause, ich sitze an meinem Schreibtisch und es kommt ein Auszubildender rein mit seinem Laptop in der Hand – Grüße gehen raus an Maxi – und sagt: „Sara, kann ich dir mal eine Studie zeigen?“ Dann ist ja Mittagspause hin oder her, natürlich, bitte zeig mir die Studie. Ich habe eine ergotherapeutische Studie erwartet, aber es ging um Kaffee. Ist halt noch besser.
00:09:59 Sara Mohr:
Und in dieser Studie geht es um Kaffeekonsum und ob und inwieweit der gesund ist. Nachdem mir diese Studie gezeigt wurde und ich mir das gemeinsam mit dem Auszubildenden angeschaut hatte, bin ich danach noch in so ein kleines Kaffeestudien-Rabbit-Hole gefallen. Bei dieser Frage, ob denn Kaffeetrinken eigentlich gesund oder ungesund ist – ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich bin schon aufgewachsen mit dem Glaubenssatz, dass Kaffeetrinken eigentlich ungesund ist, zumindest ab einer gewissen Menge. Also, es ist nicht so gut, aber ich tu es trotzdem in großen Mengen. Genau, also das, weil ich dachte schon, aber so immer so, bei jeder Tasse Kaffee, nein, so gesund ist das wahrscheinlich gar nicht, ich trink mir nur eine heute, nee, nicht bei jeder, bei den ersten zwei, drei Wochen nicht.
00:10:34 Sarah Bühler:
Ah, bei vier fängt es bei mir an, okay.
00:10:44 Sara Mohr:
Ja, also die ersten sind schon noch komplett schuldfrei, das ist schon, da denke ich, das brauche ich auch, aber dann wird es irgendwann, kriegt man Zweifel, ob das jetzt noch so gut ist. Auf jeden Fall zurück zu den Studien: Ich bin zuerst bei meiner Rabbit-Hole-Recherche über eine Studie gestolpert mit 40.000 Teilnehmenden aus Europa, die befragt wurden zu ihrem Kaffeekonsum und es gab dann eine zehnjährige Nachbeobachtungszeit.
00:11:14 Sarah Bühler:
Wer finanziert das?
00:11:23 Sara Mohr:
Ja, ich weiß nicht, Tchibo (lacht), ich weiß es nicht. Zehn Jahre Nachbeobachtungszeit, in denen geguckt wurde, wie das Risiko für das Auftreten von chronischen Krankheiten ist. Und da zeigte sich, dass egal ob man koffeinierten oder entkoffeinierten Kaffee trinkt, in einer Dosis von durchschnittlich vier Tassen pro Tag, dann war das assoziiert mit einem geringeren Risiko für Typ-2-Diabetes. Das ist keine Kausalität, das ist eine Korrelation. Das taucht gemeinsam auf, das kann viele Gründe haben, warum Menschen, die mehr Kaffee trinken, seltener Diabetes haben, kann ja auch andere Zusammenhänge geben, muss nicht der Kaffee an sich sein. Was diese Studie sich nicht angeguckt hat, ist, wann die Leute diese vier Tassen Kaffee trinken.
00:12:49 Sarah Bühler:
Kommt tatsächlich drauf an. Also wenn ich mal angefangen habe an einem Tag Kaffee zu trinken, dann den ganzen Tag.
00:12:54 Sara Mohr:
Mhm, aber du brauchst nicht… Du hast früher morgens immer Tee getrunken, machst du das immer noch so?
00:13:02 Sarah Bühler:
Ritual ist: Ich komm morgens in die Praxis rein, mach die Kaffeemaschine an, dann ist nicht mehr ein Kaffee, aber einer ist ja keiner.
00:13:08 Sara Mohr:
Nee, einer ist keiner und das ist ja auch so ein Ritual, wie du gesagt hast, das ist ja wichtig für die Tagesstruktur, ja. Sie haben also diese drei Kaffeetrinkmuster verglichen: kein Kaffee, morgens Kaffee, den ganzen Tag Kaffee. Dann haben sie fast zehn Jahre nachbeobachtet und geguckt nach chronischen Erkrankungen und Mortalität, also wie viele Leute auch verstorben sind. Was meinst du, welche Gruppe war die gesündeste nach zehn Jahren?
00:13:56 Sarah Bühler:
Die, die morgens trinken.
00:13:58 Sara Mohr:
Wie kommst du drauf?
00:13:58 Sarah Bühler:
Das hilft mir morgens, in Gang zu kommen.
00:14:05 Sara Mohr:
Ich hätte nicht gedacht, dass du recht hast, aber die sind sogar gesünder als die, die gar keinen Kaffee trinken. Sogar die, die den ganzen Tag Kaffee trinken, waren gesünder als die, die keinen Kaffee trinken. Am gesündesten waren die, die nur morgens Kaffee trinken. Sie haben für viele Störfaktoren korrigiert, um die Gruppen möglichst gut vergleichen zu können. Die Studie ist ziemlich gut gemacht. Ich mache euch den Link in die Shownotes, wenn ihr euch das selber noch mal anschauen wollt. Sie haben auch schöne Grafiken, ab wie viel Tassen Kaffee es spannend wird. Eine Tasse Kaffee ist wirklich keine, aber so bei drei, vier, da fängt es an, spannend zu werden. Es ist immer noch keine Kausalität, ihr müsst jetzt nicht alle in den Supermarkt laufen und euch kiloweise Kaffee kaufen, aber das wird schon deutlicher mit diesen großen Studien, dass Kaffee an sich nicht per se ungesund ist – und wenn, dann eher vormittags.
00:15:42 Sarah Bühler:
OK.
00:15:43 Sara Mohr:
Und jetzt sitze ich seitdem hier und denke über den Kaffee nach. Das Gesundheitsrisiko hat mir ein bisschen meinen Nachmittagskaffee versaut. Vielleicht hätte ich es euch allen nicht erzählen sollen. Das wollte ich mit euch teilen, diese kleine Evidenzgeschichte, die da in meinen Alltag gepurzelt kam. Ich würde sagen, wir gehen jetzt über zu einer ganz anderen Evidenz, weg von Kaffee hin zur Ergotherapie, obwohl das auch gut zusammengeht.
00:16:30 Sarah Bühler:
Du hast uns was mitgebracht.
00:16:31 Sara Mohr:
Ich hab was mitgebracht. Ich habe Emmi Werner mitgebracht.
00:16:39 Sarah Bühler:
Und kennt man?
00:16:43 Sara Mohr:
Weiß ich nicht. Vielleicht ist ja jemand da draußen, der sie kennt, die Frau Werner, die Frau Werner hat, aber wenn ich Emmi Werner und Resilienz sage, dann klingelt es vielleicht bei ganz viel, beim Begriff Resilienz zumindest. Emmi Werner war eine der ersten, die das Konzept der Resilienz ganz, ganz groß erforscht haben. Und weil ich so gerne über Geschichte erzähle, starten wir, weil wir heute über eine Resilienzstudie sprechen, aber vorher über diese Studie sprechen, würde ich gerne einmal mir wirklich diese Geschichte der Resilienzforschung kurz angucken, weil ich Emmi Werner auch für ne sehr spannende Persönlichkeit halte. Die wurde nämlich 1929 in Eltville am Rhein geboren.
00:17:26 Sarah Bühler:
Ja, kennen wir ja.
00:17:28 Sara Mohr:
Ja. Sarah und ich haben in der Nähe gearbeitet, auf der anderen Rheinseite. 1929 geboren. Und 2017 in den USA gestorben. 1929 geboren, das heißt, sie hat ne Kindheit erlebt, die geprägt war von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. Die Familie ist 1940 schon in die Vereinigten Staaten ausgewandert und Emmi Werner hat da. Dann ist dann zur Schule gegangen und hat da später an der Uni Entwicklungspsychologie studiert und da auch promoviert. Und ich hab n ganz spannendes Interview mit ihr gelesen. Link kommt auch in die Shownotes, wo sie sagt, dass sie so aus ihren persönlichen Erfahrungen gerade so ihre ersten 10, 12 Lebensjahre, die sie ja dann in Deutschland im Zweiten Weltkrieg verbracht hat, sagt so. Aus diesen persönlichen Erfahrungen raus war sie halt schon immer da dran interessiert. Was passiert eigentlich mit Kindern, bei denen alle Chancen gegen sie sprechen?
00:18:24 Sara Mohr:
Zur damaligen Zeit, so in den 50er Jahren, war so die allgemeine Annahme in der Forschung, dass Kinder und auch in der Gesellschaft, dass Kinder, die ne Kindheit und Jugend, die da problematische Erfahrungen machen, automatisch auch als Erwachsene problematisches Verhalten zeigen. Also wenn du in Armut aufgewachsen bist, wirst du auch später in derselben sozioökonomischen Schicht sein. Wenn du in einem Umfeld aufgewachsen bist, in dem es Suchtprobleme oder psychische Erkrankungen gab, dann wirst du später als erwachsene Person auch diese Probleme ent… Mhm und der Fokus lag allgemein sehr stark so auf den Defiziten und das, obwohl es für diese ganzen Annahmen eigentlich keine Beweise gab, keine Studien dazu gab. Das hat man einfach so hingenommen oder angenommen.
00:19:18 Sara Mohr:
Und Emmi Werner sagte damals halt so, basierend auf ihren Erfahrungen als Kind und Zweiten Weltkrieg, dass sie da Kinder gesehen hat, die mit schweren Schicksalsschlägen konfrontiert waren und die trotzdem die Hoffnung nicht aufgegeben haben. Und sie hat sich gefragt, wie das gehen kann. Und sie hat also ihren Blick von Anfang an auf die positiven Fälle gerichtet, während viele andere Forscher in der Zeit den Blick halt auf das Negative und die Defizite hatten. Und wo andere gefragt haben, so wieviel Kinder, die mit Bezugspersonen aufgewachsen sind, die alkoholkrank waren, sind später auch alkoholkrank geworden, hat sie gefragt, was ist denn mit den Kindern, die nicht alkoholkrank geworden sind, obwohl die Eltern alkoholkrank waren. Und sie hat sich gefragt, wie haben diese das hingekriegt.
00:20:06 Sara Mohr:
Und dann kam 1955 die sogenannte Kawaii Studie. Kawaii ist eine von den hawaiianischen Inseln. Und Emmi Werner hat da in dieser Kawaii Studie eine bahnbrechende Längsschnittstudie mit organisiert oder als Studienleiterin koordiniert. Das ging über 40 Jahre. 1955 hat es angefangen, ging bis 1995 und sie haben 698 Kinder, die zu dem Zeitpunkt auf der Insel Kawaii geboren wurden, über 40 Jahre lang begleitet. Mega krass, auf diese Idee zu kommen und das dann auch umzusetzen. Und Ziel dieses Forschungsprojekts war es eben, so die langfristigen Folgen von Stressfaktoren, die vor, während oder kurz nach der Geburt auftauchen, zu beobachten. Wie beeinflussen diese Stressfaktoren um die Geburt herum tatsächlich den Lebensweg der Person?
00:20:59 Sara Mohr:
Genau, das heißt, sie hatten Untersuchungszeitpunkte, während der, die nennen das hier so schön, pränatale Entwicklungsphase, also als die Kinder noch nicht geboren wurden, haben sie die Eltern schon zu Hause besucht, dann haben sie die Kinder besucht, im Alter von einem Jahr, zwei Jahren, zehn Jahren, 18 Jahren, 31 Jahren, 32 Jahren und 40 Jahren. Von diesen knapp 700 Kindern, ich habe es eben gesagt, 698 Kindern, waren von Anfang an 201 Kinder als stark gefährdet eingestuft, weil… die diesem zum Beispiel eine schwierige Geburt hatten, perinatalem Stress ausgesetzt waren oder weil sie in anhaltender Armut gelebt haben, weil sie Eltern mit einem sehr niedrigen Bildungsniveau hatten, weil sie in konfliktreichen Umwelten aufgewachsen sind, mit Scheidung, Alkoholismus der Eltern, psychischen Erkrankungen im Familienkreis. Das waren alles so Faktoren, wo es dann hieß, okay, das Kind gilt als stark gefährdet.
00:21:59 Sara Mohr:
Und interessant ist jetzt das Ergebnis, dass ein Drittel dieser Kinder aus dieser Hochrisikogruppe zu – ich zitiere – kompetenten jungen Erwachsenen heranwuchs, die keine Lern- oder Verhaltensstörungen in der Kindheit zeigten. Und weil Emmi Werner nach dem Positiven schaut, hat sie sich genau dieses Drittel ganz genau angeschaut. Was war bei diesen Kindern anders, dass die das geschafft haben? Diese Kinder waren irgendwie resilienter, da kommt der Begriff dann, als die anderen Kinder. Irgendwie konnten die mit Herausforderungen und schwierigen Situationen besser umgehen. Das heißt nicht, dass diese Kinder davon nicht beeinträchtigt waren oder Probleme einfach von denen abgeprallt waren und die waren dann breakable oder so, aber die haben es irgendwie auch trotzdem geschafft, immer wieder Ressourcen zu finden und Ressourcen zu nutzen.
00:22:54 Sara Mohr:
Kurz zum Begriff Resilienz an sich. Der kommt eigentlich aus der Werkstoffphysik, also ein Material kann resilient sein, dass quasi, wenn Druck oder Spannung drauf ausgeübt wird, danach wieder in seinen Ursprungszustand zurückkehrt. Gummi zum Beispiel ist ein sehr resilientes Material. Es springt immer wieder zurück in den Ausgangszustand. Emmi Werner hat also gefragt, okay, was unterscheidet dieses Drittel resilienter Kinder von den anderen Hochrisikokindern? Und sie hat erkannt, es gibt ganz individuelle Schutzfaktoren und es gibt soziale Schutzfaktoren, die diese Kinder hatten. Und da waren vor allem drei Sachen wichtig. Diese Kinder hatten in ihrem Leben, auch wenn das oft schwierige Familienverhältnisse waren, mindestens eine Vertrauensperson, eine stabile Beziehung außerhalb der dysfunktionalen Familie. Das konnte ne Lehrperson sein, das konnte die nette Nachbarin sein, das konnte n Onkel sein, dann irgendwer, eine stabile Person. Außerdem mussten diese Kinder sehr früh Verantwortung übernehmen, also sie wurden sehr früh gefordert und waren in der Lage, in diese Verantwortung, aber auch reinzuwachsen, was Positives darin zu sehen, dass sie diese Verantwortung übertragen bekommen. Und dann sagten sie, und das ist so ein individueller Schutzfaktor, so ein bisschen, der Charakter spielt auch ne Rolle, also die Kinder, die resilienten Kinder aus der Studie, waren eher ruhige Kinder mit aber so ner positiven Grundeinstellung. Und sie waren trotz ihrer vielen negativen Erfahrungen immer noch offen gegenüber anderen Menschen.
00:24:35 Sara Mohr:
Und sie hat dann immer davor gewarnt, aus ihrer Forschung jetzt abzuleiten, so okay, jetzt wissen wir, was so ein Kind resilient macht. Jetzt haben wir so ein paar Quick Fixes, wir wenden die einfach an, wir machen ein Resilienz-Trainingsprogramm und dann werden wir alle resilient. Das war so ne Schlussfolgerung, die sie nicht gerne hatte, dass man die aus ihrer Forschung zieht, und auch nicht die Schlussfolgerung, dass Resilienz was ist, was irgendwie angeboren ist. Also entweder du bist es halt oder du bist es nicht, hast halt eher Glück gehabt oder Pech gehabt, sondern das ist was, was sich entwickeln kann im Laufe des Lebens. Und es ist auch was, was nicht unbedingt die ganze Zeit konsistent da ist. Es gibt Phasen, wo man resilienter ist und Phasen, wo man weniger resilient ist, vielleicht.
00:25:24 Sarah Bühler:
Ja, wo die Schutzfaktoren vielleicht auch anders sind, ne?
00:25:27 Sara Mohr:
Genau. Und das ist halt nichts, was man von Leuten verlangen kann: „Sei doch mal resilienter.“ Das ist schwierig, jemandem vorzuwerfen, dass er oder sie nicht resilient genug ist, nur weil gerade eine schwierige Zeit ist. Sie hat drei Sachen festgehalten: Erstens, Resilienz ist ein Prozess – entwickelt sich und kann sich im Laufe des Lebens verändern. Zweitens, Resilienz ist sehr individuell, es gibt kein allgemeingültiges Programm. Drittens, es ist leichter, Resilienz zu entwickeln, wenn die Grundbedürfnisse gesichert sind – also wenn ich nicht hungern muss oder mir keine Sorgen um meine körperliche Unversehrtheit machen muss.
Sie hat in den letzten Jahren ihres Lebens auch nationale Hilfsprogramme in den USA kritisiert, die Resilienz fördern wollen, aber am falschen Ende ansetzen. Es wäre besser, Grundbedürfnisse zu sichern, z.B. durch Zugang zum Gesundheitssystem, bevor Probleme so groß werden.
Die Ergebnisse ihrer Studie: In den Fünfzigern war die Annahme, dass arme Kinder später auch arm bleiben. Als sie die ersten Auswertungen hatte, dachte sie, das kann nicht sein, wir haben einen Fehler in der Statistik – so viele Kinder schaffen es, trotzdem ein gutes Leben zu führen. Es gab Kinder mit vier bis fünf Risikofaktoren, die nach 15 Jahren immer noch nicht auffällig waren. Natürlich gab es auch Kinder mit vielen Risikofaktoren, die Auffälligkeiten zeigten, gerade in den Teenagerjahren, aber auch von denen hat sich ein überraschend hoher Prozentsatz in den Zwanzigern wieder erholt.
Letzter Punkt zu Emmi Werner, bevor wir zur Studie kommen: Die Kinder wurden bis 40 begleitet, also waren sie dann keine Kinder mehr. Die Studie zeigte, dass viele der Teilnehmenden nicht nur in ihren Zwanzigern, sondern auch noch in den Dreißigern ihr Leben verändern konnten – durch Community-Ressourcen wie eine unterstützende Religionsgemeinschaft, Volkshochschulkurse, einen stabilen Freundeskreis oder Vereinsaktivitäten. Die Botschaft: Nicht zu früh aufgeben – auch in den Zwanzigern oder Dreißigern kann noch viel passieren.
Und ich weiß nicht, ob uns hier jemand zuhört, der gemeinwesenorientierte Ergotherapie macht, aber ich glaube, das passt da gut rein: Anknüpfungspunkte in den Gemeinden, in der direkten Umwelt zu finden für die Leute. Wenn man so Texte und Interviews mit Emmi Werner liest, hat man immer wieder das Gefühl, die hätte auch echt gut Forschung in der Occupational Science machen können – mit ihrem Konzept. Sie spricht immer wieder von einem „Sense of Belonging“, also Gefühl von Zugehörigkeit, das ein ganz wichtiger Resilienzfaktor ist. Ich muss das Gefühl haben, dass ich irgendwo hingehöre. Klingt insgesamt, obwohl es nicht aus der Ergotherapie kommt, nach einem spannenden Konzept für die Ergotherapie.
Aber was hat das jetzt miteinander zu tun? Es gibt einige Studien zum Thema Resilienz in der Ergotherapie, und ich habe mir jetzt eine rausgesucht, die versucht, das Thema Resilienz direkt mit Ergotherapie zu verknüpfen – und zwar über bedeutungsvolle Betätigung. Das gucken wir uns jetzt an. Das ist eine Studie aus dem letzten Jahr, von 2024: „Engagement in meaningful activity mediates the relationship between stressful life events and functional resilience.“ Ich mag ja nicht, wenn im Titel schon die Antwort steht, aber wir gucken es uns trotzdem an.
Sie haben sich gefragt: Macht uns die Teilhabe an bedeutungsvollen Betätigungen – wenn ich das tun kann, was ich für wichtig halte oder tun muss – resilienter? Und zwar vor allem in den Zeiten während oder kurz nachdem wir eine herausfordernde Lebenssituation hatten, also in den Phasen, wo wir vielleicht wirklich Resilienz brauchen. Wir wissen ja aus Forschung zur Ergotherapie und zur Occupational Science: Teilhabe an bedeutungsvoller Betätigung gibt Menschen Wohlbefinden und unterstützt die Gesundheit, bedeutungsvolle Betätigung gibt dem Leben Sinn, und Sinnhaftigkeit ist schon ein Schutzfaktor für die psychische Gesundheit.
Was wurde in dieser Studie gemacht? Die haben ihre Studienteilnehmenden über Amazon Web Services gebeten – darüber lief die Umfrage – eine Umfrage auszufüllen. Ich habe auch gestutzt an dieser Stelle im Artikel und dachte: Amazon? Habe ich noch nie in einer Studie gelesen, was ist hier los? Hab das kurz nachgeguckt: Bei den Amazon Web Services gibt es den sogenannten Amazon Mechanical Turk. Das ist eine Online-Crowdsourcing-Plattform. Da können Auftraggebende Aufträge einstellen, und Personen führen diese Aufgaben dann aus. Meistens Aufgaben, die zeitaufwendig, aber ziemlich einfach sind, die man nicht an eine Maschine abtreten kann, sondern die ein Mensch machen muss – daher der Name Mechanical Turk, benannt nach einer Figur, einem Schachroboter aus dem 18. Jahrhundert, der von außen aussah wie ein Roboter, aber innen drin saß ein Mensch und hat gesteuert.
Im Fall unserer Studie wurde also diese Umfrage bei den Amazon Web Services eingestellt. Teilnehmen konnten nur Leute, die in den USA wohnhaft waren zu dem Zeitpunkt. Diese ganzen Amazon-Websites, Mechanical Turk – wenn ihr da Lust habt, euch einzulesen, das ist arbeitsbedingungstechnisch nicht so ganz sauber, das ist ein bisschen kritisch zu betrachten, das funktioniert auch nur so in den USA, glaube ich. Aber ich wollte in dieses Web-Detail nicht abbiegen, aber kurze Anregung: Wer da jetzt immer noch bei Mechanical Turk hängt, ich glaube, das lohnt sich, da zumindest mal einen Wikipedia-Artikel zu lesen.
Sie haben diese Umfrage darüber verteilt. Es konnte jede Person teilnehmen, die in den USA wohnhaft war und mindestens 18 Jahre alt. Es haben dann knapp 500 Leute, 492 Personen, teilgenommen. Jetzt sehen wir aber, dass das Sample schon seine Probleme hat: Es war nämlich 75 % männlich, 72 % waren weiß, 77 % waren verheiratet, und sie waren im Durchschnitt 36 Jahre alt. Das ist nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.
Die Teilnehmenden wurden in dieser Umfrage gebeten: Bitte denken Sie an eine schwierige Lebenssituation, die Sie in den letzten fünf Jahren erlebt haben. Diese schwierige Lebenssituation sollten sie im Hinterkopf behalten, während sie verschiedene Fragebögen ausgefüllt haben. Es gab einen Fragebogen zur Resilienz – der klingt auch cool, wenn ich mal einen Fragebogen entwickle, nenne ich den auch so: Psychological Body Armor. Einen Fragebogen zu Purpose in Life and Self-Expectations, also psychologisches Wohlbefinden. Dann Fragebögen zur Schlafqualität, Schlaflänge, wie erholt bin ich nach dem Schlafen, eine Skala zu Achtsamkeit, eine Skala zum Selbstwirksamkeitsempfinden in dieser Zeit um das kritische Lebensereignis herum, und dann haben sie den Engagement in Meaningful Activity Survey ausgefüllt.
Das ist ein Fragebogen, das sind 13 Aussagen, und die Leute kreuzen an: Ist immer so, ist manchmal so, ist selten so, ist nie so. Da sind Aussagen drin wie: Die Aktivitäten, die ich ausübe, helfen mir, für mich selbst zu sorgen. Oder: Die Aktivitäten, die ich ausübe, tragen dazu bei, dass ich mich kompetent fühle. Oder: Die Aktivitäten machen mir Freude, oder: Die Aktivitäten geben mir ein Gefühl der Kontrolle. Das ist total schnell ausgefüllt, und ich finde den ein bisschen cool, um so betätigungsbezogen einen Überblick zu bekommen: Wie wohl fühlt sich die Person mit den Aktivitäten, die sie im Alltag hat? Zum Schluss haben sie dann noch das stressige Lebensevent, an das sie die ganze Zeit gedacht haben, auf einer Skala von 1 bis 7 eingeschätzt: 1 war, das hatte eigentlich keinen großen Einfluss auf mein Leben, 7 war, das hat mein Leben extrem beeinflusst – um ein bisschen abzuschätzen, ob da jemand nur dran denkt, wie er sich mal den Zeh gestoßen hat, oder ob das Haus abgebrannt ist.
Die Ergebnisse waren ganz interessant. Die zeigen nämlich, dass eine Person, die gerade eine schwierige Lebenserfahrung überwindet, durchaus diese neuen Betätigungen nutzen kann und dadurch weniger quasi resilient sein muss oder ihre Resilienz weniger gefordert wird. Ich versuch das noch mal anders zu formulieren, der Satz war gerade komisch. Also: Wenn ich in meinem Leben Betätigungen habe, die mir Sinn geben, die mir ein gutes Gefühl geben, dann kann ich auch in stressigen Lebenssituationen besser damit umgehen und muss quasi weniger resilient sein, weil ich meine Betätigung habe, die mir trotzdem ein gutes Gefühl gibt.
00:36:59 Sarah Bühler:
Könnte also auch ein Schutzfaktor sein.
00:37:01 Sara Mohr:
So genau, quasi.
Und was spannend war, ähnliche Ergebnisse gab es auch schon in anderen Studien und da wurde auch festgestellt, dass Personen nach dem Erleben von schwierigen Lebensereignissen oft auch Betätigungen, die vorher gar nicht so wichtig waren, die einfach so Alltag waren, wo wir nicht so drüber nachgedacht hat, auf einmal haben die eine Bedeutung bekommen also mich hat das so erinnert, als wenn irgendein wichtiger Mensch im Leben stirbt und vorher hat man irgendeine Betätigung, keine Ahnung jeden Morgen zusammen Kaffee trinken, das hat man halt einfach so gemacht und wenn die Person aber nicht mehr da ist, bekommt dieses Kaffeetrinken eine ganz andere Bedeutung, vielleicht so in in diesem Sinne ne, also Betätigungen kriegen auch eine ganz neue Bedeutung durch diese Lebensereignisse unter Umständen und wenn ich es dann schaffe die positiv zu besetzen, dass die bedeutungsvoll sind und mir n Sinn geben, dann haut mich das eben nicht so sehr um.
Die Autorinnen geben natürlich das zu Bedenken, wie ich am Anfang gesagt habe, die Teilnehmenden, das war nicht repräsentativ, das war ein sehr limitiertes Sample. Was da rauskam, gilt für weiße Männer in den Dreißigern, die verheiratet sind.
Und auch da nur muss man, muss man bedenken, es zeigt so n Trend vielleicht aber ist nichts, was wir jetzt verallgemeinern können, einfach so. Was sie aber vorschlagen und was ich halt n coolen Punkt fand in dieser Studie, dass sie diesen Fragebogen, den ich ja eben erwähnt hab, dieses Assessment zu Engagement and meaning collectivity, dass sie sagen, das könnte man doch echt mal mehr in der Therapie benutzen, gerade bei Leuten, wo man vielleicht auch das Gefühl hat, Boah, die sind gerade, aber auch in einer stressigen Lebenssituation, wann haben wir das denn nicht, dass wir Klientel haben, die gerade in stressigen, lebenseinschneidenden Lebenssituationen sind? Um zu schauen, welche bedeutungsvollen Betätigungen haben die eigentlich, die ihnen ein gutes Gefühl geben, die ein Kontrollgefühl geben, Selbstwirksamkeitsgefühl geben und wie stark ist die Person da drin überhaupt involviert oder gibt es das momentan gar nicht im Leben dieser Person?
00:39:10 Sarah Bühler:
Gibt es den frei verfügbar, den Fragebogen?
00:39:15 Sara Mohr:
Das sind einfach diese Fragen, ich mache einen Link in die Shownotes. Ich habe den nicht auf Deutsch gefunden, aber das ist super einfach in DeepL zu übersetzen, weil es einfach immer nur ein Satz ist, und dann kann ich bewerten von 1 bis 4 und dann kriege ich am Ende einen Wert raus. Da gibt es natürlich keine Normwerte, sondern ich vergleiche das dann vielleicht am Ende der Therapie noch mal oder so.
Und ich möchte am Ende noch auf einen Punkt zu sprechen kommen – noch mal zu Emmi Werner zurück und ihrer Studie, die 40 Jahre auf Kawaii lief mit den Hochrisikokindern. Eine Sache: Die haben natürlich dann jedes Mal, wenn sie die Kinder und dann die Erwachsenen besucht haben, bestimmte psychologische Testungen und so weiter gemacht und sich das Umfeld angeguckt. Die Teilnehmenden wurden aber auch jedes Mal gefragt: Welche Person in deinem Leben unterstützt dich gerade am meisten oder ist dir gerade am wichtigsten? Weil diese eine Bezugsperson so wichtig war. Und ich fand das Ergebnis für uns als Ergos ein bisschen – nennen wir es mal überraschend. Weil auch bei den Menschen, und da waren ja einige, die Kontakt zu Therapeut:innen, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen hatten, auch die haben als wichtigste Unterstützung immer Familienmitglieder benannt. Auf Platz 2 waren Freundinnen und Freunde, auf Platz 3 Lehrkräfte. Direkt hinter den engen Freundinnen und Freunden. Und die Gesundheitsprofessionen im weitesten Sinne kamen auf Platz 12 – und da waren sie auf derselben Höhe, sie teilten sich den Platz zusammen mit den Haustieren.
00:40:58 Sarah Bühler:
Mein Haustier hat einen richtig hohen Stellenwert.
00:41:00 Sara Mohr:
Ich bin mir sicher, dass Polly auf 1 ist und nicht auf 12. Ich fand es so gut, dass wir Ergos irgendwo da hinten abgeschlagen mit, weiß ich nicht, dem Goldfisch Tommy sind.
00:41:15 Sarah Bühler:
Ja, das ist ja immer nur ein ganz kleiner Teil, den wir begleiten, auch sehen oder den Ausschnitt.
00:41:19 Sara Mohr:
Ja. Du schaffst es, das wieder positiv darzustellen. Vielen Dank dafür. Mit deinen ist den Platz mit Goldfischen, Sarah.
00:41:32 Sarah Bühler:
Nein, das ist, weil du kein Haustier hast.
00:41:34 Sara Mohr:
Ja, momentan nicht, das stimmt. Ich merke, nee, ich könnte ein Haustier definitiv wertschätzen. Ich denke oft an meine ehemalige Katze.
00:41:35 Sarah Bühler:
Kannst du das wertschätzen?
00:41:37 Sara Mohr:
Ja, ja, ich denke an die Katze.
00:41:45 Sara Bühler:
Ich habe letztens auch mal wieder an unseren WG-Hamster gedacht. Erinnerst du dich?
00:41:52 Sarah Mohr:
Wie hieß er noch mal?
00:41:58 Sarah Bühler:
Ich weiß es nicht mehr.
00:42:00 Sara Mohr:
Speedy. Kann das sein?
00:42:02 Sarah Bühler:
Kann sein. Hört sich so an, als ob ich ein Tier so benennen würde, ja.
00:42:07 Sara Mohr:
Sarah hat damals in unsere Ergo-WG einen Hamster mitgebracht, der dann auch – die werden ja nicht so alt – das war so ein Zwerghamster, oder Teddyhamster, wie heißen die? Die ganz kleinen.
00:42:18 Sarah Bühler:
Ganz kleinen, ja. Er war auf jeden Fall klein und man konnte ihn ja auch nie anfassen.
00:42:23 Sara Mohr:
Nee, nee, das wollte er nicht, hatte aber ein gutes Leben, glaube ich. Er hat ein richtig gutes Leben.
00:42:25 Sarah Bühler:
Absolut. Wir haben dem alles ermöglicht.
00:42:29 Sara Mohr:
Der hat ein gutes Leben und das Leben hat halt… Aber in der WG.
00:42:31 Sarah Bühler:
Dann ja, da war er auf einmal nicht mehr da, bin nicht mehr gefunden.
00:42:35 Sara Mohr:
Er war dann irgendwann… Am Abendbrottisch war die Frage: Wann hat eigentlich zuletzt jemand den Hamster gesehen? Und dann haben wir nach ihm im Einstreu gesucht, aber der hat ja im Winter auch immer so ein bisschen geruht, und dann haben wir ihn ganz zärtlich im Streu gefunden.
00:42:50 Sarah Bühler:
Nein, nein, das konnte ich nicht.
00:42:52 Sara Mohr:
Ich habe ihn gefunden, ich habe mich getraut. Er lag da ganz friedlich eingemummelt. Ja, ja, der Hamster. Das war so viel… Wie kamen wir jetzt zum WG-Hamster? Oh Gott, wir biegen ab an Stellen in diesem Podcast.
00:43:05 Sarah Bühler:
Haustiere?
00:43:06 Sara Mohr:
Haustiere – wichtig! Auch ein Hamster kann wichtig sein. Zurück von Hamster, ja, zur Ergotherapie. Ich überlege gerade, ob hier drei Dos auch Sinn machen, weil es kommt ja jetzt niemand mit dem Anliegen „Ich möchte gerne resilienter werden“ in die Ergotherapie. Aber trotzdem vielleicht einfach drei Take-Home-Messages für die Ergotherapie aus der Resilienzforschung.
00:43:33 Sarah Bühler:
Also ich finde es bei Kindern immer wichtig zu fragen: Gibt es eine Bezugsperson oder eine Person, die für dich wichtig ist, oder einen festen Freund, Freundin, wie auch immer. Schon was, was ich eigentlich sage.
00:43:46 Sara Mohr:
Mit dem du auch reden kannst, wenn du Probleme hast.
00:43:47 Sarah Bühler:
Genau, ja. Das ist schon was, was man gut im Gespräch abfragen kann.
00:43:55 Sara Mohr:
Ein Du ist auch auf jeden Fall, glaube ich, ob man das mit diesem Fragebogen macht oder ohne – aber wirklich mal thematisieren: Was gibt es denn momentan im Leben für Dinge, die sie tun, die ihnen gut tun oder das Gefühl geben, das macht Sinn, mein Leben?
00:44:10 Sarah Bühler:
Ja, aber auch Kinder, wo man denkt, oh, die haben schon einige Risikofaktoren, die eben an Jugendzentren oder an so Sachen auch…
00:44:19 Sara Mohr:
Also lokal anzubinden, ja, guter Punkt. Und die Kinder nicht aufgeben – es kann sich in den Zwanzigern ändern, es kann sich in den Dreißigern ändern.
00:44:21 Sarah Bühler:
Genau. Und ich glaube, was auch wichtig ist: einfach den Kinderschutz im Blick zu behalten und wenn notwendig, auch das Jugendamt zu informieren, damit auch einfach Hilfe geleistet werden kann, wenn da eine Überprüfung stattfindet. Unsere Aufgabe ist ja nicht, das zu entscheiden, aber eine Überprüfung vielleicht in die Wege zu leiten.
00:45:01 Sara Mohr:
Oder halt auch den Eltern, je nachdem wie die Situation ist, zu sagen: Da gibt es auch Möglichkeiten, dass man Unterstützung bekommt, wenn man überfordert ist mit Situationen oder wenn da irgendwas aus dem Fugen gerät.
00:45:13 Sarah Bühler:
Genau. Und ich glaube, wir haben in Deutschland auch ganz gute Systeme über die Caritas oder andere Stellen und so.
00:45:21 Sarah Bühler:
Genau, Beratungsstellen. Dass man die auch empfiehlt und da Kontakte herstellt.
00:45:27 Sara Mohr:
Ich glaube, das ist für einen selber als Ergo auch gut zu wissen. Das ist ja nicht schön, wenn man das mitbekommt. Gut zu wissen, ich muss das nicht alleine lösen, sondern das ist ein Netzwerk, das da aufgebaut werden muss und von dem man profitieren kann, wenn es das gibt.
00:45:27 Sara Mohr:
Das waren jetzt gute Take-Home-Messages. Ich packe euch alle Links und Studien zu Emmi Werner in die Shownotes. Machen wir den Sack zu für heute. Machen wir den Deckel drauf.
00:45:38 Sara Mohr:
Amy sagt immer: Mach mal einen Knopf dran. Wenn ihr Vorschläge habt für Studien oder Themen, die euch interessieren, dann schreibt uns eine E-Mail an info@ergo-unterwegs.de oder schreibt uns auf Instagram. Da heißen wir ergounterwegs, zusammengeschrieben. Die Retreat-Buchung ist offen. Ich freue mich, wenn wir uns sehen – und ansonsten freue ich mich, wenn wir uns hören bei der nächsten Folge.
00:45:59 Sarah Bühler:
Bis dann!
Die Studie in Bildern

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