#26 - Auf der Suche nach der (raren) Evidenz
Wir schauen uns die Forschungslandschaft zur evidenzbasierten Ergotherapie bei Depression an und stellen fest: da gibt es ein paar große Lücken…aber auch zwei tolle Leitlinien!
Lust auf mehr Evidenz für dein Team?
Die Studien und Leitlinien in dieser Folge sind:
Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression
S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen
Christie, L., Inman, J., Davys, D., & Cook, P. A. (2021). A systematic review into the effectiveness of occupational therapy for improving function and participation in activities of everyday life in adults with a diagnosis of depression. Journal of Affective Disorders, 282, 962–973.
Edel, M.-A., Blackwell, B., Schaub, M., Emons, B., Fox, T., Tornau, F., Vieten, B., Roser, P., Haussleiter, I. S., & Juckel, G. (2017). Antidepressive response of inpatients with major depression to adjuvant occupational therapy: A case–control study. Annals of General Psychiatry, 16(1), 1.
00:00:23 Einstieg und Alltagsgeschichten
Sara Mohr und Sarah Bühler begrüßen die Zuhörer*innen zur neuen Folge von „Evidenz auf die Ohren“. Nach einer kurzen Vorstellung – inklusive Hundetapser von Polly – berichten sie aus ihrem Alltag: Sara erzählt von einem Vortrag bei den Alexianern zum Thema Flow in der Ergotherapie, insbesondere im psychiatrischen Bereich. Sie reflektiert, dass sie selbst wenig Erfahrung in der Psychiatrie hat, aber den Bereich spannend findet. Sarah berichtet von ihren Erfahrungen und Fortbildungen in der Handtherapie und wie unterschiedlich die Fachbereiche in der Ergotherapie sein können.
00:04:11 Themenvorstellung: Evidenzbasierte Ergotherapie bei Depressionen
Das heutige Thema wurde von Markus vorgeschlagen, der aktuell seine Bachelorarbeit dazu schreibt. Sara gibt offen zu, dass sie wenig Erfahrung im Bereich Depression hat und startet deshalb mit einem Blick in die nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression (2022). Sie hebt hervor, dass die Leitlinie ein eigenes Ergotherapiekapitel enthält und lobt die patientenfreundliche Aufbereitung der Inhalte.
00:05:47 Hintergrundwissen: Depression – Definition, Prävalenz und Risikofaktoren
Sara fasst die wichtigsten Fakten zur Depression zusammen: Es handelt sich um eine psychische Störung, die durch gedrückte Stimmung, Interessensverlust und Antriebsminderung gekennzeichnet ist, oft begleitet von körperlichen Beschwerden. Die Erkrankung beeinträchtigt die gesamte Lebensführung und führt zu hohem Leidensdruck. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 16–20 %, Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Im höheren Lebensalter steigt das Risiko weiter an, in stationären Altenpflegeeinrichtungen sind bis zu 50 % betroffen. Weitere Risikofaktoren sind plötzliche belastende Lebensereignisse (z. B. Schlaganfall), genetische Veranlagung, andere psychische Erkrankungen, Traumata, soziale Isolation und belastende Lebenssituationen.
00:11:08 Leitlinienempfehlungen: Behandlung und Rolle der Ergotherapie
Die Leitlinie empfiehlt als erste Maßnahmen Hilfe zur Selbsthilfe und Stärkung von Selbstmanagementfähigkeiten, vor allem durch Psychoedukation. Es folgen Psychotherapie, medikamentöse Therapie und neurostimulatorische Verfahren. Ergotherapie wird als psychosoziale Intervention empfohlen, zusätzlich zu anderen Therapieformen. Die Leitlinie beschreibt Ergotherapie allgemein und erklärt auch den Ablauf der Verordnung, bleibt aber bezüglich spezifischer ergotherapeutischer Maßnahmen relativ vage. Besonders betont wird die Rolle der Ergotherapie in der beruflichen Rehabilitation.
00:14:04 Evidenzlage: Systematisches Review zu Ergotherapie bei Depression
Sara stellt ein systematisches Review von 2021 vor, das sechs relevante Studien zur Ergotherapie bei Erwachsenen mit Depression identifiziert hat. Die Studien stammen aus verschiedenen Ländern und untersuchten spezifische Interventionen (z. B. Schreibworkshops, Manuals), aber keine klassische klientenzentrierte, betätigungsbasierte Ergotherapie.
Drei Studien fokussierten auf Interventionen zur Rückkehr an den Arbeitsplatz. Ergebnis: Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung reduziert langfristig depressive Symptome.
Eine Studie zu Lebensstilinterventionen zeigte eine Reduktion von Angstsymptomen und Suizidgedanken, aber keinen Effekt auf die depressive Symptomatik selbst.
Zwei Studien beleuchteten die Perspektive der Klient*innen: Besonders hilfreich wurden Coaching, Feedback, Pacing-Strategien und Alltagssimulationen empfunden.
00:18:37 Studienbeispiel aus Deutschland: Handwerk vs. Brettspiele
Sara berichtet detailliert über eine deutsche Studie (2017), die als Fallkontrollstudie bezeichnet wurde, aber methodisch einem RCT entspricht. 114 Personen mit Depression wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe erhielt sechs Wochen lang täglich Handwerksgruppen (als Ergotherapie), die andere spielte Brettspiele. Ergebnis: Beide Gruppen zeigten keine Unterschiede in der depressiven Symptomatik, lediglich die Angstsymptome reduzierten sich in der Handwerksgruppe etwas stärker. Die Studie weist methodische Schwächen auf (z. B. Unterschiede in der Medikation, fehlende Verblindung).
00:29:00 Weitere Leitlinien: Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen
Die nationale Leitlinie zu psychosozialen Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen enthält ein ausführliches Kapitel zur Ergotherapie. Auch hier wird festgestellt, dass die Evidenzlage für viele ergotherapeutische Verfahren dünn ist. Es gibt jedoch einige Ansätze mit höherer Evidenz, die gut in die Ergotherapie integrierbar sind, insbesondere:
Verhaltensaktivierung (Behavioral Activation): Eine aus der Verhaltenstherapie stammende Methode, bei der Patient*innen lernen, wieder Aktivitäten aufzunehmen, die ihnen wichtig sind oder früher Freude bereitet haben.
Förderung körperlicher Aktivität: Zielgerichtete Bewegungsförderung als Teil der ergotherapeutischen Intervention.
Manualisierte Programme wie „Handeln gegen Trägheit“ (Action Over Inertia): Zeitprotokolle, Strukturierungspläne und Betätigungsprofile helfen, den Alltag zu analysieren und gezielt zu verändern.
00:35:02 Praktische Empfehlungen: Drei Do’s für die Praxis
Sara und Sarah geben zum Abschluss drei konkrete Tipps für die ergotherapeutische Arbeit mit Menschen mit Depression:
Psychoedukation nutzen, z. B. mit Ratgeberheften.
Auf Selbsthilfegruppen und Unterstützungsangebote aufmerksam machen (z. B. Deutsche Depressionshilfe).
Einen Notfallplan erstellen, falls sich Symptome verschlimmern.
Sie empfehlen zudem, sich mit manualisierten Programmen wie „Handeln gegen Trägheit“ auseinanderzusetzen, betätigungsorientiert zu arbeiten und den Klient*innen Zeit für Ziel- und Wunschfindung zu geben.
00:37:57 Abschluss und Ausblick
Sara und Sarah ermutigen die Community, eigene Erfahrungen und bewährte Strategien im Umgang mit Depressionen zu teilen, da die Evidenzlage weiterhin ausbaufähig ist. Sie verabschieden sich und laden zu weiteren Themenvorschlägen ein.
(Diese Zusammenfassung wurde mit Hilfe von KI generiert.)
Intro: Hintergrundmusik, die sich langsam steigert. Eine Stimme sagt: Evidenz auf die Ohren, der Podcast für evidenzbasierte Ergotherapie.
00:00:23 Sara Mohr:
Hallo und herzlich Willkommen bei einer neuen Folge auf die Ohren, eurem Podcast für evidenzbasierte Praxis in der Ergotherapie. Mein Name ist Sara Mohr und hier bei mir ist Sarah Bühler.
00:00:30 Sarah Bühler:
Hallo.
00:00:36 Sara Mohr:
Und Polly ist auch da. Ich hoffe, man hat diese Hundetapser im Hintergrund jetzt gehört, als hätte sie sich vorgestellt.
00:00:40 Sarah Bühler:
Ja, jetzt ist sie auf jeden Fall da.
00:00:44 Sara Mohr:
Sehr schön. Wir starten in diese neue Folge mit Geschichten aus dem Alltag. Es wurde gesagt, ich soll mal anfangen.
00:00:53 Sarah Bühler:
Ganz genau.
00:00:55 Sara Mohr:
Deshalb fange ich mal selber an. Wir mussten eben überlegen, weil seit der letzten Folge gefühlt so viel passiert ist. Ich durfte vor ein paar Wochen nach Berlin fahren zu einem Vortrag bei den Alexianern, einem großen Krankenhausverbund. Alle zwei Jahre treffen sich dort alle Ergos, die in Deutschland für die Alexianer arbeiten, zu einer Fachtagung. Ich durfte dort über Flow erzählen, weil ich meine Masterarbeit darüber geschrieben habe und wie Flow in der Ergotherapie ein Thema sein kann. Das war spannend, auch im Austausch, da die meisten im psychiatrischen Bereich arbeiten. Es ging darum, wie Flow im Alltag landet, auch bei der Klientel. Ich selbst war bisher wenig im psychischen Bereich unterwegs, nur hin und wieder mit einzelnen Klientinnen. Ich habe gemerkt, das ist eigentlich ein spannender Bereich, schade, dass ich mich damit so wenig beschäftige.
00:02:11 Sarah Bühler:
Ja, verrückt, wie man doch sein Steckenpferd hat und andere Bereiche gar nicht so auf dem Schirm.
00:02:18 Sara Mohr:
Total. Natürlich weiß ich, dass es das gibt, aber wann habe ich das letzte Mal wirklich mit einer Ergotherapeutin aus dem Bereich gesprochen? Das war schön. Was war bei dir los im Alltag?
00:02:33 Sarah Bühler:
Ich habe mich die letzten Monate mit Handtherapie beschäftigt.
00:02:38 Sara Mohr:
Du hast auch eine Fortbildung dazu gemacht, oder?
00:02:41 Sarah Bühler:
Einige, ja. Man merkt, wie anders der Bereich ist, weil die Fortbildungen relativ funktionell sind. Im Alltag ist es dann schwierig, die Betätigung reinzubringen. Aber spannend, mal andere Krankheitsbilder oder Einschränkungen zu sehen als im Pädiatrischen.
00:03:09 Sara Mohr:
Ja.
00:03:10 Sarah Bühler:
Genau.
00:03:10 Sara Mohr:
Ich bin überzeugt, die Handtherapie-Ergos sind die wahren Nerds. Das ganze Anatomiewissen, die unterschiedlichen Operationen, Nachbehandlungsschemata – das sind die Nerds in der Ergotherapie, oder?
00:03:29 Sarah Bühler:
Ich finde es auch krass. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch mal so viel Anatomie ist. Man kommt wieder rein, aber es hat echt gebraucht, sich darauf einzulassen.
00:03:39 Sara Mohr:
Glaube ich. Cool.
00:03:44 Sarah Bühler:
Ja.
00:03:45 Sara Mohr:
Sehr schön. Ein Blick in andere Fachbereiche im Alltag – wunderbar. Das schließt thematisch an unser heutiges Thema an, denn wir sprechen heute über ein psychiatrisches Thema, das sich viele gewünscht haben. Markus hat uns eine E-Mail geschrieben und gefragt, ob wir etwas zu evidenzbasierter Ergotherapie bei Depressionen erzählen können, weil er darüber seine Bachelorarbeit schreibt.
00:04:21 Sarah Bühler:
Okay.
00:04:22 Sara Mohr:
Ich habe ja schon gesagt, dass ich wenig Ahnung in dem Bereich habe. Immer wenn ich wenig Ahnung habe, schaue ich zuerst in die Leitlinie. Es gibt eine sehr gute nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression von 2022. Für den DVE haben Azize Karsberg und Frank Zammert mitgearbeitet, es gibt ein eigenes kleines Ergotherapie-Kapitel. Damit würde ich mal starten, bevor wir weiter in die Evidenz schauen.
Diese Leitlinie gefällt mir aus zwei Gründen: Erstens gibt es ein Ergotherapie-Kapitel, zweitens eine eigene Homepage – den Link findet ihr in den Shownotes. Dort kann man die Langfassung und eine Patientenleitlinie herunterladen, in der die Inhalte übersichtlicher dargestellt sind. Es gibt auch visuell aufbereitete Dokumente zu verschiedenen Themen, die die Inhalte schnell erfassen lassen. Das fand ich sympathisch.
Bevor wir ergotherapeutisch reingehen, noch ein paar Fakten zum Thema Depression aus der Leitlinie: Depression ist eine psychische Störung, gekennzeichnet durch gedrückte Stimmung, Interesselosigkeit und Antriebsminderung. Wer Menschen mit Depressionen behandelt, kennt das Bild. Oft gibt es auch körperliche Beschwerden, die zusätzlich auftreten. Es ist eine Erkrankung, die die gesamte Lebensführung beeinträchtigt, also in allen Alltagsbereichen. Es treten häufig auch psychische Symptome wie starke Selbstzweifel, Konzentrationsstörungen, Grübeln, Schlaf- und Appetitstörungen auf. Der Leidensdruck ist sehr hoch, weil das Wohlbefinden und Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt werden.
Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken, liegt in Deutschland und international bei 16 bis 20 Prozent. Das ist viel.
00:07:13 Sarah Bühler:
Ja, und ich meine auch noch mal in der Mitte des Lebens. Vor allem ist das Risiko, glaub ich, auch mal erhöht.
00:07:20 Sara Mohr:
Es steigt mit höherem Lebensalter auf jeden Fall. Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer. Da hab ich auch noch mal kurz gestutzt. Ich glaube, was da ein Faktor ist, der mit reinspielt, ist, dass das bei Männern auch eher unterdiagnostiziert ist, weil Mental Health bei Männern vielleicht auch weniger angesprochen oder nicht diagnostiziert wird. An sich können Depressionen, wie du eben schon gesagt hast, in jedem Lebensalter auftreten, aber je älter wir werden, desto höher ist das Risiko. Im höheren Lebensalter, also ab 65 Jahren, ist Depression tatsächlich die häufigste psychische Störung. Man geht davon aus, dass in stationären Einrichtungen der Altenpflege, also in Seniorenheimen, bis zu 50 Prozent der Bewohnenden eine Depression haben, zusätzlich zu anderen geriatrischen Erkrankungen.
00:08:19 Sarah Bühler:
Ja, hast du auch nochmal was gefunden zu neurologischen Erkrankungen? Wir haben jetzt im Team noch mal davon geredet, Schlaganfallpatienten, wenn das halt so plötzliche Ereignisse sind, dass wir das Gefühl haben, dass das einfach häufig dann auch unterdiagnostiziert ist, dass so der Fokus auf dem Schlaganfall liegt, aber dann die psychischen Faktoren häufig erst sehr spät, wenn überhaupt, erfragt werden.
00:08:46 Sara Mohr:
Also da, aus rein persönlicher Erfahrung mit Schlaganfall-Klientel, ich glaube auch, dass es unglaublich häufig ein Thema ist bei den Leuten, das aber auch noch viel, weil das so stigmatisiert ist. So nach dem Motto: „Ich bin ja nicht balla balla, ich hab ja nichts am Kopf“ oder so, und die Leute sich deshalb da auch so ein bisschen gegen wehren. Total schade, weil ich glaube, da wird viel, wie du sagst, nicht gesehen.
00:09:12 Sarah Bühler:
Auch die Rehabilitation, ja, vereinfacht werden könnte in bestimmten Fällen, wenn das behandelt wird.
00:09:20 Sara Mohr:
Total. Also so plötzlich auftretende, belastende Lebensereignisse wie zum Beispiel ein Schlaganfall, aber auch Beziehungskrisen, Todesfälle, irgendwas, sind auf jeden Fall ein Risikofaktor für das Auftreten von Depressionen. Andere Risikofaktoren: Es gibt schon eine genetische Vulnerabilität, also wenn es in der Familiengeschichte häufiger auftritt, dass Depressionen, also wenn Depression häufiger auftritt in der Familie, hat man selber auch ein höheres Risiko. Aber auch das höhere Alter, das hatte ich eben schon gesagt, und auch andere psychische Störungen. Also wenn ich bereits eine Angsterkrankung habe oder eine Persönlichkeitsstörung, ist das Risiko, zusätzlich noch eine Depression zu entwickeln, noch mal höher. Dann natürlich das Erleben von Traumata oder Katastrophen erhöht natürlich auch noch mal das Depressionsrisiko. Lebenssituationen, die stressig sind, also zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder generell so prekäre finanzielle Situationen, und ein ganz wichtiger Faktor, den die Leitlinie auch noch mal hervorhebt: Vereinsamung und soziale Isolation, gerade bei älterer Klientel. Wir sehen, dass Menschen, die stabile, vertrauensvolle Beziehungen haben, das ist so ein Schutzfaktor vor Depressionen fast schon. Und Menschen, die verwitwet sind oder geschieden oder alleinstehend, haben noch mal ein höheres Depressionsrisiko.
Genau, also da kommt ganz viel zusammen bei dieser Diagnose, sehr vielschichtig. Die Leitlinie sagt dann: Gute Behandlung, erster Punkt, Hilfe zur Selbsthilfe und Stärkung von Selbstmanagement-Fähigkeiten, am besten durch Psychoedukation. Dann kommt an nächster Stelle die Psychotherapie, medikamentöse Therapie, es gibt so, da kenne ich mich ganz wenig aus, so neurostimulatorische Verfahren, also so repetitive transkranielle Magnetstimulation, da gibt es wohl Evidenzen zu, kenne ich mich nicht aus. Dann kommen psychosoziale Interventionen, da zählen wir dazu, Ergotherapie oder auch Soziotherapie. Und dann listet die Leitlinie noch unterstützende Maßnahmen, also Sport, Bewegung, Lichttherapie, solche Sachen.
00:08:46 Sara Mohr:
Also da, aus rein persönlicher Erfahrung mit Schlaganfall-Klientel, ich glaube auch, dass es unglaublich häufig ein Thema ist bei den Leuten, das aber auch noch viel, weil das so stigmatisiert ist. So nach dem Motto: „Ich bin ja nicht balla balla, ich hab ja nichts am Kopf“, und die Leute sich deshalb da auch so ein bisschen gegen wehren. Total schade, weil ich glaube, da wird viel, wie du sagst, nicht gesehen.
00:09:12 Sarah Bühler:
Auch die Rehabilitation, ja, vereinfacht werden könnte in bestimmten Fällen, wenn das behandelt wird.
00:09:20 Sara Mohr:
Total. Also so plötzlich auftretende, belastende Lebensereignisse wie zum Beispiel ein Schlaganfall, aber auch Beziehungskrisen, Todesfälle, irgendwas, sind auf jeden Fall ein Risikofaktor für das Auftreten von Depressionen. Andere Risikofaktoren: Es gibt schon eine genetische Vulnerabilität, also wenn es in der Familiengeschichte häufiger auftritt, dass Depressionen, also wenn Depression häufiger auftritt in der Familie, hat man selber auch ein höheres Risiko. Aber auch das höhere Alter, das hatte ich eben schon gesagt, und auch andere psychische Störungen. Also wenn ich bereits eine Angsterkrankung habe oder eine Persönlichkeitsstörung, ist das Risiko, zusätzlich noch eine Depression zu entwickeln, noch mal höher. Dann natürlich das Erleben von Traumata oder Katastrophen erhöht natürlich auch noch mal das Depressionsrisiko. Lebenssituationen, die stressig sind, also zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder generell so prekäre finanzielle Situationen, und ein ganz wichtiger Faktor, den die Leitlinie auch noch mal hervorhebt: Vereinsamung und soziale Isolation, gerade bei älterer Klientel. Wir sehen, dass Menschen, die stabile, vertrauensvolle Beziehungen haben, das ist so ein Schutzfaktor vor Depressionen fast schon. Und Menschen, die verwitwet sind oder geschieden oder alleinstehend, haben noch mal ein höheres Depressionsrisiko.
00:09:20 Sara Mohr:
Total. Also so plötzlich auftretende, belastende Lebensereignisse wie zum Beispiel ein Schlaganfall, aber auch Beziehungskrisen, Todesfälle, irgendwas, sind auf jeden Fall ein Risikofaktor für das Auftreten von Depressionen. Andere Risikofaktoren: Es gibt schon eine genetische Vulnerabilität, also wenn es in der Familiengeschichte häufiger auftritt, dass Depressionen, also wenn Depression häufiger auftritt in der Familie, hat man selber auch ein höheres Risiko. Aber auch das höhere Alter, das hatte ich eben schon gesagt, und auch andere psychische Störungen. Also wenn ich bereits eine Angsterkrankung habe oder eine Persönlichkeitsstörung, ist das Risiko, zusätzlich noch eine Depression zu entwickeln, noch mal höher. Dann natürlich das Erleben von Traumata oder Katastrophen erhöht natürlich auch noch mal das Depressionsrisiko. Lebenssituationen, die stressig sind, also zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder generell so prekäre finanzielle Situationen, und ein ganz wichtiger Faktor, den die Leitlinie auch noch mal hervorhebt: Vereinsamung und soziale Isolation, gerade bei älterer Klientel. Wir sehen, dass Menschen, die stabile, vertrauensvolle Beziehungen haben, das ist so ein Schutzfaktor vor Depressionen fast schon. Und Menschen, die verwitwet sind oder geschieden oder alleinstehend, haben noch mal ein höheres Depressionsrisiko.
Genau, also da kommt ganz viel zusammen bei dieser Diagnose, sehr vielschichtig. Die Leitlinie sagt dann: Gute Behandlung, erster Punkt, Hilfe zur Selbsthilfe und Stärkung von Selbstmanagementfähigkeiten, am besten durch Psychoedukation. Dann kommt an nächster Stelle die Psychotherapie, medikamentöse Therapie, es gibt so, da kenne ich mich ganz wenig aus, so neurostimulatorische Verfahren, also so repetitive transkranielle Magnetstimulation, da gibt es wohl Evidenzen zu, kenne ich mich nicht aus. Dann kommen psychosoziale Interventionen, da zählen wir dazu, Ergotherapie oder auch Soziotherapie. Und dann listet die Leitlinie noch unterstützende Maßnahmen, also Sport, Bewegung, Lichttherapie, solche Sachen.
Genau das so allgemein. Und dann springen wir so ein bisschen in das Ergotherapiekapitel der Leitlinie und sind kurz ein bisschen enttäuscht, weil es erst noch mal allgemein erklärt, was Ergotherapie ist. Das ist nicht schlecht, denn Leitlinien richten sich primär an Ärztinnen und Ärzte. Es schadet nicht, noch mal zu erklären, was ist Ergotherapie, was ist der Fokus und wie kann Ergotherapie verordnet werden. Die Leitlinie legt großen Wert darauf, zu erklären, wie eine Verordnung ablaufen kann.
00:12:24 Sarah Bühler:
Sehr schön.
00:12:26 Sara Mohr:
Fand ich auch sehr sympathisch, mit hilfreichen Links, zum Beispiel zu Musterformularen für Verordnungen. Was wir gerne lesen wollen, ist: Welche Maßnahmen in der Ergotherapie sind evidenzbasiert? Da bleibt es leider relativ allgemein. Es wird davon gesprochen, dass Ergotherapie stationär, teilstationär und ambulant umgesetzt werden kann, zusätzlich zu Psychotherapie und Medikamenten. Es wird von einem breiten Spektrum an handlungs- und ressourcenorientierten Interventionen gesprochen.
Ich weiß nicht, ob Markus das schon reicht für seine Bachelorarbeit. Was mir aufgefallen ist beim Lesen: Der Fokus liegt relativ häufig auf Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation für Menschen mit Depression. Da lag irgendwie ein Schwerpunkt drauf und ich habe mich gefragt, warum. Also habe ich unabhängig von der Leitlinie nach Studien gesucht, „Depressionen und occupational therapy“. Ich bin auf ein systematisches Review von 2021 gestoßen, das untersucht hat, in welchen Bereichen Ergotherapie effektiv ist, um Teilhabe von Erwachsenen mit Depression zu verbessern.
In diesem systematischen Review wurden über 1000 Studien gesichtet, am Ende blieben 6 Studien aus Kanada, Deutschland, den Niederlanden, Taiwan und Großbritannien übrig. Alle verglichen spezifische Ergotherapie-Interventionen mit anderen Interventionen.
00:15:17 Sarah Bühler:
Und die spezifischen Interventionen wurden benannt? Sind das dann Konzepte?
00:15:20 Sara Mohr:
Genau, es war nie einfach klientenzentrierte, betätigungsbasierte Ergotherapie, sondern immer ein Schreibworkshop oder ein bestimmtes Manual – immer etwas Spezifisches. Drei Studien beschäftigten sich mit Interventionen zur Rückkehr an den Arbeitsplatz. Das war auch in der Leitlinie ein großes Thema. Alle drei Studien zeigen: Unterstützung bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz reduziert im Langzeitverlauf depressive Symptome. Das ist das Outcome mit den besten Evidenzen.
Eine Studie beschäftigte sich mit Lebensstilinterventionen. Sie zeigte: Lebensstilinterventionen reduzieren Angstsymptome und Suizidgedanken, aber nicht die depressive Symptomatik selbst. Es war nur eine Studie, daher ist das Ergebnis vorsichtig zu interpretieren.
00:17:03 Sarah Bühler:
Man kriegt eine Idee, was helfen könnte.
00:17:05 Sara Mohr:
Genau, so eine Idee, das deutet in eine Richtung. Dann gab es zwei Studien, die die Perspektive der Klientinnen selbst noch mal herausgearbeitet haben. Eine Studie war qualitativ, die andere hat zusätzlich noch Daten erhoben. Da zeigte sich, dass die Therapieelemente, die die Klientinnen als besonders hilfreich eingeordnet haben, Coaching waren, Situationen in der Ergotherapie, das Feedback, das sie erhalten haben, um sich selbst besser einzuschätzen, aber auch, um zu lernen, sich selbst Feedback zu geben. Pacing-Strategien, also Aufgaben nach Energielevel zu strukturieren, und Simulationen von Alltagssituationen, also so ein bisschen Rollenspiele, in denen sie verschiedene Verhaltensweisen ausprobieren konnten, wurden ebenfalls als hilfreich genannt.
Das waren die qualitativen Daten, wobei die eine qualitative Studie methodisch nicht optimal war. Ich habe vorhin gesagt, diese sechs Studien kamen aus verschiedenen Ländern, und eine Studie kam aus Deutschland. Die habe ich mir noch mal genauer angeschaut.
00:18:57 Sarah Bühler:
Okay.
00:19:04 Sara Mohr:
Kurz noch ein bisschen Theorie: Diese Studie sagt von sich selbst in der Überschrift, sie ist eine Case-Control-Study, also eine Fallkontrollstudie. Wir reden ja oft über RCTs – ich habe zwei Gruppen, eine bekommt die Intervention, die andere ist die Kontrollgruppe, und dann vergleiche ich. Fallkontrollstudien laufen ein bisschen anders ab. Eine der bekanntesten Fallkontrollstudien ist die British Doctors Study von 1950. Die haben damals alle Ärzte im britischen Ärzteregister angeschrieben und zu ihrem Gesundheitszustand und Rauchgewohnheiten befragt. Diese große Gruppe wurde über Jahre immer wieder befragt. Bereits nach zehn Jahren reichten die Daten aus, um klar zu zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Lungenkrebs und Zigarettenrauchen.
00:21:16 Sarah Bühler:
Keine Ahnung, hört sich krass an. Krasser Aufwand.
00:21:19 Sara Mohr:
Krasser Aufwand, ja, aber um das einmal eindeutig nachzuweisen, ja. Und das ist, was eine Fallkontrollstudie macht: Sie schaut sich zwei Gruppen von Personen an, in dem Fall Menschen, die Lungenkrebs entwickeln, und Menschen, die keinen Lungenkrebs entwickeln, und guckt dann, was war der Unterschied. Diese Gruppen sollten sich abgesehen von dem Merkmal möglichst ähnlich sein. Fallkontrollstudien werden eigentlich immer retrospektiv durchgeführt, also rückblickend. Diese Definition behalten wir mal im Kopf, wenn wir uns jetzt anschauen, was in unserer deutschen Studie zum Thema Ergotherapie und Depression gemacht wurde.
Die haben 114 Personen mit einer feststehenden Diagnose Depression an drei Klinikstandorten in Deutschland gesucht, das waren Rehakliniken im psychiatrischen Bereich. Für sechs Wochen wurden diese 114 Personen in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe erhielt Ergotherapie, das hieß hier Handwerksgruppe, die andere Gruppe war eine Spielegruppe, in der Brettspiele gespielt wurden.
00:23:11 Sarah Bühler:
Ach, da kann ich dir noch was erzählen.
00:23:13 Sara Mohr:
Ja, bitte, erzähl.
00:23:14 Sarah Bühler:
Ich hatte mal eine Verordnung, ich weiß gar nicht mehr, was die Diagnose war. Unten gibt es doch so ein Feld „Bemerkungen“ oder „Therapieziele“ oder so. Das ist nicht oft ausgefüllt, aber da stand: „Bitte Brettspiele spielen“.
00:23:32 Sara Mohr:
Nein. Für ein Kind?
00:23:35 Sarah Bühler:
Nein, für eine erwachsene Person. „Bitte Brettspiele spielen“.
00:23:39 Sara Mohr:
Was hast du damit gemacht?
00:23:44 Sarah Bühler:
Wir haben mit dem Arzt gesprochen und gefragt, ob das nicht Aufgabe von jemand anderem ist, also ob das eine qualifizierte Fachperson machen muss oder ob das nicht etwas ist, was vielleicht jemand ehrenamtlich übernehmen kann. Natürlich haben wir auch gefragt, was das Ziel des Brettspiels ist. Aber ja, ich hab das gelesen und dachte, das kann jetzt nicht auf einem offiziellen Dokument stehen.
00:24:13 Sara Mohr:
Krass.
00:24:17 Sarah Bühler:
Finde ich auch krass.
00:24:19 Sara Mohr:
Interessant. Da kann man mit Interesse mal diese Studie lesen. Das hat jetzt ein bisschen abgelenkt, wir können jetzt zu der schmerzhaften Studie zurückkommen.
00:24:35 Sarah Bühler:
Das war für mich auch ein schmerzhaftes Erlebnis.
00:24:42 Sara Mohr:
Also, 114 Personen, zwei Gruppen. Eine Gruppe hat zwei Stunden täglich an fünf Tagen die Woche Handwerk gemacht, das hieß Ergotherapie. Die andere Gruppe hat zwei Stunden täglich an fünf Tagen die Woche Brettspiele gespielt, das war die Kontrollgruppe in Anführungszeichen, weil sie gesagt haben, das ist ja dann keine Ergotherapie. Das lief über sechs Wochen und es wurden Assessments gemacht, bei denen die depressiven Symptome beurteilt wurden. Es stellte sich heraus: Die depressiven Symptome haben sich in beiden Gruppen nicht unterschieden. Sie haben herausgefunden, dass sich die Angstsymptome in der Handwerksgruppe stärker reduziert hätten.
Jetzt zoomen wir noch mal ein bisschen raus aus dieser Studie. Ich weiß nicht, ob du jetzt mit mir verwirrt bist, weil die sagen, sie sind eine Fallkontrollstudie, aber wie sie die Studie durchgeführt haben, klingt einfach nach einem lupenreinen RCT. Ich habe zwei Gruppen, die eine Gruppe bekommt die Intervention, die andere Gruppe bekommt die andere Intervention, und ich gucke, was besser funktioniert. Oder habe ich einen Knick in der Optik?
00:25:57 Sarah Bühler:
Ja, also nein.
00:25:59 Sara Mohr:
Ja, ich habe das nicht genau verstanden und diese Studie taucht ja auch in unserem systematischen Review vom Anfang auf und da wird sie auch als RCT eingeordnet. Das ist schon mal so ein Moment, wo man kritisch gucken muss, was in dieser Studie vielleicht noch alles nicht so ganz koscher ist. Da sind noch ein paar Sachen, die nicht so gut gelaufen sind. Zum Beispiel waren die beiden Gruppen, die Spielegruppe und die Handwerksgruppe, nicht gleich genug. Zum Beispiel haben die Frauen in der Interventionsgruppe deutlich höher dosierte Antidepressiva eingenommen. Das verzerrt die Ergebnisse nachher.
00:26:38 Sarah Bühler:
Ich hatte auch überlegt, ob man nicht noch Komorbiditäten filtern muss.
00:26:43 Sara Mohr:
Ja, haben die wohl am Anfang ziemlich genau gemacht. Es wurden ziemlich viele Leute auch nicht aufgenommen in die Studie, wenn die zum Beispiel noch eine Essstörung komorbid hatten oder andere Störungen.
00:26:52 Sarah Bühler:
Ja.
00:26:56 Sara Mohr:
Außerdem wurden beide Gruppen, die Spielgruppe und die Handwerksgruppe, von denselben Ergos angeleitet.
00:27:04 Sarah Bühler:
Mhm.
00:27:05 Sara Mohr:
Und dann war halt auch die Frage, wo ist jetzt noch so ein großer Unterschied? Also was genau ist hier die Intervention? Die Therapeutinnen wussten natürlich, ob sie gerade in der Handwerksgruppe therapieren oder in der Spielegruppe. Normalerweise muss man ja verblindet sein, also nicht wissen, in welcher Gruppe man gerade ist. Wie will man das verblinden? Natürlich weiß ich als Therapeutin, was ich mache. Allerdings wurden auch die Teilnehmenden nicht gut verblindet. Das heißt, auch die wussten, welches die echte Ergo-Gruppe ist und welches die Spielegruppe. Und das beeinflusst ja die Ergebnisse.
00:27:53 Sarah Bühler:
Ah ja, okay.
00:27:56 Sara Mohr:
Das beeinflusst auch wieder die Ergebnisse. Der Fakt, dass eine Handwerksgruppe einfach als Ergotherapie untersucht wurde, den atmen wir jetzt einfach mal weg. Es kommt also raus: Es macht keinen Unterschied, ob ich mit den Leuten Handwerk mache oder Spiele spiele – es ändert sich nichts an der depressiven Symptomatik. Das war auch noch mal Teil dieses systematischen Reviews.
Jetzt stand ich da an der Stelle dieser Recherche und dachte: Ja, okay. Die Leitlinie hat mir jetzt nur gesagt, ja, mach Ergotherapie, aber nicht was. Das systematische Review hat gezeigt, es gibt eigentlich nur sechs Studien, zumindest bis 2021, die auch jetzt nicht so die Burner-Ergebnisse bringen.
Ich guck noch mal weiter. Die Leitlinie macht etwas Nettes: Die Leitlinie unipolare Depression verweist nämlich auf eine andere Leitlinie, nämlich auf die Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ und sagt: Guckt da doch mal rein, da geht es auch noch mal um Ergotherapie. Also habe ich mir diese Leitlinie angeschaut. Da haben übrigens für die Ergotherapie mitgearbeitet Andreas Pfeiffer und Werner Höhl. Die ist auch optisch sehr schön gemacht – sowas freut mich, wenn das alles immer Dokumente sind, die jetzt 186 Seiten haben. Wenn man da in so eine Bleiwüste reinguckt, ist meine Motivation, mich damit zu beschäftigen…
00:29:44 Sarah Bühler:
Ja.
00:29:50 Sara Mohr:
…bei minus fünf ungefähr. Die ist sehr übersichtlich gestaltet, schön, und auch die hat ein eigenes Ergotherapiekapitel, ein sehr langes Ergotherapiekapitel, wo noch mal der Hintergrund erklärt wird, auch noch mal, was ist Ergotherapie, welche Maßnahmen werden aktuell in der Ergotherapie eingesetzt und welche Evidenzen haben wir? Auch die kamen zu dem Schluss: Na ja, es ist ein bisschen dünn mit der Evidenz zu Ergotherapie in der Psychiatrie – das ist ja jetzt keine spezielle Depressionsleitlinie mehr, sondern es geht um Menschen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen.
Genau, sie kommen zu dem Schluss, dass für viele Verfahren, die aktuell in der Ergotherapie eingesetzt werden, einfach nicht genug Studien existieren, um abschließend zu sagen, wirkt es jetzt wirklich oder nicht. Was eben nicht heißt, dass diese Sachen nicht wirken, sondern nur, dass wir es uns noch nicht angeguckt haben.
Es gibt ein paar wenige Ansätze mit höherer Evidenz, die meistens nicht direkt aus der Ergotherapie kommen, aber gut in die Ergotherapie passen. Zum Beispiel der Ansatz der Verhaltensaktivierung (Behavioral Activation) oder die Förderung körperlicher Aktivität. Das ist ja etwas, was wir gut in der Ergotherapie auch angehen können mit Leuten – wie kann ich körperlich aktiver sein, wenn das ein Ziel ist?
Ich habe mir dann noch mal genau diese Verhaltensaktivierung anschauen wollen, weil ich erst mal mit dem Begriff nicht wirklich anfangen konnte. Das ist eine Intervention, die kommt aus der Verhaltenstherapie, die gibt’s da schon sehr lange und kann sehr gut von Ergotherapeutinnen durchgeführt werden, ist auch nachweislich bei Depressionen wirksam. Es geht darum, dass die Betroffenen lernen, Aktivitäten wieder aufzunehmen, die ihnen wichtig sind oder die in der Vergangenheit Freude bereitet haben.
Und ich finde, diese Beschreibung – das ist ja eigentlich Ergotherapie. Das ist so ein Bereich, in den man gut noch mal reingucken kann. Außerdem wird empfohlen, Zeitnutzungsmanuale zum Aktivitätsaufbau zu nutzen, zum Beispiel das „Action over Inertia“, auf Deutsch „Handeln gegen Trägheit“.
00:32:16 Sarah Bühler:
Ich habe gerade auch daran gedacht, weil da ganz viel so Strukturierungspläne oder erst mal Zeitprotokolle zu erfassen drin sind, wo man mal einen Tag…
00:32:26 Sara Mohr:
Hast du damit schon gearbeitet?
00:32:28 Sarah Bühler:
So ein bisschen, ja, genau. Also immer mal wieder. Wir haben nicht so viele Psychpatienten in der Praxis, aber wenn wir mal jemanden haben, dann nutze ich tatsächlich „Handeln gegen Trägheit“. Genau. Ja, kann man gut Sachen rausnehmen.
00:32:49 Sara Mohr:
Ich glaube, das ist auch ganz schön, einfach so was Manualisiertes zu haben, oder?
00:32:56 Sarah Bühler:
Genau. Und es lässt aber trotzdem viel Freiheiten. Also man kann einfach erst mal über ein COPM oder über eine Interessenscheckliste grob rausfiltern, was sind denn so Interessen oder in welche Richtung könnte es gehen, aber dann auch noch mal so ein Zeitnutzungsprotokoll nennen, die das glaube ich…
00:33:14 Sara Mohr:
Okay, das heißt, damit ist es wie ein Betätigungsprofil. Also es wird geguckt, was machen die Leute überhaupt?
00:33:17 Sarah Bühler:
Ähnlich wie ein Betätigungsprofil, genau. Was machen die über den Tag und dann wird es eingeteilt in die Bereiche Selbstversorgung, Produktivität, Freizeit und Erholung, meine ich. Genau. Und dann wird geguckt, wie viele Stunden verbringt man womit und ist es in Balance. Balance heißt nicht, dass alles gleich sein muss, sondern wo könnte man etwas dazu machen, wo könnte man etwas weglassen. Genau, und dann werden auch noch mal Fragen gestellt, was ist einem wichtig, da geht es dann auch noch mal um Rollen oder soziale Kontakte in der Nachbarschaft. Also es sind immer so Sachen, ja, kann man gut mal Denkanstöße geben.
00:33:58 Sara Mohr:
Ja, cool, das klingt echt gut. Genau an dieser Stelle endet jetzt auch erstmal dieser kleine Ausflug, weil ich glaube, gerade was so diese manualisierten Sachen angeht, gibt es mittlerweile ein paar ganz gute Sachen, zu denen wir noch keine Studien haben, die aber gut in die Ergotherapie reinpassen und eben auf andere Methoden aufbauen, wie zum Beispiel die Verhaltensaktivierung, die aus der Verhaltenstherapie kommt und da gute Evidenzen hat und wo Anteile einfach gut in die Ergotherapie reinpassen.
Wenn wir nur nach Leitlinien oder nur nach den einzelnen Studien gucken, ist die Evidenz aktuell noch ein bisschen dünn. Das heißt, da ist viel Platz für Forschung. Markus macht jetzt den Anfang mit seiner Bachelorarbeit.
Sollen wir noch drei Dos machen am Schluss? Was tun, wenn jetzt morgen eine Klientin mit einer Depression bei uns in der Praxis aufschlägt und auf ihrer Verordnung steht nicht drauf: „Bitte Brettspiele spielen“?
00:35:13 Sarah Bühler:
Also ich meine, es gibt auf jeden Fall einen Ratgeber zur Psychoedukation. Diese Ratgeberheftchen finde ich immer mal nicht schlecht, um generell noch mal einen Überblick zu bekommen. Dann, glaube ich, ist es wichtig, auf verschiedene Selbsthilfegruppen aufmerksam zu machen. Es gibt zum Beispiel die Deutsche Depressionshilfe, die auch verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten anbietet. Dann ist es immer wichtig, einen Notfallplan zu machen, falls das in der Psychotherapie noch nicht geschehen ist – also was mache ich, wenn die Symptome schlimmer werden, da was mitgeben. Genau, das wären eigentlich meine drei Dos.
00:36:02 Sara Mohr:
Das waren jetzt schon die wichtigsten Punkte, die kamen hier aus der Pistole geschossen. Sehr gut. Ich glaube, sich echt noch mal mit so einem Manual wie zum Beispiel „Handeln gegen Trägheit“ auseinanderzusetzen und zu gucken, was man daraus anwenden kann – ich glaube, dann wird man auch so ein bisschen an die Hand genommen. Das würde mir Sicherheit geben.
00:36:26 Sarah Bühler:
Genau. Und ich glaube, wenn man klientenzentriert und betätigungsorientiert arbeitet, dann macht man ja eh ein Betätigungsprotokoll und da kriegt man dann ja schon viele Informationen.
00:36:36 Sara Mohr:
Ja, ich glaube, das ist echt schon mal ein guter Einstieg.
00:36:37 Sarah Bühler:
Und in der Regel haben die Leute, die in die Praxis kommen, meistens auch Ideen oder Wünsche, was gerne anders sein soll. Dann kann man da ja ansetzen und gucken, was braucht man jetzt, um das umsetzen zu können, um da eine Routine draus zu machen.
00:36:53 Sara Mohr:
Ja, und ich glaube, gerade bei dem Punkt, ob die Leute schon mal mit Ideen für Ziele oder Wünsche kommen – auch wenn sie damit nicht kommen, darf dieser Prozess, ein Ziel oder ein Veränderungspotenzial zu finden, auch mal dauern.
00:37:10 Sarah Bühler:
Ja.
00:37:11 Sara Mohr:
Ich finde es immer so krass, was wir uns selber für einen Druck machen, aber auch der Klientel für einen Druck machen, dass da gefühlt in den ersten fünf Minuten ein Ziel nach SMART auf dem Tisch liegen muss. Gerade bei Depressionen: Allein der Gedanke an die Zukunft ist vielleicht schon gruselig. Von daher: Nehmt euch den Druck raus, nehmt den Leuten den Druck raus. Prozesse dürfen Zeit brauchen.
00:37:38 Sarah Bühler:
Genau, und auch Psychoedukation ist ein wichtiger Teil, das kann auch mehrere Einheiten dauern, um die Person abzuholen.
00:37:49 Sara Mohr:
Nur nicht hetzen – weder sich selbst noch die Klienten. Sehr gut. Ich würde das wirklich gern an die Ergos da draußen weitergeben, die viel bewanderter in der Psychiatrie sind als wir: Schreibt uns doch gerne mal, was ihr in der Ergotherapie mit Menschen mit Depressionen macht, egal ob ihr ambulant, stationär oder teilstationär arbeitet. Was hat für euch funktioniert, was findet ihr unterstützend, welche Strategien helfen euch? Wir haben sicher nicht alles abgedeckt und es gibt bestimmt noch nicht zu allem Studien.
Ansonsten könnt ihr uns immer schreiben, wenn ihr Wünsche habt für Themen.
00:38:46 Sarah Bühler:
Ja.
00:38:47 Sara Mohr:
Dann machen wir hier den Deckel drauf. Ich freue mich auf die nächste Folge. Tschüss!
Die Studie in Bildern

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