#24 - Ein Deep Dive in die Geschichte des Handwerks und der Ergotherapie

Wir machen einen Deep Dive in die Geschichte der Ergotherapie und fragen uns:
Ist Handwerk wirklich DIE Wurzel der Ergotherapie? Fördern handwerkliche Techniken das Wohlbefinden? Gibt es tatsächlich eine Verbindung zwischen spezifischen Handwerkstechniken und Auswirkungen auf Körperfunktionen?
Und schlussendlich: Was hat das ganze nun mit Teilhabe zu tun?

Geschichten aus dem Alltag: Sarah strukturiert die Praxis und rechnet die erste Blanko-Verordnung ab. Sara bekommt Herz und Hirn geschenkt.

Lust auf mehr Evidenz für dein Team?

Die Studien und Artikel in dieser Folge sind:

Historische Fotografien und mehr auf der Homepage von OT Centennial.

Dunton, W. R. (1919). Reconstruction therapy. Saunders.

Robinson I. M. (1942) Department of Crafts. Canadian Journal of Occupational Therapy. 9(2):61-67.

A SUGGESTED ANALYSIS OF POTTERY AS A THERAPEUTIC CRAFT FOR PSYCHIATRIC PATIENTS. Occupational Therapy & Rehabilitation 25(1):p 19, February 1946.

Crites Bissell, J., Mailloux, Z. (1981) The Use of Crafts in Occupational Therapy for the Physically Disabled. American Journal of Occupational Therapy. 35(6), 369–374.

Taylor. E., Manguno J. (1991) Use of treatment activities in occupational therapy. American Journal of Occupational Therapy. 45(4):317-22.

Friedland, J. (2003). Muriel Driver Memorial Lecture: Why Crafts? Influences on the development of Occupational Therapy in Canada from 1890 to 1930. Canadian Journal of Occupational Therapy, 70(4), 204–212.

Kawamata, H., Yamada, T., Kobayash,i N. (2012) [Effectiveness of an occupational therapy program for health promotion among healthy elderly. A randomized controlled trial]. Nihon Koshu Eisei Zasshi.59(2):73-81.

Pappne Demecs, I., & Miller, E. (2019). Participatory art in residential aged care: A visual and interpretative phenomenological analysis of older residents’ engagement with tapestry weaving. Journal of Occupational Science, 26(1), 99–114.

Lee, S., & Heo, J. (2020). Older women’s perspectives on leisure commitment for coping with chronic illnesses. Health Care for Women International, 41(9), 1018–1035.

von Kürthy, H., Aranda, K., Sadlo, G., & Stew, G. (2022). Embroidering as a transformative occupation. Journal of Occupational Science, Advance online publication.

Von Zweck, C., Ledgerd, R., Shann, S., & Mlambo, T. (2023). A global survey on occupational therapy education: Findings and implications for diploma level education. World Federation of Occupational Therapists Bulletin, 79(2), 173–182.

00:00:23 Einstieg und Rückblick auf vorherige Folgen

Zu Beginn begrüßen Sara Mohr und Sarah Bühler die Zuhörer*innen zur neuen Folge von „Evidenz auf die Ohren“. Sie knüpfen an die Diskussionen aus Folge 22 an, in der es um ergotherapeutische Mittel (ETM) und deren Wurzeln im Handwerk ging. Sara erklärt, dass ETM ursprünglich den Handwerksunterricht in der Ergotherapie bezeichnete und kündigt einen Deep Dive in die Geschichte und Bedeutung des Handwerks für die Ergotherapie an.

00:01:46 Alltagsgeschichten und Praxiseinblicke

Sarah berichtet, wie sie in ihrer Praxis die digitalen Therapiematerialien nach Krankheitsbildern und entlang des ergotherapeutischen Prozesses organisiert. Sie beschreibt, wie die Ordnerstruktur aufgebaut ist und dass auch Psychoedukation und Leitlinien eigene Bereiche erhalten. Sara erzählt aus ihrem Alltag als Dozentin für Neurologie und wie kleine Gesten von Schülerinnen Freude bereiten. Beide reflektieren, wie wichtig strukturierte Prozesse sind, um das Team und neue Kolleginnen zu unterstützen.

00:06:45 Historische Entwicklung: Handwerk als Wurzel der Ergotherapie

Sara stellt drei zentrale Aussagen zum Handwerk in der Ergotherapie vor:

  • Handwerk und kreative Betätigung sind die Wurzel der Ergotherapie.

  • Handwerk fördert das Wohlbefinden.

  • Handwerkliche Tätigkeiten verbessern Körperfunktionen und damit Alltagsfähigkeiten.

Historisch entwickelte sich die Ergotherapie aus Strömungen wie dem Moral Treatment (Beschäftigung als menschenwürdige Behandlung), den Reconstruction Aids im Ersten Weltkrieg (Handwerksprogramme für Kriegsveteranen) und dem Arts and Crafts Movement (Handwerk als sinnstiftende Gegenbewegung zur Industrialisierung). In den Anfangsjahrzehnten lag der Fokus auf dem Produkt, später auch auf dem Prozess und der gezielten Auswahl von Handwerksbetätigungen durch Expert*innen, oft mit medizinischem Fokus.

00:21:05 Wandel im Selbstverständnis: Von Handwerk zu bedeutungsvoller Betätigung

Ab den 1940er Jahren wurde neben Handwerk auch therapeutisches Spielen eingeführt. Es entstanden differenzierte Indikationen und Kontraindikationen für Handwerkstechniken, teils mit heute fragwürdigen Begründungen. In den 1980er Jahren wurde das „Bastelimage“ der Ergotherapie kritisch hinterfragt. Umfragestudien zeigten, dass Handwerk zwar noch unterrichtet, aber in der Praxis immer weniger eingesetzt wurde. Moderne ergotherapeutische Modelle (z.B. MOHO) rückten die bedeutungsvolle Betätigung ins Zentrum – unabhängig vom Medium. Die Auswahl der Betätigung orientiert sich nun an individuellen Zielen und Lebensqualität.

00:33:30 Handwerk und Wohlbefinden: Individualität statt Generalisierung

Sara und Sarah diskutieren, dass bestimmte sensorische Reize (z.B. Materialien, Farben) individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Studien zeigen, dass für manche Menschen Handwerk (z.B. Sticken, Weben, Töpfern) eine bedeutungsvolle und wohltuende Betätigung ist – dies lässt sich jedoch nicht generalisieren. Entscheidend ist die individuelle Betätigungsbiografie und subjektive Bedeutung. Auch andere Aktivitäten wie Kochen, Spazierengehen oder Musikhören können das Wohlbefinden fördern. Es ist daher wichtig, Handwerk nicht als einziges Mittel zur Förderung des Wohlbefindens zu betrachten.

00:40:08 Handwerk zur Förderung von Körperfunktionen? Evidenzbasierte Perspektive

Die Annahme, dass handwerkliche Tätigkeiten automatisch Körperfunktionen verbessern und dadurch Alltagsfähigkeiten steigern, wird kritisch hinterfragt. Die Skegg-Robinson-Hypothese besagt, dass Transfer nur gelingt, wenn sich Übungs- und Zielbetätigung möglichst ähnlich sind. Ein Beispiel: Korbflechten und Schreiben sind motorisch und kontextuell zu unterschiedlich, um einen direkten Transfer zu ermöglichen. Der klassische Bottom-up-Ansatz ist nur in Einzelfällen sinnvoll. Viel wirksamer ist ein betätigungsorientierter Ansatz, der gezielt die gewünschte Alltagsaktivität übt. Therapeut*innenkompetenz zeigt sich darin, individuelle Betätigungsziele therapeutisch zu begleiten.

00:49:13 Handwerk als Betätigungsanliegen: Klient*innenzentrierung

Handwerkliche oder kreative Techniken sind dann sinnvoll, wenn sie explizit Betätigungsanliegen der Klient*innen sind (z.B. Aquarellmalen, Vogelhäuschen bauen). Entscheidend ist, dass die Umsetzung auch im Alltag gelingt und die Therapie den Transfer ins echte Leben unterstützt.

00:50:48 Fazit und Ausblick

Das Handwerk ist eine der Wurzeln der Ergotherapie, aber nicht die einzige. Die Profession hat sich weiterentwickelt und orientiert sich heute an einer Vielzahl bedeutungsvoller Betätigungen. Handwerk bleibt relevant, wenn es für Klientinnen bedeutsam ist – aber Ergotherapie ist offen für alle Formen von Betätigung, die Lebensqualität und Teilhabe fördern. Sara und Sarah laden die Zuhörerinnen ein, weitere Themenwünsche zu äußern, und schließen die Folge mit einem positiven Ausblick.

(Diese Zusammenfassung wurde mit KI erstellt)

Intro: Hintergrundmusik, die sich langsam steigert.
Eine Stimme sagt: Evidenz auf die Ohren, der Podcast für evidenzbasierte Ergotherapie.

00:00:23 Sara Mohr: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge Evidenz auf die Ohren, eurem Podcast für evidenzbasierte Praxis in der Ergotherapie. Bei mir hier ist wie immer Sarah Bühler.

00:00:30 Sarah Bühler: Hallo.

00:00:37 Sara Mohr: Und mein Name ist Sara Mohr. Hallo. Sarah, wir machen heute die lang ersehnte Deep Dive in die Geschichte des Handwerks Folge. Bist du auch aufgeregt?

00:00:49 Sarah Bühler: Ja, total spannend.

00:00:53 Sara Mohr: Wir hatten ja in Folge 22 die Ehre, mit Dozierenden und Schulleitungen von der Ergotherapieschule Focus und von der Akademie Schönbrunn über ihre ETM-Konzepte zu sprechen. Da waren viele Ansatzpunkte zum Handwerk in der Ergotherapie: wieso, warum, weshalb?

00:01:10 Sarah Bühler: Ich glaube, du musst noch mal ETM sagen, also was das heißt.

00:01:17 Sara Mohr: Ja, guter Punkt. ETM sind die ergotherapeutischen Mittel, früher Handwerksunterricht. Da reden wir heute noch mal ein bisschen drüber, wie eigentlich das Handwerk zur Ergotherapie kam und warum es vielleicht immer noch da ist. Aber bevor wir da reinstürzen, Sarah, magst du eine Geschichte aus dem Alltag erzählen? Und darf ich einen Anlass geben für deine Geschichte aus dem Alltag?

00:01:46 Sarah Bühler: Ja, gerne beides.

00:01:49 Sara Mohr: Wir haben nämlich eine E-Mail bekommen von Vanessa. Wir haben vor einigen Folgen, hattest du mal erzählt, dass ihr in der Praxis eure Materialien digital sortiert und da so eine Ordnerstruktur am Erstellen seid. Sie schreibt, sie ist aktuell da auch dabei und, Zitat: „Ich bin am Durchdrehen“, weil sie sagt, sie haben so viele Übungen, Assessments, Skripte, Therapieplanung, und sie hätte gerne ein Update, wie es bei dir aussieht mit der Ordnersortierung.

00:02:17 Sarah Bühler: Wir sind noch an der inhaltlichen Struktur tatsächlich erst mal dran und haben mal eine Liste gemacht, was später dann das Programm können soll. Das werden wir aber auslagern, also da werden nicht wir Therapeuten uns drum kümmern, sondern müssen wir mal gucken, was es da dann noch gibt. Bei der inhaltlichen Struktur haben wir jetzt gesagt, wir haben ja eh einen relativ standardisierten Therapiestart, indem wir für die Kinder immer erstmal ein Erstgespräch mit den Eltern machen, vorher einen Fragebogen schicken und dann mit den Kindern in der Regel mit dem Fotointerview starten. Bei den Erwachsenen haben wir auch einen standardisierten Fragebogen, Erstgespräch mit Angehörigen und machen dann in der Regel ein COPM. Das erstmal so allgemein. Dann haben wir überlegt, manchmal reicht das ja aber nicht aus als Befundung oder ergotherapeutische Diagnostik. Und haben dann gesagt, manchmal brauchen wir noch krankheitsbildbezogene Sachen. Deshalb haben wir angefangen, den Ordner tatsächlich nach Krankheitsbildern zu sortieren. Jedes Krankheitsbild hat einen Ordner. Mir war dann aber wichtig, dass in dem Ordner ein ergotherapeutisches Prozessmodell abgebildet ist oder zumindest die Phasen: Was macht man in der Evaluation, was sind Möglichkeiten für die Intervention, was sind Möglichkeiten für die Reevaluation? Da sind wir gerade am Sortieren, was passt denn rein, wo brauchen wir vielleicht auch noch mal Assessments, und welche Therapiekonzepte passen. Ganz klar, die Betätigungsanalyse ist bei uns Standard.

00:03:57 Sara Mohr: Ja, klar.

00:03:57 Sarah Bühler: Mit dabei, das passiert eh immer, aber manchmal braucht man doch noch mal eine Testung für bestimmte Teilbereiche.

00:04:03 Sara Mohr: Auf jeden Fall, um genau dahinter zu gucken, warum scheitert jetzt die Betätigung an dem Punkt?

00:04:08 Sarah Bühler: Ja, also das ist so Standard. Wir sind bei der inhaltlichen Struktur und bei uns starten jetzt erst die Sommerferien, da haben wir mehr Zeit. Ich vermute, dass wir die inhaltliche Struktur dann Mitte September auch fertig haben.

00:04:20 Sara Mohr: Da kriegen wir dann noch mal ein Update, da freue ich mich. Sowas macht mich immer glücklich, wenn Sachen so sortiert sind, aber der Weg dahin ist meistens erst mal, dass es erstmal noch mal unordentlicher wird.

00:04:31 Sarah Bühler: Ja, und wir haben im Team uns auch Gedanken gemacht, wie strukturieren wir es, wenn neue Leute dazukommen? Nach was suchen die in unserem System? Da suchst du halt häufig doch nach Krankheitsbildern erstmal.

00:04:45 Sara Mohr: Ja, aber dann findest du immerhin in den Unterordnern deinen Prozess und das ist ja super, um gezielt auszuwählen: Okay, ich bin in der Evaluationsphase, was haben wir denn da hier in der Praxis?

00:04:54 Sarah Bühler: Genau. Ein Ordner, der noch zusätzlich ist, ist Psychoedukation. Da konnten wir uns noch nicht einigen, in welche Phase der gehört.

00:05:04 Sara Mohr: Alle.

00:05:06 Sarah Bühler: Genau, deshalb gibt es das wahrscheinlich noch. Man kriegt jedes Krankheitsbild einen eigenen Ordner und auch, wo es Leitlinien gibt, machen wir immer noch die Leitlinien mit rein.

00:05:13 Sara Mohr: Ach, sehr schön. Ich sagte, wir kriegen hier lauter Anfragen, dass du das nachher veröffentlichst in irgendeiner Form.

00:05:20 Sara Mohr: Das Sortiersystem mit Inhalten natürlich. Hast du sonst noch eine Geschichte aus dem Alltag?

00:05:28 Sarah Bühler: Ich rechne später die erste Blanko. Ich bin ganz gespannt, wie unser Softwareprogramm das dann tatsächlich umsetzt. Da muss ich mich noch mal ein bisschen einlesen, aber ich hab richtig Lust drauf.

00:05:38 Sara Mohr: Ich drücke alle Daumen, dass das ganz easy geht.

00:05:42 Sarah Bühler: Glaub ich auch. Sehr schön. Ja, und bei dir, was gibt es bei dir Neues aus dem Alltag?

00:05:49 Sara Mohr: Ach, wir haben vor der Sendung, haben Sarah und ich drüber gesprochen, dass wir heute in unseren Köpfen irgendwie sehr wuselig sind und uns keine Geschichten aus dem Alltag einfallen. Deshalb erzähle ich einfach nur was ganz Kleines, sehr Schönes: Ich unterrichte ja noch mit einer halben Stelle Neurologie an der Ergotherapiefachschule und habe als Dankeschön von einem Kurs Plätzchenausstecher in Herzform und in Hirnform bekommen.

00:06:17 Sarah Bühler: Cool.

00:06:17 Sara Mohr: Mega! Ich hab bei dem Wetter, es ist so heiß, konnte ich mich noch nicht überwinden, Kekse zu backen. Ich hab richtig Lust auf Kekse backen. Sehr, sehr cooles Geschenk. Demnächst, wenn ich welche gebacken habe, poste ich vielleicht mal Fotos auf Instagram von Herz- und Hirnkeksen. Das hat mich froh gemacht in meinem Alltag.

00:06:31 Sara Mohr: Schön, genau. Okay, dann starten wir mal mit dem Deep Dive Handwerk. Ich kann dir sagen, Sarah, es wird dich nicht überraschen: Wir werden in dieser Folge nicht alle relevanten Aspekte abdecken können. Ich glaube, man könnte da fünf Doktorarbeiten drüber schreiben. Es gibt so viel zu diesem Thema.

00:06:51 Sara Mohr: Ich habe es jetzt mal so strukturiert, dass ich mir die drei Aussagen geschnappt habe, die mir zum Thema Handwerk in der Ergotherapie häufig begegnen. Wir gucken ein bisschen, was dahintersteckt oder wo das herkommt.

00:07:05 Sara Mohr: Was ich oft höre zum Thema Handwerk ist: Handwerk und auch kreative, gestalterische Betätigung sind doch die Wurzel der Ergotherapie. Das ist die erste Aussage. Dann die zweite Aussage: Handwerk fördert das Wohlbefinden. Und als dritte Aussage: Dadurch, dass ich handwerkliche Tätigkeiten mit den Personen mache, fördere ich oder verbessere deren Körperfunktionen und dadurch können sie dann auch Alltagsbetätigung besser machen. Diesen letzten Punkt habe ich mir zum Schluss aufgehoben.

00:07:35 Sara Mohr: Aber wir fangen mal mit der ersten Aussage an: Handwerkliche und kreativ-gestalterische Betätigung sind die Wurzel der Ergotherapie. Spoiler: Ja, schon auch, aber nicht nur. Historisch gesehen entwickelt sich die Ergotherapie aus vielen verschiedenen Richtungen. Unter anderem – Sarah, wenn wir weit zurückdenken an unser erstes Semester im Bachelorstudium – durch die Philosophie des Moral Treatment, das war so im frühen 19. Jahrhundert. Das kam eigentlich auch aus einer religiösen Grundhaltung heraus. Da ging es beim Moral Treatment darum, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen, die bisher in Psychiatrien eher aufbewahrt wurden, unter sehr menschenunwürdigen Bedingungen, dass man die doch behandeln könnte – also dass man denen was zu tun geben könnte, Beschäftigung und Arbeit geben könnte.

00:08:27 Sara Mohr: Da hat also angefangen, das war das Moral Treatment in den Psychiatrien. Danach hat sich dieses Konzept ausgeweitet, vor allem im Ersten Weltkrieg durch die Reconstruction Aids, auf Menschen, die aufgrund von Kriegsverletzungen mit körperlichen Behinderungen und Beeinträchtigungen gelebt haben. Es gibt übrigens richtig coole Bilder – ich weiß nicht, ob ich in die Shownotes welche verlinke, ansonsten googelt einfach mal “Reconstruction Aids”. Da gibt es tolle Fotos noch aus dem Ersten Weltkrieg, wie diese Reconstruction Aids dann mit so Häubchen dastehen und häufig irgendwelche geflochtenen Körbe am Arm haben, in denen Handwerksmaterial drin war. Denn diese Reconstruction Aids waren häufig Krankenschwestern und Handwerkslehrerinnen, und die haben für die Kriegsveteranen Handwerksprogramme entwickelt, um sie zu rehabilitieren.

00:09:19 Sara Mohr: Was diese Reconstruction Aids gemacht haben, war eine Vorstufe von Wiedereingliederung ins Berufsleben, würden wir es vielleicht heute nennen. Das erste Grundlagenwerk der Ergotherapie hieß dann auch “Reconstruction Therapy”. Da ging es noch gar nicht um “occupational therapy”, sondern “reconstruction therapy”. Wir hatten in Folge 22 auch schon mal kurz darüber gesprochen. Das war von William Rush Dunton, einer der Gründerväter in den USA. Der hat 1919 geschrieben, was angehende Reconstruction Aids lernen sollten. Da war unter anderem aufgelistet: Sie sollten in der Lage sein, Bridge, Schach, Domino und drei verschiedene Formen von Solitär zu spielen. Sie sollten Wollarbeiten machen können, spezifisch Flechten und eine Wollpuppe oder einen Staubwedel aus Wolle herstellen. Sie sollten im Thema Papier und Pappe einen Umschlag falten oder eine Box aus Papier herstellen.

00:10:33 Sara Mohr: Wir alle, die wir vor einiger Zeit unsere Ausbildung gemacht haben, denken jetzt zurück an Papier und Pappe und das Falten mit dem Falzbein von einer Box aus Papier. Dieses Buch ist von 1919 – ich will das noch mal betonen. Ich habe meine Ausbildung 2007 gemacht und ich habe auch eine Box aus Papier, mehrere Boxen aus Papier gefaltet.

00:11:33 Sarah Bühler: Ich habe im Examen einen Stifthalter gemacht.

00:11:37 Sara Mohr: Aus Papier und Pappe, ja.

00:11:43 Sara Mohr: Buchbinden war ein Thema, was ich persönlich ein ziemlich cooles Handwerk finde. Krepppapier – was genau damit gemacht wurde, habe ich nicht gefunden, einfach Krepppapier. Peddigrohr – es sollte mindestens ein Korb hergestellt werden. Auch das war 2007 nicht anders. Ich glaube, wir hatten ein halbes Jahr lang Peddigrohr, ich habe nur Körbe geflochten. Dann war großes Thema Sticken und Nadelarbeiten. Lederarbeiten – da hatte ich in einigen Quellen gelesen, dass das vor allem dazu da war, damit sich die Soldaten Schuhe selber machen oder Stiefel reparieren konnten aus Leder.

00:12:21 Sarah Bühler: Die Stiefel.

00:12:27 Sara Mohr: Holz als Werkstoff – ausdrücklich wurden Vogelhäuser empfohlen.

00:12:33 Sarah Bühler: Ich habe eins gebaut in der Ausbildung.

00:12:35 Sara Mohr: Ich habe, ich weiß nicht, aus Holz habe ich – oh Gott, die habe ich noch irgendwo – ich habe aus einem riesigen Stück Holz eine Schildkröte geschnitzt. Ich finde die ganz gut, die ist nicht schön, aber ich war sehr stolz darauf. Ich habe die noch irgendwo, ich muss mal gucken, irgendwo im Keller. Du hast auch ein Vogelhaus gebaut. Was ist aus dem Vogelhaus geworden?

00:13:00 Sarah Bühler: Nee, gar nichts. War kein Vogelhaus, sondern es war eine Laterne.

00:13:04 Sara Mohr: Ah, da so eine Kerze rein, dekorativ.

00:13:10 Sarah Bühler: Existiert nicht mehr. Aber ich habe auch ein Schraubenbrett aus Holz gemacht, das gibt es noch.

00:13:16 Sara Mohr: Ah ja, diese Klassiker. Als letztes Werkmaterial wird von William Rush Dunton in seinem Standardwerk von 1919 genannt: Metall. Das sind also die Sachen, wo er sagt, das muss eine Reconstruction Aid können – wohlgemerkt, um das den Kriegsveteranen beizubringen als eine Art von Wiedereingliederung ins Berufsleben.

00:13:54 Sara Mohr: Eine andere Strömung, die die Ergotherapie in den frühen Jahren beeinflusst hat, war das Arts and Crafts Movement. Jetzt sind wir im späten 19. Jahrhundert, damals war Industrialisierung, vor allem in Großbritannien.

00:14:10 Sara Mohr: Dieses Arts and Crafts Movement hat sich gegen diese Industrialisierung, gegen industriell hergestellte Massenprodukte und monotone Fließbandarbeit gewendet. Die haben gesagt: Wenn Menschen Einzelstücke mit der Hand herstellen, dann ist das eine schöne Sache, sie identifizieren sich mehr mit dem Objekt. Das gibt Zufriedenheit, wenn man etwas selbst mit der Hand erschaffen hat, und dieses Gefühl soll nicht verloren gehen in der Industrialisierung, wo jeder nur am Fließband steht und Schrauben irgendwo hinsortiert.

00:15:11 Sarah Bühler: Kann ich prinzipiell schon nachvollziehen. Ist manchmal auch so, wenn man den ganzen Tag mit Leuten spricht und wenn man dann abends noch was macht und ein Erfolg sieht – ja, alles, was du geschafft hast.

00:15:26 Sara Mohr: Kann man erst mal so mitgehen. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich aus diesem Grundgedanken aber mehr. Der therapeutische Wert war nicht mehr nur im fertigen Produkt, sondern auch im Prozess. Bestimmte Herstellungsprozesse ermöglichen, dass ich bestimmte Körperfunktionen trainiere. Natürlich, wenn ich einen Korb flechte, brauche ich dafür feinmotorische Koordination. Das ist so eine medizinische Perspektive, die da jetzt auf einmal auch reinkommt. Aber auch immer noch die Aussage: Wenn ich einen Korb flechte, steigert das meinen Selbstwert. Das ist das, was noch aus dem Arts and Crafts Movement übrig geblieben ist.

00:16:31 Sarah Bühler: War für die, die das gegründet haben, bedeutungsvolle Betätigung dabei?

00:16:38 Sara Mohr: Ja, schon.

00:16:41 Sarah Bühler: Für die war es ja.

00:16:49 Sara Mohr: Für die war es bedeutungsvoll. Es fängt jetzt an, abstrahiert zu werden: Korbflechten generell steigert den Selbstwert.

00:17:01 Sara Mohr: Aber für diese Leute war das eine Betätigung, die sie schon in dem Kontext bedeutungsvoll fanden.

00:17:10 Sarah Bühler: Genau, die das auch erfüllt hat.

00:17:16 Sara Mohr: Es wurde damals heiß diskutiert, ob in der Ergotherapie der Fokus mehr auf dem Produkt, also dem fertigen Korb liegt, oder auf dem Prozess, also dem Flechten des Korbes. Das wurde heiß diskutiert, man wurde sich nie so richtig einig. Aber worüber man sich einig wurde, war, dass so ein Handwerk spezifisch ausgewählt werden muss. Es kann nicht irgendwer irgendein Handwerk machen, sondern es muss Expertinnen und Experten geben, die das gezielt auswählen, damit das auch wirken kann.

00:17:40 Sarah Bühler: Ich darf es auch nicht selbst auswählen.

00:17:29 Sara Mohr: Nee, genau, nee, nee, nee, du hast ja gar nicht die Expertise. Es muss Expertinnen und Experten geben, die das gezielt auswählen, damit das auch wirken kann.

00:17:40 Sarah Bühler: Gibt es da eine wissenschaftliche Grundlage?

00:17:40 Sara Mohr: Da sind wir jetzt bei einer philosophischen Grundlage.

00:17:46 Sarah Bühler: Kann man jetzt nicht so schnell ihre Fragen.

00:17:51 Sara Mohr: Es reicht also nicht, irgendwas zu tun und dir geht es gut, sondern es muss eine Expertenperson kommen und genau auswählen. Du tust jetzt am besten, du fliegst am besten den Korb und du machst lieber Nadelarbeiten.

00:18:02 Sarah Bühler: Jemand Externes. Ich kann mich nicht intrinsisch für mich entscheiden, was mir gut tut.

00:18:03 Sara Mohr: Genau, nein. Du hast ja keine Ahnung.

00:18:07 Sarah Bühler: Ja OK, alles klar.

00:18:12 Sara Mohr: Und da gehen wir jetzt weg von diesem ursprünglichen Gedanken, dass nämlich tätig sein an sich Menschen gut tut und zu deren Wohlbefinden beiträgt, sondern eben hinzu diesem. Es muss speziell ausgewählte und teilweise auch angeleitete Betätigung sein.

Und um das auszuwählen, wurden und um das auswählen zu können, um diese Expertise zu haben, wurden eben die ersten Ergolehrgänge Ausbildungen nach und nach ergänzt. Also die mussten jetzt nicht mehr nur Handwerk lernen, sondern halt auch dieses medizinische Grundwissen in Anatomie und Physiologie, Neurologie, Orthopädie war ja ganz früh schon mit dabei, damit sie anhand der Körperfunktionen dann das passende Handwerk auswählen können.

Das war so die Vorstellung von Ergotherapie, wie sie so ab den 30er Jahren vor allem in Großbritannien vorherrschte.

Die Ergotherapeutin, die dann im Zweiten Weltkrieg den Kriegsveteran behandelt haben. Die legten sehr viel Wert da drauf. So ne Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen und da war es ja durchaus auch wichtig, körperliche Fähigkeiten wiederherzustellen.

00:19:23 Sarah Bühler: Absolut.

00:19:25 Sara Mohr: Auf Ergonomie zu achten, den Umgang mit Prothesen und Orthesen zu lernen. Also da sind wir sehr viel in der orthopädischen Rehabilitation einfach unterwegs.

Und Ziel war Reha. Ziel war die Rückkehr ins Erwerbsleben in irgendeiner Form. Und das ist natürlich in der damaligen Lebensrealität auch absolut sinnvoll und begründet.

Ich hab n bisschen rumgeschmökert im kanadischen Ergo Journal, in den alten Ausgaben und habe gesehen, dass es von 1939 bis 1943 eine eigene Rubrik gab. Die hieß die Department of Crafts, also Handwerksabteilung und da konnten Ergos ihre Anleitungen für Werkstücke einsenden und veröffentlichen, die sie als hilfreich in der Therapie betrachtet, wo sie dachten, ach, das sollten die anderen auch mal lesen, vielleicht wollen die auch so was mal machen.

Und ich kann euch nur Google das, ich mach euch nen Link in die Show Notes. Es ist super, also das fängt an von Basteln eines Weihnachtskranzes aus gesammelten Zapfen, Weihnachtsschleifen aus in der Küche übrig gebliebener Alufolie bis zu der Herstellung von einem dekorativen Wandbild aus Pappmaschee ist da wirklich alles dabei.

Und es wird 1943 nach 4 Jahren auf und da heißt es im letzten Beitrag in dieser Rubrik: in letzter Zeit halt ein anderes Medium in die Therapie Einzug gehalten, dass wir hier vorstellen möchten.

Und dieses andere Medium ist das therapeutische Spielen. Und ab da werden nicht mehr Handwerksanleitungen geteilt, sondern die Leute schicken Ideen für Spiele, mit denen sie physische, also ja, physiologische Fähigkeiten fördern.

Wir lernen zum Beispiel das Dartspielen hilft, um den Musculus deltoideus zu stärken. Tischtennis ist besonders gut bei Hirnverletzungen, weil das die Muskelkoordination fördert.

00:21:32 Sarah Bühler: Zum Dart spielen, das kam letztens in der Fortbildung vor. Echt jetzt? War tatsächlich.

00:21:39 Sara Mohr: Zum Trainieren des Musculus deltoideus, ja.

00:21:42 Sarah Bühler: Ich kann dir jetzt gerade nicht mehr genau sagen wofür noch, aber ich meine, es ging auch um Kinder und Unterarmmuskulatur.

00:21:51 Sara Mohr: Aber nicht so, dass sie gesagt haben, die Leute müssen jetzt dart spielen, um diese Muskeln zu trainieren.

00:21:56 Sarah Bühler: Also es wurde empfohlen, dass für die Praxis anzuschaffen.

00:22:04 Sara Mohr: Spannend. Ja, also ich mein Gamification. Wenn Leute durch so ein Spielsetting motivierter sind und ansonsten das gar nicht machen. Hab ich jetzt auch kein Gegenargument, aber ich weiß nicht.

00:22:23 Sarah Bühler: Ja, bin da auch noch unentschlossen.

00:22:25 Sara Mohr: Ja, lassen wir mal so stehen. Nehmen wir mal mit.

In diesem Zeitraum, wir sind so in den 40er Jahren, entstehen auch diese Indikation und Kontraindikation für Handwerkstechniken, die wir heute sehr abstrakt finden, die ich aber zum Beispiel in meinem Examen noch angeben musste, also zum Beispiel, ich habe einen Artikel gefunden von 1946 aus dem amerikanischen Journal of Occupation, Therapy Intreabilitation, da wird ausführlich beschrieben, welche Tontechniken für welche Personen mit psychischen Erkrankungen einzusetzen sind.

Pass auf, willst du welche mitschreiben? Menschen, die wählen, hatte ich im Examen. Aber so detailliert, ich weiß nicht, ob wir es so detailliert haben.

00:23:10 Sarah Bühler: Kann ich das mir noch nicht erzählt, aber relativ detailliert.

00:23:14 Sara Mohr: Pass auf. Wenn du jetzt ein Klient hast, der wenig Eigenmotivation zeigt, dann sollte der die Wulst Technik anwenden. Menschen mit Depressionen sollten Tonfliesen bemalen und bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ist Ton prinzipiell kontraindiziert.

00:23:32 Sarah Bühler: Das hab ich gelernt.

00:23:39 Sara Mohr: Auch das lassen wir mal so stehen.

So, weil das ist ja, also wir gucken uns das jetzt so mit unseren Augen, mit unserem Kontext von heute an, und klar, wir müssen da drüber schmunzeln, wir finden das irgendwie bisschen komisch, aber vielleicht, vielleicht probieren wir mal uns da kurz rein zu denken, weil was ich finde, was man da ganz gut sieht an diesem Übergang von der wie Ergotherapie für Kriegsveteran gestaltet sein musste.

Und der jetzt beginnenden oder diesem jetzt beginnen mehr so strengen biomedizinischen Fokus also am Anfang noch so OK, du stellst etwas her, was du wirklich gebrauchen kannst, oder etwas, worüber du wieder in an Arbeitsplatz einsteigen kannst zu du machst ein Handwerk, ein Spiel, was auch immer, um Körperfunktionen zu trainieren, das ist so dieser Übergang in dieses medizinische Modell hinein.

Und im Rahmen dieser Entwicklung und diesen mehr biomedizinischen Fokus entstehen im Laufe der nächsten Jahrzehnte Konzepte wie zum Beispiel die SI nach Ayres, die wir ja heute noch haben und die aus einem sehr, ja, sehr genauen, auch sehr evidenzbasierten, aber sehr medizinischen Blick auch einfach kommt.

Bobath wird genau in diesem Kontext halt in der Physiotherapie groß. Später mit diesem biomedizinischen Fokus. Und Bobath ließ sich damals leicht in die Ergotherapie integrieren, weil der Fokus derselbe war, weil es um Körperfunktionen ging.

Das ist dieser Wechsel vom Paradigma der Betätigung, das ursprüngliche Paradigma hinzu Mechanistischen Paradigma. Es geht uns nicht mehr um die Betätigung, es geht uns um die Körperfunktionen, die wir damit trainieren können.

Und dann? Dann muss ich solche Regeln aufstellen, wie wenn du ne schwere psychische Erkrankung hast, dann ist Ton kontraindiziert, dann musst du eher Seidenmalerei machen oder so, weil ich es alles auf die Körperfunktion beziehe.

Ich hab noch eine interessante Studie gefunden von 1981 aus den USA. Das ist ne Umfragestudie, die haben 141 Ergotherapeutinnen, also wir sind jetzt in die 80er gesprungen, befragt, ob und wie sie Handwerk in der Therapie nutzen.

00:25:58 Sarah Bühler: Und wo kommt die Studie her?

00:26:00 Sara Mohr: USA, 1981 und damals gaben 72% der Befragten an, dass sie Handwerk als Therapiemedium einsetzen, allerdings nur für sehr kurze Therapiezeiten, nicht als Haupttherapie Thema.

Und diejenigen, die angegeben haben, dass sie gar kein Handwerk in ihrer Therapie einsetzen, die haben gesagt, Na ja, ich nutz lieber Therapiemaßnahmen, die sich leichter dokumentieren lassen, und ich kann gegenüber meinen Klientinnen nur schwer begründen, warum ich Handwerk einsetze.

Also das war in den Achtzigern fing das an, dass das so ein Thema wurde, warum muss ich denn jetzt hier einen Korb flechten, wenn ich doch, aber weiß ich nicht, Probleme mit meiner Feinmotorik beim Schreiben habe?

Außerdem waren jetzt Aussagen von den Teilnehmenden dieser Studie haben gesagt. Na, das Nutzen von Handwerk trägt zu so einem Bastelimage der Ergotherapie bei. Und das möchten wir nicht haben.

Das also das Thema, was in den 80er Jahren aufkam. Der Artikel stellt am Ende so n bisschen die Frage. Wenn es so aussieht, dass die Entwicklung so geht, dass Handwerk und kreative Techniken nicht mehr die Grundlagen der Ergotherapie sind, weil wir uns da anfangen von abzuwenden, was ist denn dann die Grundlage der Ergotherapie?

Wir haben jetzt die letzten 100 Jahre das alles auf Handwerk aufgebaut. Wenn es das nicht mehr ist, brauchen wir einen neuen Kern für die Profession. Auch die Frage darf ich mal so stehen.

In den 80er Jahren waren viele von diesen Umfragestudien vor allem in den USA, wo immer geguckt wird, unterrichtet ihr eigentlich noch Handwerk, arbeitet ihr eigentlich noch mit Handwerk in der Praxis und man sieht da eine immer größere Diskrepanz, das Handwerk zwar noch Unterricht, aber in der Praxis weniger und weniger angewendet.

Total. Und diese diese Studien, die ich hier zitiere, die findet ihr alle nachher in den Shownotes, aber total spannend, diese Entwicklung zu beobachten.

Und wir wissen, Sarah, du und ich, wir wissen, in den Achtzigern passieren noch so n paar wichtige Dinge in der Entwicklung der Ergotherapie. Modelle werden erfunden genau die ersten ergotherapeutischen Modelle, zum Beispiel das Moho entstehen. Und die beantworten die Frage, die wir uns eben gestellt haben, wenn nicht Handwerk, was ist dann der Fokus der Ergotherapie Betätigung?

Bedeutungsvolle Betätigung. Und ja, das können auch handwerkliche Betätigungen sein.

00:33:17 Sara Mohr: Und wir haben diese Wurzel auch nie ganz aus dem Blick verloren. Denn der Grundgedanke, der Mensch ist ein tätiges Wesen und sich zu betätigen, in welcher Form auch immer, tut uns gut. Der ist immer noch da, der hat sich nicht verändert.

00:33:34 Sara Mohr: Gucken wir zum zweiten Teil oder zum zweiten Gedanken: Handwerk fördert doch das Wohlbefinden. Wir hatten ja eben schon diesen Gedankengang, bestimmte Handwerkstechniken lösen bestimmte Dinge im Körper aus, und das ist universell übertragbar. Das fanden wir ja schon grundsätzlich mal merkwürdig. Ich würde ihn aber gerne mal auseinandertröseln, weil das Argument beginnt ja häufig damit: Bestimmte sensorische Reize lösen bestimmte Gefühle aus, also bestimmte Farben wirken beruhigend, bestimmte Gerüche wirken anregend, bestimmte taktile Qualitäten wirken stabilisierend. Und daraus wird dann abgeleitet: Arbeiten mit Speckstein – Speckstein ist kühl, glatt, ich brauch viel Kraft, das wirkt aktivierend. Oder arbeiten mit Ton – der ist weich und formbar, das wirkt beruhigend. So in die Richtung. Und weißt du, ich bin da so zu 50% irgendwie dabei.

00:34:35 Sarah Bühler: Bist du?

00:34:36 Sara Mohr: Ja, okay.

00:34:37 Sarah Bühler: Weil ich, also ich hänge sehr an diesem Ergebnisgedanken, dass ich immer schön finde, wenn ein Ergebnis rauskommt. Ich glaube auch, wie du bestimmte Reize wahrnimmst, ist sehr erfahrungsabhängig. Vielleicht wirkt Rot für den einen mehr aktivierend als für den anderen, basierend auf Erfahrungen, die man gemacht hat. Oder ob ich Ton beruhigend finde, hängt vielleicht auch damit zusammen, ob ich das damit verbinde, dass ich früher viel gemacht habe und das für mich schöne Erlebnisse waren oder nicht.

00:35:00 Sara Mohr: Ja.

00:35:12 Sarah Bühler: Also ich gehe schon bei dem Gedanken mit, dass bestimmte Reize bestimmte Dinge auslösen. Aber ich glaube, dass das sehr erfahrungsabhängig ist.

00:35:22 Sara Mohr: Ja, das stimmt. Also diese Grundaussage, es gibt bestimmte Betätigungen, die wirken aktivierend oder beruhigend oder helfen mir, meine Gedanken zu strukturieren oder was auch immer, ja – aber welche genau das sind, ist total individuell. Ich glaube, das können wir echt so sagen. Die eine Person entspannt sich in der Badewanne, die nächste liegt lieber eingekuschelt auf der Couch, die eine hört zur Entspannung Musik, die nächste braucht Rage Against the Machine. Das zu verallgemeinern, ist schwierig. Es gibt Leute, die finden Ton ganz eklig zum Anfassen.

00:36:00 Sara Mohr: Und du hast recht, das Ganze wird auch logisch, wenn wir uns mal eine Sekunde mit Begrifflichkeiten wie der Betätigungsbiografie auseinandersetzen. Oder drei schöne Zitate aus neueren Studien: Drei verschiedene, die sich sehr intensiv damit beschäftigt haben, wie Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen bestimmte Betätigungen wahrnehmen. Zum Beispiel hat eine Studie mit Frauen gearbeitet, die Sticken und in Stickgruppen sind. Warum sind die in diesen Gruppen, warum tut ihnen das gut, was finden sie schön? Da ist eine Aussage zum Beispiel: „Sticken hat mich vor einer echten Depression bewahrt, als meine Tochter im Sterben lag und ich sie gepflegt habe. Da musste ich etwas tun, als ich so lange bei ihr saß. Sticken gab mir die Möglichkeit, dem allen für einen Moment zu entkommen.“ Würde niemand dieser Frau absprechen, dass Sticken für sie eine bedeutungsvolle und sehr wohltuende Betätigung ist.

00:37:14 Sara Mohr: Zitat aus einer anderen Studie: „Ich liebe Weben, einfach weil ich glaube, das ist gut für meine Hände. Es hält meine Finger mit Arthritis in Bewegung.“ Die nimmt ein bisschen das Biomedizinische mit rein, aber es ist die eigene Überzeugung: Diese Bewegung beim Weben tut mir gut, tut meinen Händen gut.

00:37:35 Sara Mohr: Letztes Zitat, letzte Studie: „Ich leide an enormer Fatigue, aber ich habe auch Schmerzen. Deshalb ist das Töpfern für mich ein Weg, mich abzulenken und nicht mehr an den Schmerz zu denken.“ Vollkommen valide Aussagen, die man niemandem absprechen würde. Aber nur weil für die eine Person Töpfern so wirkt, ist es schwierig, das zu verallgemeinern. Und diese Studien, die ich gerade zitiert habe, werden oft so angeführt: „Da sieht man, das Handwerk wirkt.“

00:38:02 Sarah Bühler: Genau, das scheint die Frage, ob die bedeutungsvolle Betätigung wirkt.

00:38:05 Sara Mohr: Genau.

00:38:07 Sarah Bühler: Oder Handwerk und die bedeutungsvolle Betätigung ist ein Handwerk.

00:38:08 Sara Mohr: Ja, genau so würde ich das auch sagen. Ich bin mir sehr sicher, dass da die bedeutungsvolle Betätigung wirkt. Es ist absolut valide, dass Menschen zum Beispiel über Handwerkstechniken für sich individuell einen Umgang finden mit Erkrankungen, mit Schicksalsschlägen, mit was auch immer.

00:38:28 Sarah Bühler: Ja, und ich glaube auch, wenn du irgendwas tust und es dann kannst und merkst, du wirst besser, das macht ja auch was mit einem, egal ob das jetzt ist, ob man sich einen Skill am PC aneignet oder ob man töpfert.

00:38:41 Sara Mohr: Ja, genau. Und ich möchte, egal was das ist – wenn wir die ganze Zeit so eine Ode aufs Handwerk singen würden, würden wir so viele andere Betätigungen vergessen, die vielen Menschen genauso guttun. Wie ist es denn mit Entspannung beim Kochen oder Wohlbefinden beim Spazierengehen mit dem Hund oder ein heißes Bad nehmen oder mit einer Freundin telefonieren? Das sind Betätigungen, die für viele Menschen genauso effektiv sind, Lebensqualität zu steigern oder entspannend zu wirken oder abzulenken oder was auch immer. Die gelten irgendwie nicht in diesem Gedankengang, es muss Handwerk sein, aus irgendwelchen Gründen.

00:39:19 Sara Mohr: Man muss ein bisschen differenzieren zwischen dem wohltuenden Effekt, den das Ausüben von irgendeinem Handwerk natürlich im Alltag haben kann für Individuen, und der Hypothese, dass ich generell durch das Durchführen von bestimmten Handwerkstechniken irgendwelche Skills trainiere oder allgemeingültige Reaktionen auslöse bei Menschen. Das sind meine Gedanken zum Thema: Handwerkliche und kreativ-gestalterische Betätigung fördern das Wohlbefinden. Ja, tun sie – aber sie sind längst nicht die einzigen Dinge, die Menschen tun und die das Wohlbefinden fördern können.

00:39:19 Sara Mohr: Man muss ein bisschen differenzieren zwischen dem wohltuenden Effekt, den das Ausüben von irgendeinem Handwerk natürlich im Alltag haben kann für Individuen, und der Hypothese, dass ich generell durch das Durchführen von bestimmten Handwerkstechniken irgendwelche Skills trainiere oder allgemeingültige Reaktionen auslöse bei Menschen. Das sind meine Gedanken zum Thema: Handwerkliche und kreativ-gestalterische Betätigung fördern das Wohlbefinden. Ja, tun sie – aber sie sind längst nicht die einzigen Dinge, die Menschen tun und die das Wohlbefinden fördern können.

00:39:54 Sara Mohr: Und jetzt kommen wir zum letzten Punkt, und ich glaube, das können wir ganz schnell abhaken. Pass auf: Handwerkliche Betätigung durchzuführen, ermöglicht die Förderung und Verbesserung von Körperfunktionen und damit die Steigerung der Betätigungsperformanz im Alltag. Also: Ich flechte den Korb, dabei fördere ich meine Feinmotorik, und dann kann ich nachher besser schreiben. Müssen wir darüber immer noch diskutieren?

00:40:18 Sara Mohr: Du sagst nichts, deshalb diskutier ich drüber.

00:40:42 Sarah Bühler: Genau, also ich kann dazu nicht viel sagen.

00:40:44 Sara Mohr: Nee. Ich habe in dem sehr interessanten Buch – verlinke ich euch auch in die Shownotes – „Motorisches Lernen in der Neuroreha“ von Martin Huber, Christina Jansen, Florian Ertzer Lüscher und Gelcox Steck ein Kapitel gefunden, das sich mit dem Thema Transfer beschäftigt. Nämlich: Wann gelingt es Menschen, eine Fähigkeit von einer Aufgabe oder Betätigung auf eine andere Aufgabe und Betätigung zu übertragen? Wir haben über das Thema Transfer auch schon mal in einer eigenen Podcast-Folge gesprochen, wer sich da tiefer reinhören möchte, sei dazu eingeladen, müsst ihr ein bisschen nach unten scrollen in den Folgen.

00:41:15 Sara Mohr: Es gibt die sogenannte Skaggs-Robinson-Hypothese, die eben sagt: Je ähnlicher eine Aufgabe oder in dem Fall können wir auch Betätigung sagen, in ihren Anforderungen der Zielbetätigung ist, desto eher gelingt ein Transfer. Und je ähnlicher sich die Kontexte sind, desto besser gelingt ein Transfer. Also: Die Betätigung sollte sich so ähnlich wie möglich sein, die ich in der Therapie übe und die, die ich nachher können möchte, und es sollte möglichst in einem ähnlichen bis demselben Kontext durchgeführt werden, dann gelingt der Transfer.

00:41:53 Sara Mohr: Und jetzt können wir uns mal überlegen, wie ähnlich sich Betätigung und Kontext von Korbflechten und Schreiben sind. Nicht. Beides mache ich mit den Händen, und dann hört es auch schon auf. Nicht mal die Bewegungen sind ähnlich beim Flechten und beim Schreiben.

00:42:10 Sara Mohr: Dazu kommt, dass diese Annahme, wenn ich Handwerk mache, dann fördere ich oder verbessere ich die Körperfunktionen und dann wird automatisch die Teilhabe besser – das ist dieser klassische Bottom-up-Ansatz, der davon ausgeht: Wenn mein Körper nicht richtig funktioniert, kann ich nicht partizipieren. Das gilt vielleicht in Einzelfällen für sehr schwer betroffene Klientel, aber das ist ja kein Automatismus, der da irgendwie abläuft.

00:42:52 Sarah Bühler: Im Kopf aber schon bei vielen.

00:42:56 Sara Mohr: Ja, also ich hab mir als Beispiel überlegt: Jetzt nehmen wir jemanden, der zum Beispiel sehr stark muskulär eingeschränkt ist, ganz, ganz wenig Muskelkraft hat durch Erkrankung X – ist jetzt mal egal – und die Person baut durch das Arbeiten mit Ton Handkraft auf, was ja durchaus passieren kann, wenn sie viel mit Ton arbeitet. Dann wird die Person natürlich auch bei anderen Betätigungen merken, dass sie zum Beispiel die schwere Kaffeetasse wieder ein bisschen besser halten kann. Aber um dieses Ziel „Kaffeetasse halten“ zu erreichen, hätte sie auch Gewichte stemmen, Putzlappen auswringen oder tatsächlich einfach regelmäßig Kaffee trinken können, um die Kaffeetasse halten zu können. Ich brauch den Ton nicht als Zwischenschritt. Ist auch dann einfach an dem Punkt nicht klientenzentriert.

00:43:51 Sara Mohr: Ich frag mich da auch immer – und jetzt werd ich so ein bisschen zynisch – ich frag mich, wie genau sieht ein Behandlungsprozess aus, der es schafft, immer wieder auf das Handwerk zu fokussieren? Also jetzt mal meine Standard-Neuroklientel: Die kommen und sagen, na ja, ich will, dass der Arm wieder funktioniert, oder Standard-Pädiatrie-Klientel: Der soll sich besser konzentrieren können. Wie läuft denn dann das Gespräch weiter? Sagt dann die Therapeutin: „Ach super, da flechten wir jetzt einen Korb und dann werden Sie sehen, danach geht der Arm wieder.“ Warum biege ich denn an der Stelle nicht Richtung Betätigung ab und frage: Wobei soll der Arm denn wieder funktionieren? Wobei willst du dich denn besser konzentrieren können? Also das ist ja einfach eine Abzweigung, oder?

00:44:35 Sarah Bühler: Ja, meine Erfahrung dazu ist, weil unser Team wächst ja auch und wir haben auch Therapeuten, die eher vielleicht Bottom-up gelernt haben, und die – das ist mein Eindruck – haben das Gefühl, das ist eine Art der Kompetenz. Also weil ich ja Therapeut bin und Kompetenz hab und so viel auch über Muskeln und Dinge weiß.

00:45:00 Sara Mohr: Wissen wir ja auch, natürlich.

00:45:03 Sarah Bühler: Kann ich nicht einfach sagen, ja, dann üben Sie doch genau das im Alltag.

00:45:07 Sara Mohr: Weil das ist – und ich kenne dieses Gefühl, ich hab ja auch nur Bottom-up gelernt – ich kenne das, man wirkt viel schlauer als Therapeutin, wenn man irgendwas Mysteriöses auswählt, auf das die Leute selber gar nicht gekommen wären. Und zu sagen: „Okay, Sie wollen Kaffee trinken, dann üben wir Kaffeetrinken.“ Dann sind die so ein bisschen: Ach so, da drauf wäre ich auch alleine gekommen, danke. Aber hinter der tatsächlichen Intervention – ich setz mich ja nicht einfach nur hin mit den Leuten und trinke Kaffee. Ich mache ja eine therapeutische Intervention, damit Kaffeetrinken wieder möglich wird. Da steckt ja meine Expertise drin. Ich kenne dieses Gefühl, ja natürlich. Man hat Angst, dass man an Professionalität oder Kredibilität verliert und die Leute denken, das ist ja aber banal.

00:45:50 Sarah Bühler: Ja, ja, und für die ist es auch ganz schwierig, in einen Bericht reinzuschreiben: Ziel ist, wieder die Kaffeetasse selbst halten zu können beim Kaffeetrinken.

00:46:05 Sara Mohr: Ja. Hat dich schon mal ein Klient oder eine Klientin, nachdem du gesagt hast, gut, das ist Ihr Ziel, dann üben wir genau das, danach angezweifelt oder hinterfragt oder irgendwie sowas gesagt, so: Na, da wäre ich auch alleine drauf gekommen? Ist das schon mal passiert?

00:46:25 Sarah Bühler: Ja, bei Klienten, die von jemandem geschickt werden.

00:46:28 Sara Mohr: Aha, okay.

00:46:29 Sarah Bühler: Die nicht eigenmotiviert kommen, wo man auch nicht genau weiß… Aber dann nicht. Also dann ist es häufig ja auch kein Ziel, das aus Eigenmotivation kommt.

00:46:40 Sara Mohr: Ja, aber ich bin tatsächlich – ich glaube, diese Angst ist wirklich unbegründet. Und ich weiß, es hilft einem immer wenig, gesagt zu bekommen: Deine Angst ist unbegründet. Aber mir ist es auch noch nie passiert, dass jemand – ich habe oft gedacht, oh Gott, wenn ich das jetzt sage, hält er mich für total banane.

00:46:54 Sarah Bühler: Ja, oder häufig ist es halt das System, das es schwierig macht. Dann macht man eine Betätigungsanalyse und stellt fest, vielleicht ist die Tasse für den Anfang auch zu schwer, oder es gibt die Regel, die darf nicht kaputtgehen oder was auch immer, es muss mit dieser Tasse geübt werden, oder? Genau. Also häufig ist es so, dass dann heißt: Aber meine Frau oder wer auch immer will nicht, dass wir noch eine andere Tasse im Schrank haben. Also das sind manchmal auch ganz enge Rahmen, einfach gegeben, die es dann schwierig machen.

00:47:22 Sara Mohr: Und da kommt ja dann unsere Kreativität rein. Wenn das so vom Rahmen her ein bisschen schwierig wird, dann ist da doch meine Ergo-Expertise gefragt, zu gucken: Okay, wie kann ich das jetzt gestalten, dass wir das trotzdem hinkriegen mit dieser Betätigung? Das finde ich, ist dann das Kreative, wenn ich kreativ war. Und da ist dann das Kreative gefragt.

00:47:41 Sarah Bühler: Natürlich nicht. Also ja, und ich finde, einen Unterschied macht auch immer: Kennen die Klienten schon Ergotherapie von woanders her und wie wird da gemacht? Weil dann kommen die eben…

00:47:47 Sara Mohr: Ja.

00:47:52 Sarah Bühler: …aus Kliniken, häufig mit der Erwartung: Ja, wir machen hier eher Feinmotorikübungen.

00:47:55 Sara Mohr: Genau, genau. Und da ist mir dann immer wichtig, respektvoll zu kommen. Ich will nicht schlecht über Kolleginnen und Kollegen reden.

00:48:01 Sarah Bühler: Absolut, nein. Darum geht’s ja nicht.

00:48:03 Sara Mohr: Die machen ihre Arbeit genauso mit genauso viel Elan und Willen, das gut zu machen und alles.

00:48:07 Sarah Bühler: Und auch in dem Rahmen, in dem sie machen können.

00:48:09 Sara Mohr: Genau. Und der Rahmen ist manchmal ein … Rahmen. Und dann sage ich immer: Ich erklär Ihnen mal kurz, wie ich Ergotherapie verstehe oder wie Ergotherapie bei mir in der Einrichtung oder in der Praxis funktioniert. Und das ist vielleicht ein bisschen eine andere Ergotherapie, als Sie kennen, aber das macht ja nichts. Und was tatsächlich die Magic ist, die dann passiert, ist, wenn man das erste kleine Betätigungsziel erreicht hat mit den Leuten, dann kommen die von sich aus mit ihrem Betätigungsanliegen – und das ist doch mit einer der schönsten Therapiemomente.

00:48:43 Sarah Bühler: Ja, ja, und häufig ist es ja auch so, wenn die einmal gemerkt haben: Okay, ich kann vielleicht auch kompensieren, dass die selber dann die anderen Sachen alleine kompensieren, weil sie einfach die Erlaubnis oder das Gefühl gebraucht haben: Ich darf, ich muss das nicht mehr so machen, wie es vor dem Unfall oder der Erkrankung war. Das ist in Ordnung, ich darf das verändern.

00:48:52 Sara Mohr: Und manchmal sind dann gar keine Ziele mehr übrig. Genau, es darf sich verändern. Ja, absolut.

00:49:00 Sara Mohr: Sarah, als letzten Punkt möchte ich noch kurz sagen: Ich finde, es gibt eine Ausnahme, bei der ich den Einsatz von kreativen oder auch handwerklichen Techniken in der Ergotherapie absolut angemessen halte. Und zwar dann, wenn das Betätigungsanliegen ein handwerkliches oder kreatives ist.

00:49:28 Sarah Bühler: Absolut.

00:49:29 Sara Mohr: Also wenn der Klient zu mir kommt und sagt: Ich habe immer in meiner Freizeit Aquarell gemalt und das geht jetzt nicht mehr und das macht mich fertig, weil ich das für meine Entspannung brauche – klar, dann malen wir Aquarell, aber sowas von! Und gucken, wie das angepasst werden kann und gemacht werden kann. Auf jeden Fall. Wenn der Klient sagt: Ich habe mit meinem Enkel Vogelhäuschen gebaut und jetzt geht das nicht mehr – natürlich bauen wir Vogelhäuschen in der Therapie.

00:49:44 Sarah Bühler: Genau. Aber ich finde, es ist dann wichtig, das auch wieder nach Hause zu bringen. Also es muss ja auch im Alltag klappen, da muss ja dann auch ein Rahmen für den Alltag geschaffen werden. Ich kann aber gerne alle vier Wochen auch anrufen und mal fragen: Wie läuft es denn mit dem Malen beim Entspannen? Machen Sie das noch? Müssen Sie noch mal kommen, dass wir das hier machen oder besprechen: Was brauchen Sie, um das im Alltag umzusetzen? Was fehlt Ihnen da?

00:50:12 Sara Mohr: Damit dieser Transfer gelingt, genau.

00:50:20 Sarah Bühler: Damit der Transfer gelingt, ja.

00:50:22 Sara Mohr: Ziel kann nicht sein, dass jetzt alle Vogelhäuschen für den Enkel in der Therapie gebaut werden. Das ist ja quasi – das Vogelhäuschen bauen einmal ist ja meine Betätigungsanalyse.

00:50:30 Sarah Bühler: Ja.

00:50:30 Sara Mohr: Ich nutze das ja therapeutisch und kann dann sehen: Ah, das klappt nicht, weil Handlungsplanung oder whatever.

00:50:40 Sara Mohr: An dieser Stelle ziehen wir uns jetzt so langsam raus aus dem Deep Dive Handwerk, ja. Das Handwerk hat die Ergotherapie über viele, viele Jahrzehnte begleitet. Es ist eine der Wurzeln, nicht die einzige Wurzel für Ergotherapie. Das erklärt aber so ein bisschen, dieser geschichtliche Blick, wo es herkommt und warum wir vielleicht an der Stelle sind. Und handwerkliche Betätigungen werden uns in der Form erhalten bleiben, da immer mal wieder Personen kommen und sagen: Hey, in meiner Freizeit arbeite ich gern damit, können wir daran arbeiten? Aber ich finde, wir sollten offen sein für die Vielzahl an anderen Betätigungen, die in unserem Leben relevant sind und die damit auch in der Ergotherapie relevant sind.

00:51:24 Sarah Bühler: Ja, ja.

00:51:26 Sara Mohr: Das war jetzt das Wort zum Sonntag, das Wort zum Ende des Podcasts. Hast du noch Gedanken?

00:51:32 Sarah Bühler: Nein, ich finde, das war ein sehr gutes Schlusswort.

00:51:36 Sara Mohr: Und wenn ihr da an dem Deep Dive noch an irgendeiner Stelle noch tiefer reingehen wollt, schreibt mir gerne, liebe Leute. Aber ich weiß nicht, ich glaube, als Nächstes wird das dann eine Doktorarbeit. Ihr werdet viele, viele Quellen in den Shownotes finden. Wenn ihr andere Ideen habt für Themen, schreibt uns eine E-Mail oder schreibt uns bei Instagram: Ergo unterwegs oder E-Mail an info@ergo-unterwegs.de. Gut, Sarah, mach mal einen Deckel drauf.

00:52:11 Sarah Bühler: Mach Deckel drauf. Bis dann, tschüss.

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