#5 - Wie sieht Betätigungsbasierung eigentlich im Ergo-Alltag ganz konkret aus?

Betätigungsbasierung – eines DER Schlagwörter der modernen Ergotherapie! Aber mal ganz ehrlich: Wie definiert sich eigentlich „Betätigung“? Was sind die Unterschiede zwischen Betätigungsbasierung, -fokussierung, -zentrierung oder -orientierung? Und wer soll da bitte die Übersicht behalten?!  Sara stellt eine Studie vor, die untersucht, wie Betätigungsbasierung ganz konkret im Ergoalltag aussieht und wir dröseln die Begriffe auseinander.
Geschichten aus dem Alltag: Sarah kämpft mit einem Digitalisierungs-Dinosaurier. Und bei Sara dauert es mal wieder länger als geplant.

Lust auf mehr Evidenz für dein Team?

 

Die Studie in dieser Folge ist: Psillas, S., & Stav, W. (2021). Development of the dynamic model of occupation-based practice. The Open Journal of Occupational Therapy, 9(4), 1–14.

Weitere Quellen in dieser Folge:

Christiansen, C., & Haertl, K. (2014). A contextual history of occupational therapy. In B. Boyt Schell, M. Scaffa, & G. Gillen (Hrsg.), Willard & Spackman’s occupational therapy (12th ed., S. 9–34). Wolters Kluwer Health/Lippincott Williams & Wilkins. 

Fisher, A. G. (2013). Occupation-centred, occupation-based, occupation-focused: Same, same or different? Scandinavian journal of occupational therapy, 21 Suppl 1, 96–107. 

Helfrich, C. A. (2014). Principles of Learning and Behaviour Change. In B. Boyt Schell, M. Scaffa, & G. Gillen (Hrsg.), Willard & Spackman’s occupational therapy (12th ed., S. 588–604). Wolters Kluwer Health/Lippincott Williams & Wilkins. 

Kohlhuber, M., Aichhorn, C., & Dehnhardt, B. (Hrsg.). (2020). Ergotherapie—Betätigungszentriert in Ausbildung und Praxis (1. Aufl.). Georg Thieme Verlag. 

Miesen, M. (Hrsg.). (2004). Berufsprofil Ergotherapie 2004 (1. Aufl). Schulz-Kirchner. 

Townsend, E. A., & Polatajko, H. J. (2013). Enabling occupation II: Advancing an occupational therapy vision for health, well-being & justice through occupation (2. Aufl.). Canadian Association of Occupational Therapists.

00:00:23 Sara Mohr: Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge Evidenz auf die Ohren, Eurem Podcast für Evidenzbasierung in der Ergotherapie. Hallo Sarah. 

Sarah Bühler: Hallo. 

00:00:35 Sara Mohr: Wir sind heute nur zu zweit, 2 Sarahs. Es kann für euch sehr einfach werden oder sehr kompliziert heute. Ihr müsst euch also nur einen Namen merken. 

00:00:47 Sarah Bühler: Und Du hast uns eine Studie mitgebracht? 

00:00:50 Sara Mohr: Ich habe eine Studie mitgebracht, lass uns gleich über die sprechen, heute geht es um Betätigung, aber erzähl uns doch vorher von einer Betätigung aus deinem Alltag, was gibt es für eine Geschichte heute? 

00:01:03 Sarah Bühler: Eine Technik Geschichte tatsächlich diese Woche. Ich bin ja immer wieder erstaunt beziehungsweise mein Partner ist ja in der IT und der hat schon zu mir gesagt Fax in der Praxis brauchst du das wirklich überhaupt noch? Darüber haben wir auch schon in einer Folge gesprochen. Nein, es ist nicht ausgestorben. Wir brauchen das tatsächlich. Ich bin ich diese Woche wieder erstaunt gewesen, was ich noch alles brauche beziehungsweise auch nicht brauche. Ein Klient hat mir probiert, eine SMS zu schicken auf Festnetz. 

00:01:37 Sara Mohr: Eine MMS aufs Festnetz? Das ist mal kreativ. 

00:01:40 Sarah Bühler: Am Telefon hatte mir gesagt ja, er schickt mir das dann gleich per MMS und ich dachte halt, der meine E-Mail, der hat sich nur versprochen. Nee, dann hat da so ne Stimme angerufen und hat mir erklärt, wie ich jetzt dann diese MMS abrufen kann… 

00:01:57 Sara Mohr: Man kann die übers Festnetz abrufen? 

00:02:01 Sarah Bühler: Theoretisch ja, ich konnte das nicht. Weil ich war erstmal so perplex und dachte MMS, also das war irgendwie vor meiner Zeit. Ich habe in meinem Leben noch nie eine MMS verschickt und auch noch nie geöffnet, ne?  

00:02:14 Sara Mohr: Oh Gott, ich bin so alt. 

00:02:19 Sarah Bühler: Ja, auf jeden Fall kam dann diese Stimme und hat mir dann ein Passwort diktiert. Also Zahlenkombination von 8 Zahlen oder so ich habe natürlich nichts zum Schreiben, weil ich bin ganz normal ans Telefon gegangen. Ja, dann hat die Stimme aufgelegt und ich stand da. Und dann hab ich bei meiner Fritzbox probiert, das irgendwie zurückzuholen oder zu gucken, aber dadurch, dass ich dran gegangen bin war das ja weg. Genau und dann hab ich meinen Partner angerufen und gemeint du da kam gerade eine MMS. (lacht) Ja also das ist meine Geschichte aus dem Alltag. Man trifft noch so einige Technik Dinosaurier tatsächlich. 

00:03:03 Sara Mohr: Aber wie hast du das gelöst dann? 

00:03:05 Sarah Bühler: Ich hab den Klienten angerufen und gesagt das geht nicht. Er soll mir das mitbringen. 

00:03:09 Sara Mohr: Du konntest wenigstens identifizieren, dass das von ihm kam. 

00:03:13 Sarah Bühler: Er hat mir ja vorher am Telefon gesagt, er schickt mir eine MMS. Und ich dachte halt (lacht). 

00:03:23 Sara Mohr: Ja, dann doch lieber Post. (lacht) 

00:03:26 Sarah Bühler: Dann doch diePost ja, das war so meine Geschichte aus dem Alltag. 

00:03:28 Sara Mohr: Sehr schön. ich durfte einen Artikel veröffentlichen, mal wieder und habe mich darüber sehr gefreut, weil er hat lange gedauert.  

00:03:42 Sarah Bühler: Das stimmt. 

00:03:45 Sara Mohr: Ich durfte einen Artikel in der ET und Reha veröffentlichen zum Thema Alice muss zusammen mit der Andrea Schöne. Und wir haben ene relativ lange herumgebastelt, das war so eine dieser Aktionen. Kennst du das, wenn man mit jemandem spricht, ja, und dann machen wir das einfach und wir schreiben das einfach und die Redaktion fragt Wann ist der fertig? Und du denkst, ach in 2 Monaten wird das schon was. Und dann passiert das Leben und dann dauert es noch ein bisschen länger und irgendwas ist ja dann auch immer. Aber jetzt zum Ende des Jahres kam er raus und wir kriegen beide ganz viel liebe Rückmeldungen, das finde ich immer so toll, dass Leute sich dann tatsächlich die Mühe machen, so einen Artikel zu lesen und dann zu denken Oh ja, ich schreib den Leuten jetzt mal, dass ich den Artikel gut fand. Hast du sowas schonmal gemacht? 

00:04:34 Sarah Bühler: Ja, tatsächlich. Ich hab einen echt coolen Beitrag – ich weiß gar nicht mehr, wo ich den gelesen habe – aber ich weiß noch worum es ging. Und zwar ging es um die bildliche Darstellung von Ergotherapie, dass Bilder ja auch eine Sprache haben, das fand ich so gut. Ja, weil ich es ja doch immer sehr interessant finde, wie man die Ergotherapie im Internet darstellt. Ja, gerade im Bereich der Pädiatrie, ne ich weiß nicht mehr und die hab ich angeschrieben und hätte auch gern, da ging es ja um so Foto-Collagen die hätte ich gerne auch gesehen. 

00:05:23 Sara Mohr: Wenn ich hier für unsere Module bei Ergo Unterwegs Abbildung suche,  ganz oft suche ich ein Icon für Ergotherapie.  

00:05:31 Sarah Bühler: Super schwierig. 

00:05:33 Sara Mohr: Super schwierig und gib einfach mal bei Google in der Bildersuche Ergotherapie ein. Also wenn du Glück hast, kommt irgendeine Frau, die mit einem Kind spielt, das ist dann noch vielleicht noch so am nächsten dran und ansonsten hast du halt Leute, die die Hände massieren. Aber es ist ja auch schwierig, da bewegen wir uns jetzt schon in Richtung des Themas unserer Studie. Wenn wir Betätigung in der Ergotherapie bildlich darstellen wollen, haben wir halt einfach ein Bild von jemandem, der Essen kocht. 

00:06:10 Sarah Bühler: Ich fand es so schwierig für meine Webseite Bilder, rauszusuchen oder auch zu machen. 

00:06:19 Sara Mohr: Obwohl du hast ja dann einfach Therapiesettings nachgestellt, oder? 

00:06:22 Sarah Bühler: Ja, aber ich hab die Bilder jetzt gar nicht auf meiner Website ich habe die tatsächlich bis jetzt nur auf dem Flyer. Ich hab Stockimages auf der Webseite.  

00:06:30 Sara Mohr: Von glücklichen Kindern und glücklichen alten Menschen. 

00:06:31 Sarah Bühler: Von glücklichen Kindern und glücklichen alten Menschen, ja. 

00:06:39 Sara Mohr: Ja, aber das ist ja auch schon mal also besser, als wenn du halt auf so eine Webseite kommst, wo dann ein Peddigrohrkorb ist.Ja, vielleicht müssen wir mal einen Aufruf machen für Bilder die Ergotherapie darstellen. Ich hätte ja wirklich gerne irgend so ein Icon. Ich nehme dann am Ende immer irgendwas mit Händen… 

00:07:01 Sarah Bühler: Herz finde ich immer gut, weil es hier um das Bedeutungsvolle geht, um das, was einem wichtig ist. Das ist für mich irgendwie mein Herz und das kann ja für andere auch etwas anderes sein. Könnte auch ein Stern sein? 

00:07:09 Sara Mohr: Ja, ein Herz wird schnell kitschig und so und dann ist es immer hm ja, ja schwierig, lass uns da mal demnächst noch mehr sprechen. Vielleicht ein anderes Mal, sollen wir mit der Studie starten? 

00:07:22 Sarah Bühler: Ja, starte mal. 

00:07:28 Sara Mohr: Bevor wir, bevor wir richtig in die Wissenschaft einsteigen: Sarah was ist für dich eigentlich eine Betätigung? 

00:07:34 Sarah Bühler: Mhm für mich oder im ergotherapeutischen Sinn? 

00:07:39 Sara Mohr: Oh beides, zuerst für dich und dann in der Ergotherapie. Ich hätte nicht gedacht, dass das nicht dasselbe ist. 

00:07:44 Sarah Bühler: Ist für mich nicht ganz dasselbe. Okay, ja, also Betätigung für mich ist einfach alles, was ich im Alltag mache erstmal auch was ich machen muss, was dazu gehört. Da muss ich nicht immer unbedingt ein Ziel verfolgen und manche Sachen sind mir auch nicht unbedingt wichtig, aber die sind vielleicht anderen wichtig. 

00:08:12 Sara Mohr: Mach mal ein Beispiel dafür sowas. 

00:08:16 Sarah Bühler: Eröffnung von der Praxis, das ist ja was sowas ist mir überhaupt nicht wichtig, aber ich weiß, dass das meiner Familie total wichtig ist. 

00:08:29 Sara Mohr: Deshalb machst du es. 

00:08:30 Sarah Bühler: Deshalb mache ich eine Eröffnung ja. 

00:08:31 Sara Mohr: Weil dir deine Familie wichtig ist? 

00:08:32 Sarah Bühler: Weil mir meine Familie wichtig ist, ja. 

00:08:37 Sara Mohr: Okay ja, das sind so Dinge, die man sich verpflichtet fühlt zu tun. Obwohl man sie selber, wenn man allein auf der Welt wäre, würde man sie nicht tun. Aber du weißt, dass es denen wichtig ist und du tust denen einen Gefallen und dann ja und dann ist es darüber auch wieder mit deinen Werten verbunden, also wenn die Familie einen hohen Wert hat. Spannend okay, also für die Privat Sarah ist alles was du im Alltag tust eine Betätigung. 

00:08:56 Sarah Bühler: Natürlich ja. 

00:09:06 Sara Mohr: Und für die Ergo Sarah? 

00:09:08 Sarah Bühler: Eigentlich ja auch ne. Bei den Klienten probiere ich wirklich nochmal herauszustellen, dass es um bedeutungsvolle Betätigung geht, also das was ihnen im Alltag wichtig ist, nicht unbedingt was anderen wichtig ist, ne. 

00:09:24 Sara Mohr: So weil das vielleicht einen motivierenderen Aspekt hat? 

00:09:28 Sarah Bühler: Genau, weil das erstens motivierender ist und da ich habe viele Klient*innen habe, die auch eben viele Dinge tun, die für sie gar nicht wichtig sind, von denen sie aber denken, dass die wichtig sind. Weißt du, was ich meine? 

00:09:46 Sara Mohr: Ich glaube, ich würde aber auch gern ein Beispiel haben. 

00:09:52 Sarah Bühler: Zum Beispiel das Haus putzen ist so ne Sache, ich habe einige auch Psych-Klient*innen, die meinen, dass sie viel putzen müssen. Aber eigentlich finden Sie es nicht dreckig und stört sie auch nicht, wenn man dann mal genauer drüber spricht. 

00:10:06 Sara Mohr: Aber wenn Besuch kommt, dann will man eigentlich, dass alles super aussieht und dann mhm. Ja, so ein bisschen sich dann auch frei machen von den Erwartungen, die man denkt, dass andere, die an einen haben. 

00:10:19 Sarah Bühler: Ja, genau. 

00:10:20 Sara Mohr: Okay, aber das das ist ja das ist ja dann schon mal ein spannender Schritt in der Therapie eigentlich zu sagen ok, was ist das Betätigungsanliegen? Aber dann das zu reflektieren, warum ist ihnen das so wichtig? 

00:10:36 Sarah Bühler: Genau zu gucken. 

00:10:43 Sara Mohr: Aber die sowohl die Ergo Sarah als auch die Privat Sarah sagt, eigentlich ist alles, was man im Alltag tut Betätigung. Damit bist du auch einig mit der Definition des DVE, was eine Betätigung ist, falls dich das beruhigt. Ich mag ja so grundlegende Sachen zu fragen und ich mag ja Definitionen, deshalb hab ich mal die Definition vom DVE angeschaut, was Betätigung ist, und das ist aus dem Berufsprofil, und das ist ja von 2004, das heißt es ist schon ein paar Jährchen alt.  

00:11:30 Sarah Bühler: Ok, ich hätte jetzt erstmal ans Kompetenzprofil gedacht. 

00:11:35 Sara Mohr: Aber im Kompetenzprofil ist Betätigung nicht definiert. Das Berufsprofil ist auch interessant, aber es ist in Teilen finde ich es mittlerweile schwierig einfach, weil es nicht mehr so aktuell ist. Aber die Definition von Betätigung funktioniert noch hervorragend. Die geht nämlich so: 

Als Betätigung verstehen Ergotherapeut*innen die Summe von Aktivitäten und Aufgaben des täglichen Lebens.  

Soweit sind wir mit dabei. 

die durch Individuen und Kultur benannt, strukturiert und mit Bedeutung versehen sind. 

Das heißt ja eben auch schon so ein bisschen mit deinem Familienbeispiel, es hat eine Bedeutung für dich, selbst wenn die Betätigung direkt vielleicht keine Bedeutung, aber in deiner Kultur in deinem sozialen Umfeld hat die Eröffnung einer Praxis Bedeutung. Deshalb ist es auch wichtig für dich. 

Betätigungen werden individuell unterschiedlich ausgeführt.  

Das mag ich immer gerne, ich mag ja immer gerne zu sehen, wie unterschiedlich Menschen die kleinsten Sachen ausführen. Wie unterschiedlich Menschen sich die Zähne putzen, zum Beispiel. 

00:12:41 Sarah Bühler: Eier aufmachen weißt du noch unseren Mini Studie? 

00:12:45 Sara Mohr: Eier ja, genau. (lacht) Sarah und ich haben mal eine Eier Studie gemacht, wir legen das jetzt hier offen ja, schade das Daniel heute nicht da ist, der hätte Spaß damit (lacht). Sarah und ich haben gemeinsam an der Zuyd studiert… 

00:13:06 Sarah Bühler: Und als Vorbereitung auf die Bachelorarbeit haben wir eine Mini Studie  gemacht.  

00:13:10 Sara Mohr: Genau wie man eben so eine Studie strukturiert, wie man da vorgeht, welche Schritte Teil sind von wissenschaftlichen Arbeiten.  

00:13:17 Sarah Bühler: Und das Thema sollte nicht ergotherapeutisch sein. 

00:13:20 Sara Mohr: Genau das sollte irgendwas sein, aber nicht ergotherapeutisch. 

00:13:25 Sarah Bühler: Und ich kann ja immer mit so Aufgaben, die so frei sind, das finde ich ja immer schwierig, ne? 

00:13:30 Sara Mohr: In dem Gruppengespräch haben wir überlegt was könnte man sich anschauen und wir kamen aus Gründen, die mir heute nicht mehr schlüssig sind, kamen wir dazu… 

00:13:38 Sarah Bühler: Ich glaube, ich war irgendwann so genervt von diesem Diskutieren über eine Idee, dass ich irgendwann glaub ich einfach gesagt hab, warum machen wir Frühstückseier? 

00:13:46 Sara Mohr: Wie macht man sein Frühstücksei auf, wie man es gerne hätte und wie man es isst, das war die Forschungsfrage. Also haben wir einen Fragebogen erstellt und Menschen befragt im Internet, wie sie gerne ihr Frühstücksei essen. 

00:14:07 Sarah Bühler: Ich habe die sogar auf Papier ausgeteilt. 

00:14:11 Sara Mohr: Stimmt, wir haben dann auch ausgedruckt und dann Leute befragt, damit wir genug Teilnehmende haben. Das war viel Action für ein paar Eier. 

00:14:19 Sarah Bühler: Ja ja.(lacht) 

00:14:20 Sara Mohr: Okay, genau auf jeden Fall war es war sehr interessant, wir haben natürlich für den Fragebogen erstmal gesammelt wie kann man denn überhaupt ein Frühstücksei essen? Du musst ja dann da Punkte vorgeben. Wie macht man es auf? Mit dem Messer, mit dem Löffel, an der Tischkante? 

00:14:32 Sarah Bühler: Mit dem Eierschalensollbruchstellenverursacher. 

00:14:36 Sara Mohr: Genau genau das war ganz interessant, wie unterschiedlich Menschen das machen. Auch wann Menschen Eier essen, morgens mittags, abends. Nur wenn sie bei anderen Leuten zu Besuch sind, nur wenn Besuch da ist, nur sonntags, jeden Morgen. Gerührt, gekocht, Spiegelei. 

00:14:54 Sarah Bühler: Und was mich ja schockiert hat, wie viele gar nicht sagen konnten, wie lange ihr Ei kocht, weil das immer jemand anders kocht. 

00:15:08 Sara Mohr: Also eine kleine Betätigung und wir konnten eine ganze Studie draus machen. Okay, jetzt haben wir unsere Studie offengelegt. Jetzt kennt ihr unser dunkelstes Geheimnis. (lacht) Weiter in der Definition, also Betätigung werden individuell unterschiedlich ausgeführt. Dadurch sind sie auch Ausdruck unserer Persönlichkeit. Und sie sind eben das Mittel, mit dem wir mit der Umwelt interagieren, wie denn auch sonst? Der wichtigste Teil, finde ich, ist die Aussage  

Betätigung gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen und umfasst alles, was Menschen tun. 

Also Betätigung ist genau wie Essen und Trinken und Schlafen ein Grundbedürfnis. Das ist eigentlich so das Kernelement der Ergotherapie, wir gehen davon aus, dass jeder Mensch sich betätigen möchte. Und dass das wichtig ist für jeden Menschen. 

00:16:00 Sarah Bühler: Ja, was ich hier noch einen wichtigen Punkt finde, ist, dass die Kultur mit drin ist, weil das ja schon auch was ist, was man so im Alltag häufig übersieht. Ich muss mich selbst auch immer noch mal dran erinnern, hab ich auch auf kulturelle Unterschiede geachtet oder hab ich das zumindest mal in meine Überlegungen mit einbezogen oder dazu auch nochmal ein Assessment gemacht, das eben nicht so arg westlich orientiert ist, sondern eines, das vielleicht auch ein bisschen freier ist. 

00:16:30 Sara Mohr: Das ist das stimmt, ich hab das jetzt hier gemerkt, das war mein zweites Weihnachten in Australien dieses Jahr.  

00:16:37 Sarah Bühler: Schon das zweite! 

00:16:38 Sara Mohr: Ja, ich bin schon 2 Jahre weg. Leute feiern hier auch Weihnachten. Aber es ist halt ganz anders als in Deutschland, also schon allein wegen der Temperatur, die sich halt mal locker um 30 Grad unterscheidet, aber auch mit den Bräuchen, die hier dann einfach üblich sind, also zum Beispiel: ich bin ja kein großer Weihnachtsfan, aber was ich an Weihnachten liebe in Deutschland ist der Geruch von Tannenbäumen, dieser Nadelgeruch im Haus, selbst wenn man keinen Tannenbaum hat. Aber wenn man den Adventskranz hat, diesen Geruch. Und hier sind halt alle Weihnachtsdekorationen aus Plastik, weil es halt 35 Grad sind und man stellt sich da keinen echten Baum in die Wohnung. Der nadelt ja nach einem halben Tag.  

00:17:35 Sarah Bühler: Ich muss mal ganz blöd fragen, gibt es denn überhaupt Tannen in Australien? Ich dachte, das sind eher so kühlere Gewächse. 

00:17:40 Sara Mohr: Es gibt Nadelbäume. Also ich bin jetzt nicht so der Botaniker, aber es gibt tannenähnliche Nadelbäume, aber wie gesagt, es hat jeder einen Plastikbaum. Nachhaltigkeitstechnisch finde ich das gut, also ich bin jetzt auch kein Fan davon hunderttausende Tannen jedes Jahr zu fällen, nur damit die dann 2 Wochen in der Wohnung stehen aber ja, aber irgendwie fehlt so ein bisschen was. Ja, das war das zum Thema kulturelle Unterschiede. Genau also Betätigung ist eigentlich alles, was wir tun. Und jetzt kommt die Fangfrage! Wenn alles, was ich tue Betätigung ist, ist dann nicht Ergotherapie automatisch immer betätigungsorientiert? Weil, dann ist ja alles, was ich mit meinen Klient*innen mache, automatisch auch immer eine Betätigung. 

00:18:47 Sarah Bühler: Ja, die Frage ist, ob die Betätigung zielführend ist. 

00:18:51 Sara Mohr: Ja, das Ziel ist ja, dass die eine Betätigung durchführen. Da kann ich doch mit denen in der Nase bohren, das ist doch eine Betätigung… 

00:18:56 Sarah Bühler: Ja aber brauche ich diese Betätigung für den Alltag und ist die mir wichtig? Und hilft mir, dass ich im Alltag dann auch das kann, was ich machen möchte. 

00:19:06 Sara Mohr: Da kommen wir zu dem Zusatzwort bedeutungsvolle Betätigung. 

00:19:11 Sarah Bühler: Ja ja. 

00:19:12 Sara Mohr: Meinst du das? Ja, ich find ich find das schon einen ganz wichtigen Punkt zu unterscheiden, weil wenn wir diese Definition so groß fassen von Betätigung, müssen wir es aber trotzdem für die Ergotherapie noch ein bisschen konkreter machen, weil sonst kann ich ja alles machen mit meinen Leuten in der Therapie. Und ich glaube, der wichtige Punkt ist, das es eine bedeutungsvolle Betätigung sein soll, das heißt und das da geht die Definition auch noch weiter. 

Bedeutungsvolle Betätigungen sind dadurch charakterisiert, dass sie zielgerichtet sind und als signifikant, sinnvoll und wertvoll für den einzelnen empfunden werden. 

00:19:51 Sarah Bühler: Die Gesellschaft nehmen die raus? 

00:19:54 Sara Mohr: Ja, in der Definition geht es nur, es ist sinnvoll und wertvoll für den Einzelnen. Wobei wenn wir jetzt zu deinem Beispiel nochmal zurückkommen mit der Eröffnung von der Praxis. Auch die würdest du ja sagen hat jetzt eine Bedeutung momentan für dich? Über den Umweg, es ist der Familie wichtig hat es ja für dich eine Bedeutung bekommen. 

00:20:21 Sarah Bühler: Das stimmt. 

00:20:23 Sara Mohr: Als einzelne Person ist man ja immer irgendwie in die Gesellschaft eingebunden, ob man will oder nicht. Ich glaube, man kann die Gesellschaft da nicht ganz rausnehmen, sollte man auch nicht. Das ist ein guter Punkt, dass du das so sagst, jetzt muss ich darüber mal nachdenken. 

00:20:40 Sarah Bühler: Ja, weil die Gesellschaft ja letztendlich die Therapie momentan bezahlt, also die Krankenkasse, was ja von der Allgemeinheit finanziert wird so. 

00:20:49 Sara Mohr: Ja, das ist ein guter Punkt. Aber auch, weil die Gesellschaft und das System, in dem wir leben, ein ganzes Stück weit festlegt was sind Betätigungen, die zum Beispiel in Ordnung sind? Was sind Betätigung, die tabuisiert sind, wer sollte welche Betätigung durchführen und wer vielleicht nicht? Was ist gesellschaftlich anerkannt? Das sind, glaube ich Faktoren, die ja den Einzelnen letztendlich beeinflussen. Und vielleicht ist es gar nicht so schlecht, das hier rauszunehmen, wenn man sagt, Wir sprechen über Betätigung, die wirklich für die Personen, die jetzt vor mir sitzt, bedeutungsvoll sind. Scheißegal – Entschuldigung – was die Gesellschaft sagt, ich will jetzt wissen, was für dich besonders wichtig ist. Natürlich müssen wir die Gesellschaft dann trotzdem im Hinterkopf haben, weil wir wissen, das könnte jetzt schwieriger oder leichter sein mit dieser Betätigung bei dieser Person. Aber wir haben den Fokus auf die einzelne Person… ach spannend jetzt verstricken wir uns schon so (lacht). Ich wollte doch nur Betätigung definiert ist es denn so schwierig? Kurzer, ganz kurzer Exkurs noch, weil wir sehr häufig in diesem Podcast heute das Wort Betätigung nutzen werden, und ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz gerne von Handlungen sprechen, und ich mag das Wort Handlung eigentlich auch sehr gerne. Wir nutzen hier jetzt einfach mal Betätigung, weil wir mit dem Begriff heute so viel um uns schmeißen. Also warum ist es jetzt wichtig, bedeutungsvolle Betätigung als Basis und als Ziel in der Ergotherapie zu benutzen?  

00:22:32  Sarah Bühler: Na weil das Ergotherapie ist, das macht die Ergotherapie aus. 

00:22:42 Sara Mohr:  Ich hab 3 wichtige Gründe. Es gibt bestimmt noch mehr, aber ich hab 3 Begründungen gefunden und das Erste ist tatsächlich die philosophische Begründung. Das ist die ergotherapeutische Grundannahme, wie wir eben gesagt haben, Betätigung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Davon geht die Ergotherapie schon immer aus und wir gehen auch davon aus, dass bedeutungsvolle Betätigung unser Wohlbefinden beeinflussen und unsere Gesundheit beeinflussen und Sie sind das Werkzeug, mit dem wir unserem Leben Sinn verleihen. Es ist das, worum es in der Ergotherapie geht. 

00:23:13 Sarah Bühler: Ich kann da nur nicken also ja. 

00:23:26 Sara Mohr: Es gibt auch die historische Begründung. Die ganz frühen Anfänge von ergotherapeutischen Gedanken oder von diesen Gedanken, dass Betätigung gut ist für die Gesundheit und das Wohlbefinden liegen ja im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert im Arts und Crafts Movement, in dem Moral Treatment. Schon ganz früh in der Ergotherapie war es eben dieser Grundgedanke, Menschen ins Handeln bringen, tut Menschen gut. Daraus ist es ja geschichtlich entstanden die Ergotherapie. Und dann eigentlich meine Lieblingsbegründung ist die lerntheoretische Begründung. Weil es geht ja in Ergotherapie eigentlich immer ums Lernen also es geht darum, neue Fähigkeiten zu lernen, neue Routinen zu lernen oder alte Verhaltensweisen zu verlernen oder neue Betätigungen kennenzulernen. Und alle großen Lerntheorien gehen davon aus, dass Menschen lernen, indem sie selbst aktiv werden und selbst handeln. Und du lernst halt Fahrradfahren, indem du Fahrrad fährst und nicht, indem du mal ganz schwer darüber nachdenkst, wie man denn wohl Fahrrad fährt. So lernt halt unser Gehirn, unser Gehirn lernt durch Handeln. So sind wir uns einig Ergotherapie sollte Betätigung als Basis und als Ziel haben.  

00:24:49 Sarah Bühler: Ich nicke. 

00:24:58 Sara Mohr: In dieser Studie haben die jetzt zuerst mal ganz viele Studien vorgestellt. Ich sag kurz mal, wie die Studie heißt Moment, die Studie heißt. Wir machen den formalen Anfang jetzt hier. Die Studie heißt Development of the Dynamic Model of Occupation-based Practice, also die Entwicklung eines dynamischen Modells betätigungs-basierter Ergotherapie und die ist vom Oktober dieses Jahres und von Forschenden aus den USA. Und die haben sich gesagt okay, also es gibt ganz viele Studien, die zeigen betätigungs-basierte Ergotherapie ist eine gute Sache. Es gibt ganz viele gut gemachte Studien, die sich das angeguckt haben. Betätigungs-basierte Ergotherapie bei Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen, bei Kindern und Jugendlichen, bei Menschen mit einer Demenzerkrankung, bei Menschen nach Schlaganfall, bei Menschen mit traumatischen Hirnverletzungen, bei Menschen mit chronischen Handverletzung,… bei dieser ganzen Klientel wurde nachgewiesen betätigungs-basierte Ergotherapie verbessert die Betätigungsperformanz und verbessert die Teilhabe. Sie schreiben aber auch in der Einleitung dieser Studie: trotzdem sehen wir, dass Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten immer noch nicht alle betätigungs-basiert arbeiten. Und da stellt sich die Frage warum? Warum ist das so? 

00:26:31 Sarah Bühler: Ich muss grad bisschen grinsen, weil wir haben uns ja eine ähnliche Frage in unserer Bachelorarbeit gestellt. 

00:26:37 Sara Mohr: Ja, genau unsere Frage war dahingehend warum arbeiten nicht alle Ergos modell-geleitet, weil auch für Modelle gibt es ja total viel Evidenz, dass die anzuwenden gut ist und trotzdem… 

00:26:49 Sarah Bühler: Wir müssen nochmal sagen ergotherapeutische Modelle. 

00:26:52 Sara Mohr: Ja, genau ergotherapeutische Praxismodelle, CMOP-E, MOHO und so, und das ist eng verknüpft auch mit Betätigungsbasierung. Vielleicht kommen wir dann nachher nochmal drauf, weil wir hatten eine sehr ähnliche Frage für unsere Bachelorarbeit, das stimmt. Also warum arbeiten nicht alle Ergos betätigungs-basiert? Die Forschenden haben die Vermutung aufgestellt, dass ein Grund sein könnte, dass wir alle gar nicht so genau wissen wie betätigungs-basiertes Arbeiten, denn im echten Leben aussieht?  

00:27:25 Sarah Bühler: Mhm muss ich kurz drüber nachdenken. 

00:27:28 Sara Mohr: Also sie sagen man stellt dieses Wort immer in den Raum. Aber wie das tatsächlich funktioniert, was alles dazu gehört zum betätigungs-basierten Arbeiten, wodurch es beeinflusst wird, aus welchen Elementen es besteht und wie die miteinander verbunden sind, das wissen wir gar nicht. Das ist so ein implizites Wissen, da habt ihr so ein Gefühl für ja, das könnte das sein, aber so wirklich ganz rational mal aufgeschrieben oder erforscht wurde das noch nicht.  

00:28:01 Sarah Bühler: Mhm, ok. 

00:28:03 Sara Mohr: Und das wollten sie mit ihrer Arbeit machen. Sie wollten also quasi ein Modell erstellen, deshalb heißt die Überschrift auch das dynamische Modell, ein Modell wie Betätigungsbasierung praktisch funktioniert, woraus sie besteht und wie sie beeinflusst wird. Und bevor wir damit starten macht es glaube ich Sinn noch eine letzte Sache zu klären. Und zwar nutzen wir im Deutschen ja gerne den Begriff Betätigungsorientierung, da diese Studie auf Englisch geschrieben wird, sprechen die hier über occupation-based, also betätigungs-basiert. Und das ist was anderes als betätigungsorientiert. (lacht) Vielleicht nehmt euch was zum Schreiben, nein, ihr schafft das… 

00:28:56 Sarah Bühler: Ich erinnere mich an Ann Fischer. 

00:28:58 Sara Mohr: Du erinnerst dich an Ann Fischer und ich habe hier einen Fan Girl Moment, ich bin ein großer Fan von Ann Fischer und vom OTIPM und auch von der Unterscheidung der Begriffe betätigungs-zentriert, betätigungs-basiert und betätigungs-fokussiert und wir müssen jetzt alle gemeinsam einmal kurz durch. 

00:29:17 Sarah Bühler: Ist gar nicht so schlimm. 

00:29:18 Sara Mohr: Ist gar nicht so schlimm, tut gar nicht weh, also wir deutschsprachigen Ergos sind meines Wissens die einzigen, die den Begriff Betätigungsorientierung benutzen, der deshalb ein bisschen schwammig ist. Im Englischen gibt es nicht occupation-oriented, das gibt es nicht als Begriff, sondern die benutzen 3 unterschiedliche Begriffe für das Thema Occupation. 

Fangen wir mal an, mit Betätigungs-zentriert, occupation-centered: 

Das ist das, was ich als Ergo bin, also der Kern meiner ergotherapeutischen Identität. Das bedeutet nämlich… 

00:30:00 Sarah Bühler: Dass auch ein bisschen das Mindset, oder? 

00:30:02 Sara Mohr: Ja, genau so meine Einstellung zu meiner Arbeit. Das bedeutet nämlich, dass ich diesen Grundgedanken der Ergotherapie alle Menschen haben das Bedürfnis, sich zu betätigen und bedeutungsvolle Betätigung beeinflusst Gesundheit und Wohlbefinden, das ist auch der Grundgedanke, den ich in meiner Praxis umsetzen möchte. Das mache ich zum Zentrum meiner ergotherapeutischen Praxis. So, das ist eigentlich der einfachste von den drei Begriffen, weil das sollten wir immer sein, wir sollten immer in unserem Mindset, unserer Einstellung betätigungs-zentriert sein. 

Dann geht es weiter mit betätigungs-basiert, occupation-based: 

Das heißt, dass meine Klient*innen genau die Betätigung, die sie als Ziel festgelegt haben auch in der Therapie aktiv ausführen. Also wir haben ein Ziel, ich möchte gern Fahrrad fahren können, dann übe ich in der Therapie Fahrrad fahren. Dann habe ich in der Therapie ein Fahrrad und fahre mit dem Klienten oder der Klientin auf der Straße, wo sie auch sonst Fahrrad fahren, mit dem Fahrrad, mit dem sie auch sonst Fahrrad fahren, mit dem Helm, den sie auch sonst haben. Mit den Verkehrsregeln, die auch sonst gelten. Wenn es ums Brötchen kaufen geht, gehen wir beim Bäcker Brötchen kaufen, wenn sie ums Anziehen geht wird sich angezogen… 

00:31:20 Sarah Bühler: Wenn es ums Zähneputzen geht, wird Zähne geputzt, wenn es um Schuhe binden geht, werden Schuhe gebunden. 

00:31:26 Sara Mohr: Das sagt die Pädiatrie Sarah. Weil das wahrscheinlich das ist, was sie den ganzen Tag mit den Leuten macht (beide lachen). Genau und diese Betätigungsbasierung, die gilt auch für die Assessment, die ich mache, wenn ich nämlich betätigungs-basierte Assessment mache, heißt das, dass ich eine Betätigungsanalyse mache. Sei es das AMPS oder ich mache eine freie Betätigungsanalyse und schaue mir an, wie meine Klient*innen die Betätigung tatsächlich im Alltag ausführen. Das Ding ist, das geht manchmal nicht im Therapiealltag. Wir können nicht 100% betätigungs-basiert arbeiten. Manche Betätigungen, zum Beispiel ich möchte mich gerne selbständig Duschen, und der Klient oder die Klientin kommen in die Praxis, das ist schwierig. Selbst wenn ich bei dem Hausbesuch wäre, wäre ich und auch sie vielleicht nicht ok damit, dass sie sich vor mir duschen.  

00:32:34 Sarah Bühler: Ja, ich hab jetzt Jugendliche. Zwei autistische Jungs, da ist das Ziel Duschen und das ist tatsächlich schwierig. 

00:32:44 Sara Mohr: Ja, da können wir nicht betätigungs-basiert arbeiten, rein aus ethischen Gründen schon nicht, aber manchmal sind es auch andere Gründe. Manchmal sind es auch organisatorische Gründe, wie eben gesagt, weil die Leute in die Praxis kommen. Die Betätigung findet aber bei denen zu Hause in deren ganz individuellen Alltag und Kontext statt. Da kann ich nicht hundertprozentig betätigungs-basiert sein.  

Deshalb gibt es ein drittes Wort, die Betätigungs-Fokussierung, occupation-focused und damit ich mir die merken kann stelle ich mir immer ein Fernglas vor, dass ich auf die Betätigung scharf stelle. Das heißt, ich sehe die Betätigung in der Ferne. Ich habe die im Fokus, aber ich bin noch nicht ganz da. Genau ich fasse also mit meinen Klient*innen die Betätigung ins Auge die für sie bedeutungsvoll ist. Das kann ich machen, indem ich zum Beispiel das COPM benutze, da spreche ich ja schon mit den Leuten über Betätigung ich führe sie aber in dem Moment nicht aus. Trotzdem haben wir den Fokus auf die Betätigung, die vielleicht problematisch sind im Alltag. Betätigungsfokussierung ist immer hilfreich, wenn es eben nicht klappt, die ganze Zeit betätigungs-basiert zu sein. Und wenn ich zum Beispiel Betätigung simuliere, also kann ja auch sagen ok wir simulieren jetzt vielleicht das Duschen, wir gehen das jetzt vielleicht einmal durch was ziehe ich denn zuerst aus, wo lege ich denn mein Handtuch hin, was seife ich zuerst ein, keine Ahnung. Betätigungsfokussiert ist es auch, wenn ich mir Videos mit meinen Klient*innen anschaue von Betätigungen, die sie vielleicht zu Hause durchgeführt haben und gefilmt haben, und ich gucke mir das mit denen an und analysiere was hat geklappt? Was hat nicht gut geklappt? Das ist alles betätigungsfokussiert, und ich finde, man merkt schon direkt diese Kombination aus betätigungs-fokussiert und betätigungs-basiert macht so viel möglich eigentlich in der Praxis. Dadurch, dass ich diese beiden Möglichkeiten habe, kann ich die Betätigung durchführen, ich kann über die Betätigung sprechen, ich kann sie analysieren, ich kann Sie auf Video aufzeichnen.  

00:34:55 Sarah Bühler: Ich kann auch Strategien erarbeiten. 

00:34:57 Sara Mohr: Strategien erarbeiten ist auch betätigungs-fokussiert, zu gucken wie könnte es denn klappen? Was könntest du denn machen? So diese 3 Begriffe und in unserem Artikel geht es eben um Betätigungsbasierung. Also wie sieht es tatsächlich aus, wenn ich mit Klient*innen die Betätigung wirklich durchführe in der Therapie? Um diese Frage zu beantworten, wie sieht betätigungs-basierte Ergotherapie aus, haben die Forschenden einen sehr spannenden Ansatz gewählt, den wir auch noch nicht hatten in unserem Podcast die grounded Theory. Grounded also im Boden verankert und Theory Theorie. Grounded Theory heißt so weil es darum geht eine realitätsnahe Theorie zu entwickeln, also eine Theorie, die im Boden der Realität verankert ist, wenn man das so sagen möchte. Und zwar in empirischen Daten, das heißt ich sammle Daten, ich sammle Informationen aus der realen Welt und ganz nah an diesen Daten entwickele ich eine Theorie oder ein Modell und das klingt alles komplizierter als es ist. Deshalb versuche ich das mal ganz praxisnah darzustellen, also die Forschungsfrage war: Wie sieht denn betätigungs-basierte Ergotherapie in der Praxis aus? Die Forschenden haben das Ziel, dass sie am Ende ein allgemeingültiges Modell haben möchten, dass in jedem Fachbereich gilt, wo man in jedem Fachbereich drauf gucken kann und sagen, so sieht betätigungs-basierte Ergotherapie aus, so funktioniert die, das kann ich nachmachen. Und dafür möchten Sie eben herausfinden, welche Teile gehören denn alle zur Betätigungsbasierung, woraus setzt sie sich denn zusammen? Und dafür müssen Sie Daten und Infos sammeln. Welche Infos würden da Sinn machen? Wir haben bei unserer Eier-Forschung einfach Leute gefragt, wie sie gerne ihre Eier frühstücken. Wie würdest du Daten sammeln zur Betätigungsbasierung? 

00:37:21 Sarah Bühler: Na, ich würde Leute fragen, wie machen Sie denn betätigungs-basierte Ergotherapie? 

00:37:26 Sara Mohr: Ziemlich banal ne ja genau so haben die das auch gemacht, so banal ist Forschung, Freunde (lacht). Es ist natürlich ein bisschen komplizierter. Sie haben sich Ergos gesucht und dann muss man natürlich gucken wen befragt man, sie haben Leute gesucht, die mindestens ein Jahr Berufserfahrung haben und die Vollzeit berufstätig sind. Mhm und dann haben sie versucht und das finde ich sehr spannend, sie haben versucht, möglichst verschiedene Praxissettings abzudecken also Leute, die in der Pädiatrie arbeiten, Leute, die mit Erwachsenen arbeiten, Leute, die mit älteren Menschen arbeiten. In der Klinik, im Hausbesuch, in der Schule möglichst viele verschiedene Settings abzudecken. Weil sie wollten ja eine Theorie nachher haben die für alle Fachrichtungen funktioniert, und so haben sie 10 Teilnehmende gefunden. Das klingt erstmal nicht viel. Wir hatten die letzten Male immer Studien mit irgendwie 300 Teilnehmenden oder so, aber wir müssen bedenken, dass ist hier eine qualitative Studie, das heißt, es geht darum, dieses Thema ganz in der Tiefe zu erforschen. Und da sind 10 Leute eine gute Anzahl, weil ich mit diesem 10 Leute ganz ausführliche, tiefgehende Interviews führen kann, die haben hier sogar noch mehr gemacht. Die haben mit 6 Leuten Einzelinterviews geführt und 4 Personen haben sie in einer Fokusgruppe zusammengesetzt. Also haben wir Gruppendiskussion mit denen geführt und haben die Leute angeregt, möglichst viele Beispiele zu bringen aus ihrer Arbeit mit Kindern, mit geriatrischer Klientel, in Seniorenheim, Hausbesuchen, Schulen, Kliniken ausführlich zu beschreiben. Wie sieht das aus, wenn ihr betätigungs-basiert arbeitet? Genau diese ganzen Daten, die Sie dabei gesammelt haben, bei diesen ausführlichen Gesprächen, haben sie dann analysiert und verglichen und haben 4 Bereiche gefunden die bei allen Beispielen vorkamen und aus denen, haben sie gesagt aus den 4 Elementen selbst sich Betätigungsbasierung zusammen, das sind die Elemente, echte Betätigung, Bedeutung und Zielgerichtetheit, therapeutische Absicht und aktive Partizipation. Und diese Elemente gehen wir gleich kurz durch, weil so die Begriffe im Raum einem nicht viel sagen. Diese 4 Elemente können in unterschiedlichem Maße in der Therapie vorkommen. Ich stelle mir das vor, wie so Regler, Heizungsregler, die man mehr oder weniger aufdrehen kann… 

00:39:59 Sarah Bühler: Wie kommst du auf Heizungsregler? Sorry? 

00:40:02 Sara Mohr: So ein Regler, meinetwegen auch eine Herdplatte. 

00:40:07 Sarah Bühler: Okay. 

00:40:08 Sara Mohr: Also Drehknopf, den man aufdrehen kann, mehr oder weniger. Hättest du eine schönere Metapher gehabt? 

00:40:15 Sarah Bühler: Ich habe direkt an irgendwas mit Musik gedacht, wo man unterschiedlich den Bass oder die Lautstärke oder sowas aufdrehen kann. 

00:40:22 Sara Mohr: Ja, das stimmt ja okay, nehmen wir das Musik Beispiel, wir haben 4 Regler und wenn die voll aufgedreht sind, dann arbeiten wir betätigungs-basierte oder hören die Musik meinetwegen also, wenn die voll aufgedreht sind, dann sind wir 100% betätigungs-basiert. Wir haben aber ja eben schon gemerkt man kann in der Praxis selten 100% betätigungs-basiert sein, das heißt, es sind selten alle 4 Regler auf Anschlag, sondern die können an unterschiedlichen Positionen stehen. Gucken wir uns die 4 Regler an. 

Echte Betätigung  

00:41:02 Sara Mohr: Und das meint genau das, dass wir eben auch gesagt haben, die Klient*innen führen eine echte Betätigung im tatsächlichen Alltag in ihrem tatsächlichen Kontext durch. Also wenn das Ziel ist, mit dem Auto zum Supermarkt fahren, dann fährt man in der Therapie mit dem Auto der Klient*in zum Supermarkt, zu dem die normalerweise fahren, in den Klamotten, die sie normalerweise an haben, zu der Tageszeit, zu der sie das normalerweise machen. Unechte Betätigung wäre es zum Beispiel, Fußübungen zu machen mit dem Argument, dass man dann die Pedale im Auto besser bedienen kann. Das ist dann keine Betätigung in dem Moment mehr, sondern das ist eine Übung. Da wäre der Regler quasi nicht voll aufgedreht…du lachst? 

00:41:50 Sarah Bühler: Ich lache bei der Idee, dass wir dann Fußübungen machen, damit man die Pedale besser findet. Da müssen wir aber gut aufpassen, dass ich mit dem richtigen Fuß die Übungen mache. 

00:42:06 Sara Mohr: Also sagen wir mal, keine Ahnung, das ist ein Klient, oder eine Klientin mit einer Fußheberschwäche und die sind unsicher, ich weiß gar nicht ob ich jetzt Autofahren kann. Ich weiß gar nicht, ob ich die Pedale bedienen kann, dann würde auch ich in der Therapie sagen, ich setz mich jetzt nicht mit ihnen sofort ins Auto und wir fahren zum Supermarkt. Sondern ich würde vielleicht schon erstmal eine simulierte Betätigung machen und mir erstmal angucken, okay, haben Sie Automatik oder haben Sie manuelle Schaltung im Auto? Damit ich weiß, wie viele Pedale ich brauche, damit ich weiß, wie sich die Füße bewegen und dann würde ich mir das schon erstmal in der Theorie auf dem Stuhl sitzend auf dem Boden angucken wie sieht das denn aus mit den Füßen? 

00:42:54 Sarah Bühler: Ja ja, aber ich lasse ihn das dann keine 30 mal machen. 

00:42:58 Sara Mohr: Das ist eben die Sache, genau, heißt das jetzt, ich mache ein Rezept lang Fussübungen? Dann mache ich halt keine Ergotherapie, sondern schlechte Physiotherapie, sorry, liebe Physios. Aber ich muss ja nicht den Regler direkt auf 100% aufdrehen. Da würde sich ja vielleicht die Klientin oder der Klient auch überfordert fühlen, wenn ich direkt sage, so setzen sich mal ins Auto, jetzt fahren wir los. 

00:43:15 Sarah Bühler: Ja, ich verstehe. 

00:43:24 Sara Mohr: Das meine ich mit diesem Regler, aber der echte Betätigung Regler 100% aufgedreht wäre es, die Betätigung direkt so durchzuführen mit den Leuten. Zweiter Regler. 

Bedeutungsvoll und zielgerichtet. 

Damit ist gemeint der Anteil, den wir eben auch schon gesprochen haben. Die Betätigung hat eine ganz individuelle Bedeutung für die Klientin oder den Klienten, die können also genau sagen, welches Ziel in ihrem Alltag sie damit erreichen und warum diese Betätigung für sie in ihrem Alltag wichtig ist.Das finde ich immer ganz spannend, gerade wenn man Kinder behandelt, mal zu fragen was machst du eigentlich in der Ergo und warum machst du das eigentlich? Warum kommst du eigentlich zur Ergo? Und da kommen sehr spannende Antworten. Das ist immer ein gutes Indiz, wenn man Kinder übernimmt, aus einer anderen Praxis. Oder auch wenn sie zum ersten Mal in die Ergo kommen, die zu fragen, warum sie denken, dass sie da sind. Welche Einstellungen Sie haben gegenüber der Ergotherapie, ob die das schon als was sehen wo man was Neues lernen kann? Und das hilft mir, oder da muss ich hingehen und dann muss ich irgendwie Sachen machen, auf die ich überhaupt keine Lust hab? Voll aufgedreht bei bedeutungsvoll und zielgerichtet würde heißen: Die Klienten mit Schlaganfall füttert ihre Katze, weil sie ihre Katze total gerne mag und es ihr wichtig ist, dass sie für die Katze sorgen kann. Wenn ich mit derselben Klientin den betroffenen Arm durchbewege, weil ich der Meinung bin, dass ihr Bewegungsausmaß nach dem Schlaganfall nicht mehr der Norm entspricht, ist der Regler weniger aufgedreht, weil Arm durchbewegen ist für die Klientin keine bedeutungsvolle Betätigung. Den dritten Regler finde ich sehr spannend: 

Therapeutische Absicht 

 und das ist eigentlich genau unsere ergotherapeutische Expertise. Wir Ergos können, basierend auf unseren Assessments, wenn wir uns so eine Betätigung angucken, können wir erkennen oder sollten wir erkennen können, wo sind die Ressourcen, wo sind die Defizite, welche Barrieren bestehen da, wie müssen wir die Therapie ausrichten, damit diese Betätigung wieder funktioniert? Wenn also ein Kind mit einer UEMF zu dir in die Praxis kommt, Sarah, und die Mutter sagt, schreiben klappt nicht, der ist jetzt in der ersten Klasse und es klappt überhaupt nicht, irgendwelche Buchstaben und Schwungübungen aufs Papier zu kriegen. Dann wirst du mit diesem Kind wahrscheinlich kein Gleichgewichtstraining machen. Sondern vielleicht COOP. Oder in anderer Form kognitive Strategien zum Schreiben lernen. Das Kind würde vielleicht auch vom Gleichgewichtstraining profitieren. Ich glaube, jeder Mensch kann von Gleichgewichtstraining profitieren, ich auch.  

00:46:42 Sarah Bühler: Aber es bringt ihn halt seinem Ziel nicht näher.  

00:46:50 Sara Mohr: Genau, Regler voll aufgedreht wäre dann bei diesem Element: die therapeutische Absicht unterstützt die Klient*innen dabei, dass die Therapie genau auf die Betätigung ausgerichtet ist, die sie auch erreichen möchten. 

Aktive Partizipation ist der vierte und letzte Regler. 

Und das ist ein spannender Regler, ich bin gespannt, zu deiner Meinung, zu aktiven Partizipation, der meint, dass die Klient*innen aktiv in die Therapie eingebunden sind. Die Klient*innen sind diejenigen, die Handeln in der Therapie. Also der Klient fährt mit dem Auto zum Supermarkt, die Klientin öffnet die Dose mit Katzenfutter, das Kind schreibt. Dann wäre der Regler zu 100% aufgedreht. Wie oft ist in deiner Therapie, Sarah, der Regler zu 100% aufgedreht? Der Regler, aktive Partizipation? Wie leicht lässt er sich aufdrehen? Wie gut finden Klient*innen das? Wenn du sagst, wir drehen diesen Regler aktive Partizipation jetzt mal auf 100? 

00:48:11 Sarah Bühler: Das braucht schon ein bisschen Vorarbeit. Das kommt drauf an, wie viele Therapieerfahrung die haben. Mhm ich finde Klient*innen, die keine Therapieerfahrung haben, da geht das eigentlich in der Regel gut. Wobei da kommt es auch auf die Generation an, umso älter gefühlt, umso schwieriger, so um mal in Schubladen zu sprechen. Genau und bei Kindern geht das in der Regel gut. Das Problem sind dann eher die Eltern aktiv einzubinden, dass die in der Therapie nicht am Handy sitzen, sondern dass sie auch aktiv mitarbeiten. Eben auch Aktivitäten ausführen, wie das Kind anleiten oder das Kind positiv zu verstärken. Ja, das braucht Beratungsgespräche. 

00:49:05 Sara Mohr: Also auch ein Regler, den man nicht von 0 auf 100 aufdrehen sollte? 

00:49:09 Sarah Bühler: Nee, und man muss auch immer gucken was kann die Familie gerade leisten, die kommen ja oft schon und sind am Anschlag. Und es gibt auch Teile, wo erstmal eine Entlastung stattfinden muss oder auch ein angenommen werden, um dann den Regler aufdrehen zu können. 

00:49:16 Sara Mohr: Das finde ich einen guten Punkt. Das gilt nämlich für alle 4 Regler, wenn die einmal auf 100 sind. Also unser Ziel ist, glaube ich nicht alle diese Regler immer auf Anschlag zu haben.  

00:49:38 Sarah Bühler: Ich glaube auch nicht, dass das immer sinnvoll ist. 

00:49:39 Sara Mohr: Nee, genau das ist nicht das Ziel, ich muss flexibel sein mit diesen Regeln. Ich glaube, es ist gut zu wissen, es gibt diese 4 Regler und die sind wichtig. Ich muss darüber nachdenken, was ist eigentlich meine therapeutische Absicht. Ich muss darüber nachdenken, wie aktiv ist eigentlich mein Klient oder meine Klientin gerade? Ich muss darüber nachdenken ist das, was wir hier anstreben, überhaupt bedeutungsvoll für die Leute, und ich muss darüber nachdenken, ist gerade eine echte Betätigung, die ich mache, aber es ist vollkommen legitim zu sagen: Okay nee, hier ist gerade superwichtig, dass ich jetzt mit der Klientin heute mal in Ruhe über das Thema spreche. Und wir die Betätigung nicht durchführen, sondern erst mal einen Plan machen, und dann drehe ich den Regler aktive Partizipation ein Stückchen runter und dann dreh ich den Regler echte Betätigung ein Stückchen runter. 

00:50:25 Sarah Bühler: Was ich da immer wichtig finde, ist das aber auch zu besprechen ja, also mir ist immer wichtig, da auch transparent zu sein. Weil es bei mir häufig ist, so wenn ich nicht so betätigungs-basiert arbeite, werde ich unzufrieden mit mir. 

00:50:44 Sara Mohr: Mhm, ok. 

00:50:45 Sarah Bühler: Obwohl das für die Klient*innen gar kein Problem ist, weil die kennen es ja gar nicht anders, in der Regel. Und ich muss dann oft kommunizieren oder mich auch nochmal zurücknehmen und dann sagen, eigentlich stelle ich mir das schon so vor, ist das für sie überhaupt eine Option? 

00:51:03 Sara Mohr: Mhm ok ja. 

00:51:05 Sarah Bühler: Oder ich halte das so für sinnvoller, aber wollen sie den Weg überhaupt mitgehen? Oder wie finden wir einen gemeinsamen Weg? Das ist was, was ich immer wichtig finde. 

00:51:19 Sara Mohr: Ich glaube, es ist ganz viel auch, mit welchen Erwartungen die Leute in die Therapie kommen. Und ganz oft hatte ich das Gefühl, wenn ich dann sage, wissen sie, wir können uns jetzt in ihr Auto setzen und wir fahren einfach mal den Weg zum Supermarkt und dann ist die Reaktion so: ach, das geht?! Das können wir machen? Weißt du, dass diese Tür überhaupt offen ist? Und das dann auch begründen zu können. Am besten ist es, wenn wir es tatsächlich einmal machen und uns einmal anschauen, wo denn da das Problem auftritt. Ich möchte ein bisschen von diesem Autofahrer Beispiel bekommen, weil das tatsächlich je nach Krankheitsbild auch gefährlich sein könnte, nehmen wir vielleicht Schuhe anziehen, ne? Zu sagen, wir können das hier machen bringen sie doch mal die Schuhe mit, die problematisch sind, lassen sie uns doch mal angucken, lassen Sie Ihre Frau doch mal mit dem Handy filmen, wie sie das zu Hause, wo sie da sitzen, wie das aussieht und dann ist ganz oft so: ach so, ich wusste gar nicht, dass das möglich ist! Dass diese Regler überhaupt existieren und unsere Aufgabe als Therapeut oder Therapeutin ist es ja dann eben zu schauen und diese Regler im Hinterkopf zu haben und die bewusst rauf- oder runterzudrehen. 

00:52:38 Sarah Bühler: Auch in Absprache finde ich es immer wichtig. 

00:52:42 Sara Mohr: Ja, das Transparentmachen ist wirklich ein guter Punkt und ich finde es immer so ein bisschen… ich hab vor ein paar Wochen mit einer Kollegin gesprochen, die an einer neuen Arbeitsstelle ist, wo sie gerne die Ergo ein bisschen umstellen möchte und betätigungs-basiert arbeiten. Aber das braucht jetzt Zeit. Und sie war so super unzufrieden und sie meinte, jetzt mach ich hier die ganze Zeit eigentlich – nach den Terminologien hier – quasi unechte Betätigung und die Leute sind nicht aktiv und das ist alles überhaupt nicht bedeutungsvoll und sie war so super unzufrieden und ich dachte so ja, es kommt ja jetzt keiner aus dem Busch gesprungen und nimmt dir deine Berufsurkunde weg, nur weil du gerade nicht alle Regler auf 100% aufgedreht hast. 

00:53:34 Sarah Bühler: Tja, und Veränderung braucht immer Zeit. 

00:53:38 Sara Mohr: Genau. 

00:53:40 Sarah Bühler: Die Leute müssen ja auch neue Routinen entwickeln können, und die müssen sie auch wollen, also die müssen ja auch wollen, und das braucht Zeit. 

00:53:50 Sara Mohr: Ja wie gesagt, ich finde es eine wichtige Message, dass nicht alle 4 Regler auf Anschlag sein müssen, dass das sogar too much sein kann, wenn ich direkt damit einsteige, aber ich muss im Hinterkopf haben, ich hätte gerne alle Regler so weit wie es jetzt gerade passt. Was damit so ein bisschen zusammenhängt, was sie in dieser Studie in ihrem Modell auch noch eingearbeitet haben ist, dass durch diese unterschiedlich aufgetreten Regler quasi so ein Kontinuum entsteht. Also ich bin nicht entweder 100% betätigungs-basiert oder 0% betätigungs-basiert, sondern es gibt ganz viel dazwischen. Und selbst dieses 0% betätigungs-basiert also, wenn wir mal annehmen, wir drehen alle Regler auf 0 die Klient*innen sind nicht aktiv, wir haben wir arbeiten nicht auf ein bedeutungsvolles Ziel hin und so weiter. Dann liegt das häufig daran, dass da andere Bedingungen gerade nicht richtig sind. betätigungs-basiertes Arbeiten kann ja auch schwierig umzusetzen sein, selbst wenn wir vielleicht als Therapeut*innen diese Regler im Hinterkopf haben, ist es ja von verschiedenen Faktoren abhängig, wie gut es mir gelingt, das tatsächlich umzusetzen. 

00:55:08 Sarah Bühler: Klar, und da ist es hier in Deutschland finde ich schon schwierig vom Gesundheitssystem her. Dann ist es versicherungsbedingt ja teilweise auch, wo man einfach so Fragezeichen im Kopf hat, darf ich mich jetzt gerade mit dem ins Auto setzen oder nicht? Was und wenn was passiert? Und wenn man so Ängste hat, beeinflusst das natürlich auch deine Betätigungs-Zentrierung. Ja, oder worauf wolltest du hinaus? 

00:55:39 Sara Mohr: Ja, ich wollte genau darauf hinaus, es ist ja nicht allein unsere Entscheidung, ob wir betätigungs-basiert arbeiten. Und in dieser Studie haben sie das in dem letzten Bereich berücksichtigt, der noch in ihr Modell hineinkam. Also einmal diese 4 Regler, dann es ist ein Kontinuum. Wir können die Regeln unterschiedlich stark aufdrehen und dann haben sie eben gesagt es gibt auch noch 4 Faktoren, die beeinflussen, wie betätigungs-basiert man überhaupt arbeiten kann und der erste Faktor ist das, was du gerade gesagt hast, eben Regularien im Gesundheitssystem, das kann ja schon sein, dass kein Hausbesuch verschrieben wird und dann bin ich in einem Kontext mit den Leuten, der eben nicht deren normalen Alltag entspricht und dadurch ist der Regler echte Betätigung schon ein Stückchen runter gedreht, der ist nicht auf 0 aber deshalb auch nicht mehr auf 100%. Ein anderer Faktor, der das beeinflusst, ist die physische Umwelt. Haben sie herausgefunden also zum Beispiel, ob ich Räumlichkeiten oder Materialien an meinem Arbeitsplatz habe, die betätigungs-basiertes arbeiten überhaupt ermöglichen und das Dritte – das ist in meinen Notizen ein ganz großer Punkt, aber eigentlich haben wir das alles schon besprochen – das Dritte sind die Klient*innen selbst. Die Forschenden bringen hier eigentlich ganz gute Beispiele, warum gerade der Regler aktive Partizipation für manche Leute schwierig sein kann, zum Beispiel, wenn wir mit Klient*innen arbeiten, die mehrere Behinderungen haben. Wo vielleicht aktives Handeln erschwert wird, aber auch der Regler echte Betätigung bei Klient*innen, die sehr komplexe Rollen erfüllen und ein sehr komplexes Ziel haben. Und mir persönlich ist an der Stelle wichtig: Man hört ja immer mal wieder auch das Argument, ja, das ist aber so schwer umzusetzen für die Klient*innen. Die wollen ja behandelt werden, die wollen ja einfach in die Therapie kommen und wollen, dass ich denen helfe, die wollen ja gar nicht aktiv sein und überhaupt die formulieren ja auch gar kein betätigungs-basiertes Ziel, die sagen ja einfach mein Arm soll wieder funktionieren. Weißt du was ich meine? 

00:57:50 Sarah Bühler: Ja ja, aber da ist dann unsere Expertise die Gesprächsführung. Ne, das seh ich dann als elementar, also wenn die noch keine ergotherapeutische Erfahrung haben ja, dann kennt man den Arzt ja, der sagt in der Regel so und so wird das gemacht. Man kennt Schule, da wird auch gesagt so und so läuft das. Und dann hängt es davon ab was bringen wir auch an Erfahrung mit selbst entscheiden zu können, Verantwortung übernehmen zu wollen, das ist schwierig. 

00:58:22 Sara Mohr: Genau genau, und das ist diese Gesprächführung und wenn mir halt mein Klient sagt ja, mein Ziel ist, dass der Arm wieder funktioniert, oder mein Ziel ist, dass ich mich schmerzfrei bewegen kann, oder mein Ziel ist, dass mein Kind sich besser konzentrieren kann, dann ist halt das Gespräch an dem Punkt noch nicht vorbei, sondern dann ist das der Punkt, an dem das Gespräch eigentlich erst anfängt und dann ist das der Punkt, wo wir Ergos sagen müssen ok, das ist gut, dass sie mir das sagen. Jetzt schauen wir mal, wo in ihrem Alltag sieht das denn merken, dass ihr Kind nicht konzentriert ist oder wo in ihrem Alltag sie gerne hätten, dass ihr Arm wieder funktioniert, oder, dass sie sich schmerzfrei bewegen können oder dass sie entspannter sind. Wo merken Sie das denn in Ihrem Alltag? 

00:59:02 Sarah Bühler: Ja, da finde ich es auch wichtig, weil Klient*innen das ja oft nicht kennen, ja das auch so aktiv gefordert werden, Zeit zu geben, auch zu sagen wir müssen jetzt noch keine Idee haben, beobachten sie mal die Woche. Schreiben Sie auf. Wo fällt Ihnen auf, dass es sie stört? Ja, oder wo klappt es gut oder warum ist es wichtig? 

00:59:29 Sara Mohr: Ja, genau. 

00:59:30 Sarah Bühler: Und die dann auch ne Woche gehen zu lassen und zu sagen nächste Woche setzen wir da wieder an ja und vielleicht gebe ich dann, dass der halt zufrieden ist ihm doch 2, 3 funktionsorientierte Übungen mit. Und schick ihn aber mit einem Auftrag weg, sich noch einmal Gedanken zu machen. 

00:59:46 Sara Mohr: Das ist nochmal ein guter Punkt. Lass uns gleich mal auf die funktionsorientierten Übungen zurückkommen. Lass uns den Faktor Klient*in abschließend also es ist unsere Aufgabe als Ergos, die Leute zu befähigen, ihre Ziele alltagsrelevant zu formulieren, das ist unsere Aufgabe, nicht die Aufgabe der Klientinnen und Klienten. Grade den letzten Punkt, dann kommen wir zurück zur funktionsorientierten Übung. Der letzte Punkt der betätigungs-basierte Ergotherapie ermöglichen oder verhindern kann sind die Therapeut*innen. Wir können uns selber ein Bein stellen, wir können unsere Motivation, unsere Expertise, unsere Berufserfahrung nutzen um betätigungs-basiert zu arbeiten oder halt nicht. Das sind die 4 Faktoren, die zusammenpassen müssen, damit wir überhaupt die Möglichkeit haben, alle Regler voll aufzudrehen. Zu dem Thema funktionsorientierte Übungen. Finde ich einen ganz wichtigen Punkt. Wenn ich jetzt bei dem Beispiel von eben bleibe, ich möchte meinen Arm wieder normal bewegen können. Oder ich möchte, dass mein Kind sich besser konzentriert. Natürlich kann es da legitim sein, den Leuten Übungen mitzugeben und zu sagen okay, hier ja, das sind Konzentrationsübungen, oder das sind Übungen, um den Tonus zu senken oder das sind Übungen, um die Handkraft zu stärken. Das ist ja vollkommen okay, das ist ja nicht verboten. Das ist allerdings auch nicht betätigungs-basiert, auf keinen Fall. Aber, und da kommt unsere therapeutische Absicht ins Spiel, wir als Ergos können erkennen ist das eine Übung, die den Leuten vielleicht helfen kann, das Betätigungsziel zu erreichen gerade. Ich als Neuro-Tante brauche ja manchmal auch vorbereitende Maßnahmen, ich muss mit ganz vielen Klient*innen erst mal schauen, wie können wir den Tonus senken, damit überhaupt eine Handlung möglich wird, damit überhaupt der Einsatz der betroffenen Hand zum Beispiel möglich ist? Dann ist aber meine Therapie nicht 45 Minuten manuelle Handtherapie. Sondern es ist meine Therapie, den Leuten zu zeigen, wie können sie selber den Tonus senken, damit sie auch im Alltag danach zu Hause handeln können? Und dann bin ich in dem Moment betätigungsfokussiert. Ich versuche aber, wenigstens eine aktive Partizipation von den Klient*innen zu erreichen, also ich versuche, dass die nicht in die Therapie kommen, sich auf einen Stuhl setzen, den Arm auf den Tisch legen and that’s it. Also muss ich wenigstens über Betätigung sprechen, und ich weiß, dass alle Handtherapeutinnen und Handtherapeuten jetzt gerade zuhause weinen (lacht), also ich glaube, in der Handtherapie mit Leuten, die akut eine Handverletzung hatten und dann geht es um Narbenbehandlung und das sind Leute, die kognitiv super fit sind und die wissen, wo sie hin wollen mit der Hand und die wissen, was die Hand wieder können soll und die wissen auch der Arzt hat gesagt, in 6 Wochen kommt der Gips ab oder kommen die Fäden raus. Und dann geht das. Da gerade mit denen kann ich aber immer noch betätigungs-fokussiert arbeiten, gerade mit denen kann ich aber immer noch schauen, wo müssen Sie jetzt im Alltag aufpassen, was soll die Hand nachher wieder können? Ok, wie wollen Sie dahin kommen? Wie können wir es schaffen, dass das möglichst schnell und schmerzfrei wieder funktioniert? Dass ich da wenigstens den Regler aktive Partizipation voll aufdrehen kann, wenn ich schon nicht echte Betätigung in der Therapie mache. 

01:03:35 Sarah Bühler: Ja, oder ich finde es in der Handtherapie auch wichtig dann zu besprechen was geht vielleicht gerade nicht an Betätigung, welche sollte ich vielleicht gerade vermeiden, weil einfach das noch zu viel Belastung auch ist? 

01:03:47 Sara Mohr: Genau, von daher wollen wir hier nicht gegen funktionsorientierte Maßnahmen hetzen. Funktionsorientierte Maßnahmen sind ein Teil. 

01:04:04 Sarah Bühler: Und der ist auch wichtig, auch bei Kindern. 

01:04:07 Sara Mohr: Wie machst du das bei Kindern? 

01:04:09 Sarah Bühler: Ich leite die Eltern oft an die Übungen zuhause zu machen. Na also, es gibt ja auch Kinder, die haben einfach bestimmte Fertigkeiten noch nicht erlernt. Die können noch keinen Pinzettengriff oder was auch immer und dann geht es darum, auch zu beraten über altersgemäßes  Spielmaterial, zu zeigen wie kann man das denn Spielen mit einem Ziel. 

01:04:33 Sara Mohr: Mhm ja, und das hat ja auch den großen Vorteil, dass wenn die das Zuhause umsetzen eine viel höhere Wiederholungsrate hast, als wenn das einmal die Woche in 45 Minuten Therapie und dann ja noch nicht mal den ganzen 45 Minuten, sondern vielleicht nur in 20 Minuten in der Mitte durchgeführt. Weil sind wir mal ganz ehrlich, 20 Minuten in der Woche Pinzettengriff üben, davon hat noch niemand Pinzettengriff gelernt, genauso wie von 20 Minuten Hirnleistungstraining in der Woche auch noch niemand sein Gedächtnis verbessert hat, das funktioniert nicht. 

Also diese Studie: wir haben viele Elemente von betätigungs-basiertem arbeiten. Wir haben 4 Faktoren, die das beeinflussen. Und die sind alle in unterschiedlichem Maße in jeder ergotherapeutischen Einheit vorhanden und selbst in der Einheit können sich diese Faktoren verändern und mal mehr oder mal weniger vorhanden sein und zum Abschluss schreiben die Forschenden noch in ihrer Studie sie entwickeln gerade ein Assessment Tool mit dem Praktiker*innen dann messen können, wie betätigungs-basiert die Einheit ist oder war oder die Therapie gerade verläuft, finde ich sehr spannend, das würde ich sehr gerne mal ausprobieren. 

Ich habe das Gefühl, diese Podcast Folge besteht nur aus mir die 500000 mal Betätigung sagt (lacht) wollen wir zum Abschluss kurz einmal schauen, was wir jetzt aus meinem ganzen Betätigung-Gequatsche mitnehmen können für die Praxis? Sarah, wenn morgen ein*e Klient*in zu dir kommt und du möchtest deine Betätigungsbasierten Regler voll aufdrehen wie kriegen wir es hin? Wir fangen am Anfang an, dass die Evaluation so betätigungs-basiert wie möglich ist. 

01:06:17 Sarah Bühler: Mit den Möglichkeiten, die ich momentan habe? 

01:06:18 Sara Mohr: Mit den Möglichkeiten, die du momentan hast, denn wir haben alle begrenzte Möglichkeiten. 

01:06:22 Sarah Bühler: Ja genau also ich beginne mit dem Erstgespräch, bei dem bei mir ja auch immer die Angehörigen dabei sind, das bereite ich ja im Vorfeld schon vor, dass beim ersten Gespräch eben nicht nur Klientin oder Klient da ist, sondern auch erweiterte Klientel, COPM bzw. Tagesplan machen, schauen was klappt gut, was ist schwierig und was ist wichtig? Ja, eigentlich eher zu gucken was ist wichtig? Ich gucke schon immer, dass ich auch ressourcenorientiert bleibe, die kommen von alleine auf die Probleme.  

01:06:57 Sara Mohr: Ja, das stimmt also, das ist schon mal der Faktor bedeutungsvoll. 

01:07:01 Sarah Bühler: Genau zu gucken was ist da wirklich wichtig und wem ist auch was wie wichtig ne? Das unterscheidet sich ja auch oft nochmal und wie kommt man dann zu einem Kompromiss? Ja, oder auch was schauen wir uns dann in der nächsten – also dann ist die Einheit ja schon rum. Dann ist eher die Frage was schauen wir uns das nächste Mal an und was bringen Sie dafür mit? Oder müssen wir nochmal mit dem Arzt sprechen, für den Hausbesuch? Oder es steht relativ schnell eine Beratung zur Integration ins soziale Umfeld an. Das muss ja dann auch geplant werden. 

01:07:30 Sara Mohr: Das spielt dann deine therapeutische Absicht rein, du checkst schon anhand dem, wie sie sich in der ersten Einheit darstellen checkst du schon welche Maßnahmen könnten da vielleicht sinnvoll werden? Im Verlaufe der Therapie können wir das in der Praxis umsetzen. 

01:07:43 Sarah Bühler: Genau häufig gibt es noch den Auftrag, mit was zu beobachten oder ein Video zu machen, um das nächste Mal anzugucken. Weil ich grad im pädiatrischen Bereich kaum Hausbesuch bekomme bei den schwer betroffenen Kindern, ja aber auch da muss immer über die Klinik, dann laufen, das dauert dann schon in der Regel 4 – 6 Wochen bis dann die Verordnung richtig da ist… genau das wäre so mein Plan. 

01:08:08 Sara Mohr: Ja sehr gut. Betätigungsbasierte Regler voll auftreten während der Intervention? Na ja, möglichst betätigungsbasiert arbeiten, also die Betätigung in die Praxis holen, eine Analyse machen. Wie sieht es denn aus, wenn ich die nicht in der Praxis machen kann, Video machen lassen? 

01:08:21 Sarah Bühler: Ja, Betätigungsanalyse. Ja Video analysieren, besprechen Breakdown Points. 

01:08:31 Sara Mohr: Und ich bin ja so großer Fan von diesen Videos, vor allem liebe Leute, wenn die Leute das mit ihrem eigenen Handy oder ihrem eigenen Tablet filmen, seid ihr auch Datenschutz technisch super safe. 

01:08:43 Sarah Bühler: Komplett raus. 

01:08:44 Sara Mohr: Alleine diese Videos angucken mit den Klient*innen zusammen habe ich schon so oft erlebt, dass das so einen großen Impact haben kann. Wenn die Leute sich selbst sehen, dann fällt denen so viel auf und du musst eigentlich – also das sind ja meine liebsten Therapiemomente, wenn ich mich einfach zurücklehnen kann und die Leute sehen. Und daraus ihre eigenen Schlüsse ziehen und von selbst anfangen, die Betätigung anzupassen, ja. Das ist das schönste genau Betätigungsanalyse und ansonsten, glaube ich, ist es auch gut, in der Intervention wirklich einfach mal mutig zu sein und dieses Ach kommen sie, wir machen das jetzt einfach mal. Wir machen das jetzt einfach mal und gucken einfach mal was da schon gut klappt, weil ich glaube, wir müssen viel mutiger sein in den Alltag mit den Leuten zu gehen, rauszugehen. Aus diesem Therapieräumen und zum Bäcker zu gehen. Und die Brötchen zu kaufen. 

01:09:38 Sarah Bühler: Ja, und ich glaube, was auch noch wichtig ist zu sagen, man muss nicht immer die Lösung parat haben. Ja also ich, ich spür manchmal den Druck dann die bringen mir ein Video mit vom Zähneputzen oder bringen auch die Zahnbürste mit und ich habe manchmal auch keine Lösung, wenn das Kind einfach immer die Zahnpasta schluckt oder beim Ausspülen das Wasser schneller geschluckt ist als ausgespuckt. 

01:10:01 Sara Mohr: Ist das schlimm? Darf man das nicht? 

01:10:03 Sarah Bühler: Also ich glaube, das ist jetzt nicht so tragisch, aber für die Familie ist das tragisch und für die ist das wichtig, dass das richtig läuft und dann geht es eben darum zu gucken ok, vielleicht geht das auch einfach nicht. Aber das ist momentan da in dieser Familie total wichtig und dann wird man ausprobieren und dann irgendwann kommen die vielleicht auch selber zu dem Entschluss, dass das so okay ist, dass man jetzt so viel ausprobiert hat und das passt schon. 

01:10:31 Sara Mohr: Das und ich glaube, dass dieser Lern Effekt, dieses okay, wir haben jetzt gemerkt eigentlich ist das Ziel gar nicht realistisch, weil eigentlich wird die Betätigung vielleicht gar nicht so klappen, wie wir uns die vorstellen. Diesen Lern Effekt hast du nur, wenn du betätigungs-basiert arbeitest. 

01:10:46 Sarah Bühler: Ich sehe es auch so und dann müssen die halt erst mal 10 Sachen ausprobieren und da sind auch wirklich merkwürdige Dinge dabei, um festzustellen, dass es vielleicht nicht geht und damit dann aber auch eine Akzeptanz zu entwickeln, das ist ja auch ein Prozess. 

01:11:01 Sara Mohr: Ja, weil stell dir mal vor, du gehst direkt von der Betätigung Zähneputzen weg und übst mit dem Kind, keine Ahnung, Greifarten, Handkraft verbessern, damit es besser die Zahnbürste hält. Vielleicht sprichst du mit der Logopädin was kann man machen gegen das Verschlucken? Du gehst von der Betätigung weg und dann therapierst du ja die ganze Zeit vor dich hin in dem verzweifelten Versuch, die Handkraft zu verbessern, damit es die Zahnbürste besser halten kann, wenn die vielleicht eigentlich bei einer betätigungs-basierten Therapie schon längst gemerkt hätten, eigentlich ist es gar nicht mehr so wichtig, ob der jetzt die Zahnbürste richtig hält. 

01:11:37 Sarah Bühler: Wir nehmen die elektrische Zahnbürste. 

01:11:46 Sara Mohr: Manchmal ist es ja auch so, dass wir als Therapeut oder Therapeutin schon sehen, wie war das mit der Fußheberschwäche, der sollte wirklich kein Auto fahren, der kommt nicht auf die Bremse, wenn irgendwas passiert, ne, das hilft aber nichts, wenn wir das sagen und das hilft auch nichts, wenn wir 1000 Fussübungen machen, weil das vielleicht in dem Fall einfach nicht reversibel ist, aber es hilft vielleicht, wenn man sagt gut, sie sollten vielleicht erstmal Sonntag nachmittags auf dem Aldi Parkplatz fahren, oder sie sollten vielleicht erstmal in der Fahrschule gehen, die sich darauf spezialisiert hat, damit noch jemand nebendran sitzt, der im Notfall bremsen kann. Aber machen sie die Betätigung, machen sie die Betätigung, damit die Person sehen kann eigentlich ist es nicht sicher, wie ich fahre. Das ist, glaube ich, ein Lern Effekt, die wir den Leuten wegnehmen, wenn wir nicht betätigungs-basiert arbeiten. 

01:12:37 Sarah Bühler: Genau und eine Möglichkeit der Krankheitsverarbeitung. 

01:12:40 Sara Mohr: Genau was kann ich machen, um bei der Re-Evaluation betätigungsbasiert zu sein? 

01:12:45 Sarah Bühler: Auszuwerten. Was haben wir jetzt alles ausprobiert? Hat es geklappt? Sind sie zufriedener, klappt es besse? Was ist jetzt noch wichtig? Also COPM. 

01:12:54 Sara Mohr: Ja ja, genau das Assessment vom Anfang auch nochmal wiederholen, wenn ich am Anfang eine Betätigungsanalyse gemacht und Schuhe binden gefilmt habe, dann mach ich nach 6 Wochen nochmal ein Video vom Schuhe binden. Und dann hast du diese schönen Momente hoffentlich, dass das zweite Schuhe binden Video viel besser aussieht. 

01:13:09 Sarah Bühler: Da fühle ich mich jetzt wieder so ertappt, ne, ich lasse mir immer nur ein Video mitbringen und dann frag ich wie klappt es jetzt? Und ich sehe, dass es dann klappt ja, oder die sagen, das klappt und dann haken wir das Ziel ab und die Kinder nehmen ihr Foto mi. Also ich mach immer noch ein Foto von der Betätigung und das bleibt im Ordner so lange und dann können die Kinder einen Haken hin machen, wenn es erreicht ist oder wenn es nicht mehr wichtig ist. 

01:13:33 Sara Mohr: Aber das ist ja auch Re-Evaluation. Du musst ja nicht dieses Videoding machen, was ich gerade gesagt habe aber zu besprechen… 

01:13:38 Sarah Bühler: Ja, aber nur, weil ich ja weiß, dass wir Deutschen eigentlich viel zu wenig Re-Evaluation machen. Wo ich mir dann denke, ja, sie sagen klappt und dann Haken hin, erledigt. 

01:13:51 Sara Mohr: Das ist dann halt eine inoffizielle Outcome Messung, aber es ist ja auch eine Outcome Messung, also ich finde es wichtig, egal in welcher Form mit den Leuten an irgendeinem Punkt zu besprechen, wie klappt es denn jetzt eigentlich? Weil nur, dann könnt ihr auch sagen ja, klappt gut. Wenn ich möglichst durchgängig versuche, alle 4 betätigungs-basierten Regler aufzudrehen, kommen die ja auch von selber irgendwann und sagen, wissen Sie, gestern waren wir Fahrrad fahren und er hat es jetzt geschafft, das Gleichgewicht zu halten oder wissen Sie, ich war gestern Brötchen kaufen und ich konnte das Geld direkt abgezählt, richtig auf den Tresen legen. Da kommen die von selber mit, weil sie wissen, dass ist jetzt Thema in der Ergotherapie und dann ist okay, dann musst du nicht sagen, jetzt nehmen sie noch ne Kamera mit zum Bäcker (lacht). Gneua, also auch die Reev…die Re-Evaluation wieder an der Betätigung festmachen – du merkst, meine sprachlichen Fähigkeiten lassen schon nach, aber das Thema hat mir so gut gefallen. Tschuldigung ich hab super viel geredet heute.  

01:15:02 Sarah Bühler: Ja, war echt, war echt ne coole Studie. 

01:15:04 Sara Mohr: Ja cool, ne so wirklich in dem verankert, was wir, was wir in der Praxis machen also Leute: 4 Regler im Kopf behalten, aber auch im Kopf behalten ja das immer hundert Prozent aufgedreht eine Idealvorstellung ist, die wir vielleicht nicht erreichen müssen. Aber wir wollen auch nicht bei 0% sein.  

01:15:27 Sarah Bühler: Ja, kann ich nur wieder nicken. 

01:15:30 Sara Mohr: Wir müssen einen Weg finden, der eine nonverbale Kommunikation im Podcast für dich möglich macht. 

01:15:37 Sarah Bühler: Ich hab vorhin auch schon gedacht ja, dass ich viel zu viel nicke oder Augen rolle… 

01:15:43 Sara Mohr: Du rollst mit den Augen während ich hier rede?! 

01:15:47 Sarah Bühler: Nein nein (lacht). 

01:15:50 Sara Mohr: Schön, wenn man so respektiert wird von seinen Kollegen! Ok liebe Leute, ich würde sagen wir machen den Deckel drauf. Wir freuen uns, wenn ihr uns Feedback geben möchtet, wenn ihr Fragen habt, wenn ihr Studien habt, die wir uns anschauen sollten, oder ein bestimmtes Thema, dann schreibt uns eine E-Mail an info@ergo-unterwegs.de oder kontaktiert uns über Twitter, über Facebook, über Instagram. Wir freuen uns von euch zu hören. Es hat mir wieder sehr viel Spaß gemacht. 

01:16:19 Sarah Bühler: Mir auch. 

01:16:19 Sara Mohr: Und ich bin gespannt, welches Thema wir uns in der nächsten Folge anhören dürfen, bis dahin eine gute Zeit. 

01:16:28 Sarah Bühler: Ciao. 

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